Deutschlands Rolle im geheimen Krieg

Interview mit John Goetz, dessen Entdeckungen zur deutsch-amerikanischen Geheimdienst- und Militärzusammenarbeit heute Thema im Bundestag sind

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Der deutsch-amerikanische Journalist John Goetz, der kürzlich durch seinen Besuch bei Edward Snowden bekannt wurde, hatte bereits 2006 die Beteiligung des BND am Irak-Krieg enthüllt, mit dem Schröder-Deutschland offiziell gar nichts zu tun haben wollte. Seit Wochen sorgt sein zusammen mit Christian Fuchs verfasstes Buch Geheimer Krieg für Diskussionen. Rechercheergebnisse daraus zeigten Deutschlands erstaunlich intensive Verwicklung in Drohnenangriffe und Folterverhöre sowie die enge Kooperation bei der Überwachung der deutschen Bevölkerung mit der NSA.

Warum benötigen die USA für ihren Drohnenkrieg ihre wesentlichen Basen im Ausland? Wäre es nicht möglich, die Kommunikation etwa über Satelliten aus den USA zu bewerkstelligen?

John Goetz: Über Satelliten ist es sehr teuer und die Bandbreite ist knapp. Bei einem Drohnenabschuss hat man vier Maschinen gleichzeitig in der Luft. Manchmal fliegen Hunderte von Drohnen gleichzeitig in einem Gebiet. In einzelnen Fällen kann man es hinkriegen, aber in der Regel ist das zu viel und die Entfernung für die Signale zu weit, etwa zwischen Somalia und New Mexico. Viel praktischer sind Basen in Landstuhl oder Ramstein, wo die Satellitensignale etwa aus Afrika ankommen und über unterirdische Glasfaserkabel den Feed weiterleiten.

Inzwischen sind mindestens 5.000 Menschen von Drohnen aus getötet worden, darunter vier Männer aus Deutschland. Sie schreiben, jeder vierte sei ein unbeteiligter Zivilist gewesen. Die Basis dieser auf Verdacht durchgeführten Tötungen befindet sich auf der Ramstein Airbase, die auch nach dem NATO-Truppenstatut deutschem Strafrecht unterliegt. Wie ist inzwischen der Stand der Ermittlungen und der politischen Reaktionen?

John Goetz: Im Moment prüft die Bundesanwaltschaft. Es gab eine Beschwerde von der Linkspartei, glaube ich. Politisch war die Bundesregierung an unserer Recherche vom NDR und der Süddeutschen Zeitung interessiert, sie wollten es lesen. Die US-Botschaft hat gesagt, "Die USA foltern nicht", was alles halbwahr ist. Obama hat selbst gesagt, dass Waterboarding Folter ist.

Eine Shoot-to-Kill-Order wäre auch in den USA, wo man in einigen Bundesstaaten die Todesstrafe praktiziert, nicht vorstellbar. Wie bewertet es die US-amerikanische Öffentlichkeit, dass der Staat Menschen ohne rechtsstaatliches Verfahren aus präventiven Erwägungen mit Killerdrohnen tötet?

John Goetz: Man argumentiert in etwa, dass Menschen mit Sprengstoff in ein Stadion mit lauter kleinen Kindern unterwegs sind, um diese in die Luft zu sprengen. Es geht um einen imminent threat, eine direkt bevorstehende Bedrohung. Bei der Hinrichtung von jemand, der dabei ist, 50.000 Kinder in die Luft zu sprengen, da wird jeder sagen: "Ist doch gut!" Die Fälle werden einfach künstlich aufgebauscht.

Präsident Obama sah sich bei seinem Deutschland-Besuch diesen Sommer veranlasst, den Start von tödlichen US-Drohneneinsätzen aus Deutschland zu bestreiten, obwohl dies ihm gar nicht vorgeworfen wurde, sondern "nur" die Steuerung und Kommandoebene. War dies Ihrer Ansicht nach eine echte Panne oder eine PR-Manöver, um die Presse zu diskreditieren?

John Goetz: Es war im Prinzip so, wie die US-Regierung mit dem Abhören von Merkels Telefon umging. Mit der Behauptung "Wir machen das nicht mehr" wurde im Prinzip bestätigt, dass sie es bisher gemacht haben. Und wenn Obama sagt, Deutschland ist kein Launching Point für Drohnenangriffe, dann gibt er das andere zu, denn er widerspricht nicht unserer Berichterstattung. Das Dementi war sehr genau formuliert, nicht spontan gesagt. Das Dementi muss man sich sehr genau ansehen. Deutschland ist ja auch nicht der Launching Point für den Weihnachtsmann! Hat ja auch keiner gesagt!

