Marktwert der militärischen Luftschifftechnologie

Die US-Army hat ihr ambitioniertes Projekt zum Einsatz eines Überwachungsluftschiffes vorzeitig beendet.

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Luftschiffe für die Dauerüberwachung - so titelte Telepolis noch vor drei Jahren über das millionenschwere Luftschiffprojekt. Doch nicht der NSA-Überwachungsskandal, sondern technologische Schwierigkeiten, der Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte aus Afghanistan sowie ein reduzierter Verteidigungsetat bedeuten wieder einmal ein vorzeitiges Ende eines ambitioniert gestarteten Luftschiffprojekts.

Auf dem Papier waren die Idee und das technologische Konzept des britischen Produzenten Hybrid Air Vehicles (HAV) für das amerikanische Militär höchst überzeugend. Von der Industrie angepriesen wurde nämlich im Jahr 2010 ein 90 m langes neuartiges Luftschiff hybrider Bauart. Durch die Kombination aus aerodynamischem und aerostatischem Auftrieb sollte dieses Hybridluftschiff dabei bis zu drei Wochen in der Luft schweben und tonnenschweres Radar- und Überwachungsequipement mit sich führen können.

Long Endurance Multi-Intelligence Vehicle (LEMV) beim Erstflug 2012. Foto: United States Army

Im Vergleich zu regulären AWACS-Flugzeugen oder Drohnen versprach sich das Militär nicht nur Kosteneinsparung durch einen geringeren Kerosinstoffverbrauch, sondern strebte auch eine verlässlichere und unterbrechungsfrei anhaltende Aufklärung an: Luftschiffe haben mittlerweile durchaus eindrucksvoll bewiesen, über einzigartige Flugeigenschaften zu verfügen. Vor allem das kontinuierliche Schweben und Anhalten über fixen Bodenpunkten hätte hierbei für die militärische Radarkontrolle sowie elektronische Telekommunikationsüberwachung nützlich sein können - von diesen Aussichten getrieben, bestellte die Army Mitte 2010 für 517 Mio. $ einen Prototypen sowie zwei weitere Luftschiffe.

Unter Federführung des amerikanischen Rüstungskonzerns Northrop Grumman begann das Konsortium fortan mit seiner Arbeit. Doch sowohl der öffentliche Auftraggeber als auch die Unternehmen begingen zum Projektbeginn den im Militär vielgesehenen Fehler, zu schnell zu viel zu wollen: Binnen nur 18 Monaten sollte das Luftschiff, von dem bis dato nur ein autogroßer Prototyp existierte, entwickelt, konstruiert und samt Erstflug getestet werden. Die Army erhoffte sich nämlich einen möglichst schnellen Einsatz im Kampfgebiet.

Das Programm jedoch hatte seit seinem Start mit zeitlichen Verzögerungen zu kämpfen. Im August 2012 erfolgte zwar der vielbeachtete und von der Industrie herbeigesehnte Erstflug. Spätestens hier wurde eine Verzögerung von mindestens als 8 Monaten offensichtlich. Doch die zeitlichen Probleme sollten nicht die einzige Hürde bleiben, vor der das Projekt stand.

Das U.S. Government Accountability Office, ein Pendant zum deutschen Bundesrechnungshof, nahm vor rund einem Jahr sämtliche vom Pentagon finanzierten Aerostat- und Luftschiffprojekte unter die Lupe. Der Öffentlichkeit und insbesondere dem amerikanischen Steuerzahler wurden durch diese Studie die Grenzen des Projektes erstmalig vollkommen offengelegt: Das LEMV war zu diesem Zeitpunkt mehr als 5.000 kg zu schwer, was nicht nur die Aufnahme von tonnenschwerer Überwachungssensorik unmöglich gemacht hätte: Statt - wie geplant - wochenlanger Einsätze wären sie nur tageweise erlaubt gewesen.