Angesichts des dichten Luftraums in Deutschland wäre zu erwarten gewesen, dass die Zulassung von US-Drohnen in Deutschland kaum geheim zu halten wäre. Warum ist erst jetzt bekannt geworden, dass seit 2005 US-Drohnen über Deutschland fliegen? Hat die zivile Luftüberwachung bei der Geheimhaltung konspiriert?

John Goetz: Ich glaube, das amerikanische Militär übt viele seiner Aktivitäten in einer Art Halböffentlichkeit aus. Es ist schon beeindruckend, wie offen sie auf Militärwebsites über diese Dinge sind. Das wird in Deutschland aber nicht öffentlich wahrgenommen. Im Prinzip denkt man: "Das wissen wir eigentlich alle", aber man weiß es eigentlich nicht. Die Drohnen sind ein gutes Beispiel. Die Journalisten denken: "Da ist ja alles bekannt", tatsächlich aber ist gar nichts bekannt.

"US-Geheindienstagenten sind gute Menschen"

Am Montag sagte Senator Murphy bei einem Deutschlandbesuch: "I understand historic abuse of data collected by german governments in the past, but intelligence agents in US are good people." Teilen Sie diesen Eindruck?

John Goetz: Nein. Es gibt in der angloamerikanischen Welt eine Erklärung, dass der Grund dafür, warum Deutsche bei der NSA so empfindlich sind, der ist, dass die Deutschen historisch traumatisiert sind, da die Nazis massenhaft Daten gesammelt und missbraucht haben, und das MfS. Ich halte nichts von dieser Erklärung und ich glaube, man ist beleidigt. Die Daten, die jetzt gesammelt werden, haben nichts mit der Geschichte zu tun, finde ich, sondern das ist ein Eingriff in Gefühle und in die persönliche Souveränität. Dass man da weiß, was jeder am Computer macht, das hat was Unheimliches. Das hat nichts mit Geschichte zu tun.

Sie berichten über die Firma Computer Science Corporation (CSC), die einerseits die Computer der NSA wartet, die Rechnung für einen CIA-Foltertransport bezahlte und am Bundestrojaner mitwirkte. Andererseits ist CSC für etliche europäische Firmen und vor allem deutsche Behörden tätig und hat offenbar Zugang zu sensiblen Daten. Wie ist es zu erklären, dass deutsche Entscheidungsträger diese eklatanten Interessenkonflikte nicht kennen oder bewusst in Kauf nehmen?

John Goetz: Ich glaube, viele Bundesbehörden meinen: "Naja, es gibt keine Alternative. Die werden schon ihre Arbeiten trennen." Interessant war auch das Statement "Wir halten uns an das Recht in dem Land, in dem wir arbeiten." Falls man Daten wie - ich spekuliere jetzt mal - Waffenregister oder Personalausweis - in den USA speichert, an wessen Gesetz müssen wir uns dann halten? Der Standort hier täuscht darüber hinweg, dass bei Speicherung in den USA die Firma dort möglicherweise verpflichtet ist, die Daten an die NSA zu liefern. Vielleicht denken deutsche Entscheidungsträger bei Ausschreibungen, bei denen sich Tochterfirmen der CSC bewerben, nicht darüber nach. Auch beim Geheimdienst kann man die atemberaubende Dummheit von Geheimdienstlern nicht überschätzen. Menschen, die Anträge ausfüllen, um aufs Klo zu gehen ...

Viele Behörden und Politiker, die Sie befragten und mit Ihren Informationen konfrontierten, bestritten die Kenntnis von entsprechenden Informationen. Auch der deutsche Verfassungsschutz will nicht mitbekommen haben, was die US-Dienste in Deutschland so tun. Was machen eigentlich die fast 3.000 Kölner Inlandsgeheimdienstler so den ganzen Tag über?

John Goetz: Ich war bei vielen Hintergrundgesprächen, da heißt es immer "Wir klären Freunde nicht auf!" Aber erinnern Sie sich an diesen Bundespolizeihubschrauber über dem US-Generalkonsulat in Frankfurt? Die überlegen sich langsam, ob das alles so richtig ist.

Vieles will die Regierung gar nicht wissen

Sie hatten bei Ihrer Recherche mehrfach Polizeikontakt, wobei die deutschen Behörden und die Sicherheitskräfte von US-Einrichtungen offenbar in erstaunlich effizienter Verbindung stehen. Auf dem Frankfurter Flughafen führt der für Terrorabwehr jedenfalls ursprünglich unzuständige US Secret Service faktisch Festnahmen durch. Demgegenüber tut die politische Ebene so, als wüsste sie von nichts. Während man in Italien CIA-Entführer verurteilte, scheitern hierzulande Strafverfahren gegen CIA-Leute offenbar aus politischen Gründen. Ist Deutschland noch immer ein "Vasallenstaat", wie es US-Vordenker Zbigniew Brzeziński einmal ausdrückte?

John Goetz: Nein, "Vasallenstaat" wäre falsch. Ich glaube, dass das eine fröhliche, begeisterte Entscheidung der Bundesregierung, von CDU, SPD und FDP ist, an dieser Politik teilzunehmen. Ich glaube nicht, dass die gezwungen werden, sondern freudig mitwirken, weil die im Prinzip große Vorteile aus diesem amerikanischen Sicherheitsschirm genießen. Und sie haben auch den positiven Effekt, dass sie die moralischen Gutbürger sein dürfen, während die, die die Bösen abknallen, die Amerikaner sind. Vieles wollen die gar nicht wissen. Als ich Herrn Schily damals über die Entführung von Khaled al-Masri informieren wollte, war die Reaktion: "Erzähl uns das nicht! Wir wollen das nicht wissen!" Es galt als allgemeiner Fehler, dass man Schily überhaupt informiert hat. Das hat ihm in politische Probleme beschert.

Das klingt so ein bisschen nach "Mission Impossible"! Der Minister wird alles Wissen darüber abstreiten!

John Goetz: Genau, "plausible deniability" heißt das auf englisch.

Die Information, dass Deutschland eine zentrale Basis von Folterprogrammen war, ist eigentlich schon seit 2004 bekannt. Warum hat Ihrer Meinung nach das Thema bislang die Öffentlichkeit nicht erreicht?

John Goetz: Das ist sehr interessant: Die New York Times hat, glaube ich zwei mal detailliert darüber berichtet, so viel ich weiß, gab es keine Berichterstattung darüber in Deutschland. Deshalb war das für uns neu, wir haben die Logistikzentrale der CIA in Deutschland gefunden, wir haben uns das bestätigen lassen, haben von Behörden gehört, dass die Firmen da nicht bezahlt hatten, etwa auf dem Frankfurter Flughafen, das war schon unsere Leistung.

Viele Ihrer Quellen wären auch für jeden anderen Journalisten vom Schreibtisch aus über das Internet zugänglich gewesen, etwa die Stellenanzeigen von US-Geheimdiensten, Profile von Ex-Mitarbeitern in sozialen Netzwerken und die von WikiLeaks veröffentlichten Cabels. Etliche Einrichtungen, die Sie zumindest von außen in Augenschein genommen haben, befinden sich um die Ecke in deutschen Großstädten. Warum haben hier nicht schon früher Journalisten mit Sachverstand recherchiert? Was könnte an der Journalistenausbildung verbessert werden?

John Goetz: Viele deutsche Journalisten haben keine Ahnung, wie offen ehemalige amerikanische Geheimdienstler sind. Die wollen alle Bücher schreiben, die wollen alle interviewt werden. Da ist wohl eine große Scheu, keiner weiß, wie einfach das ist.

Die Menschen, über die Sie recherchieren, pflegen Menschen zu töten und beanspruchen Geheimhaltung. Empfanden Sie Ihre Recherche zu irgendeinem Zeitpunkt als riskant?

John Goetz: Nein. Das nächste Mal, wenn ich in die USA reise, würde ich aber keine USB-Sticks oder meinen Rechner über die Grenze mitbringen. Da gab es mehrere Journalisten wie Laura Poitras und Jake Appelbaum, bei denen beschlagnahmt wurde. Gut, wenn man an Orten ist, wo steht "Vorsicht! Schusswaffengebrauch!", da ist ein bisschen unheimlich. Aber konkret bedroht wurde ich nicht.

Also sind die Zeiten von Jack Anderson und Nixon vorbei?

John Goetz: Ja, die sind vorbei!

Hinweis: Die ARD sendet heute einen Themenabend zum geheimen Krieg.

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