Die Daseinsberechtigung des LEMVs war nach dem bisher nicht wiederholten Erstflug und dem GAO-Report nun völlig in Frage gestellt. Weder konnte der Prototyp die erhofften wochenlangen Einsätze fliegen, noch würde er das zur Überwachung notwendige tonnenschwere Equipment überhaupt aufnehmen können. Doch erst im Februar 2013 verkündete die Army, das Projekt abzubrechen und die Verträge mit Northrop, HAV und den weiteren Konsortialpartnern aufzukündigen. 297 Mio. $ waren bis dahin an die Entwicklungspartner geflossen. Der wahre Wert der militärischen Luftschifftechnologie und die tatsächliche Entwicklungsleistung von Northrop Grumman & Co. sollte sich aber erst in den kommenden Monaten herausstellen.

Statt 10 Millionen nur noch 300.000 US-Dollar

Die Beschaffungsorganisation des US-Verteidigungsministeriums versuchte nämlich nach der Bruchlandung des Projektes anfänglich noch, den Prototypen für 44 Millionen $ zurück an den Hersteller HAV zu verkaufen. Zumindest den Materialwert erhoffte sich das Militär bei diesem Verkauf wieder zu erlösen. Anstatt das Gegenangebot in Höhe von 10 Millionen. zu akzeptieren, pokerten die Militärs und versuchten eine höhere Summe über eine Auktion zu erzielen.

Vor kurzem wurde nun bekannt, dass HAV tatsächlich meistbietend aus dem Verfahren hervorgegangen ist. Der britische Produzent blieb jedoch einziger Bieter und zahlte nun statt den ursprünglich gebotenen 10 Millionen nur noch rund 300.000 $. Der wahre Marktwert und militärische Nutzen des LEMV wird spätestens an diesem Restwert sichtbar - weniger als 1% des Kaufpreises erhielt die Army zurück und zahlte damit teures Lehrgeld.

Ungewollt ironisch gab ein Sprecher der U.S. Army gegenüber der Los Angeles Times zu, "ein wenig von der Technologie gelernt zu haben" - auch wenn es am Ende des Tages nur die Einsicht war, "die Technologieentwicklung nicht fortzuführen".

Für die britische HAV kommt dieser Kauf vermutlich wie ein wahr gewordener Traum daher: Gegründet wurde das Unternehmen vom vor wenigen Jahren verstorbenen Luftschiffkonstrukteur Roger Munk, dessen Unternehmen über die Jahre mehrfach insolvent gingen. Laut Unternehmensbilanzen brachte das LEMV bis Ende des Geschäftsjahres 2012 mehr als 80 Mio. $ an Umsatz ein.

Man ist gespannt, ob es den rund 40 Mitarbeitern in den kommenden Jahren gelingen wird, den Prototypen des Luftschiffs weiterzuentwickeln. Ursprünglich angedacht war das LEMV-System nämlich als Lastenluftschiff. Rätselhaft bleibt, warum der Kauf des Luftschiffs auf der Unternehmenshomepage und der Fachpresse gegenüber bis dato noch nicht feierlich verkündet wurde. Und es stellt sich die Frage, wie viel Kapital und Expertise innerhalb der HAV aktuell überhaupt noch vorhanden ist.

Die Geschichte der Luftschifffahrt bleibt damit vorerst wieder einmal nur eine ewige Wiederkehr des Gleichen: Schon die den treuen Telepolis-Lesern bekannte CargoLifter AG, als auch Boeing hatten sich in den 1990er und 2000er Jahren an Lastenluftschiffen versucht. Gemein hatten beide Unternehmen, dass es ihnen zur tatsächlichen Projektrealisierung an Kapital fehlte. Beide forderten kurz vor Projektabbruch finanzielle Unterstützung durch den Staat.

Kaum vorstellbare 7 Milliarden $ hat das amerikanische Verteidigungsministerium jedoch in der 2012 abgelaufenen, fünfjährigen Rechnungsperiode für verschiedene Luftschiff- und Aerostat-Technologien ausgegeben. Nach marginalen Erfolgen sind weitere staatlich finanzierte Projekte in den kommenden Jahren sehr unwahrscheinlich. Es bleibt daher abzuwarten, welche Geschichte HAV in den kommen Jahren schreiben wird.

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