Wie Chemie zur Biologie wurde

Ein möglicher Vervielfältigungszyklus von Protozellen (Grafik: Katarzyna Adamala)

Forschern ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg gelungen, die Entwicklung des Lebens im Labor nachzuvollziehen

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Am Anfang war die Ursuppe. Vor etwa vier Milliarden Jahren, die Erde war gerade mal ein paar Hundert Millionen Jahre jung, muss es auf dem Planeten irgendwo die passenden Bedingungen gegeben haben, damit sich anorganische zu organischen Molekülen verbinden konnten - die Voraussetzung für Leben, wie wir es kennen. Den genauen Ablauf konnten die Forscher bis heute nicht rekonstruieren.

Es gibt keine wirklichen Zeugen. Bekannt ist allenfalls die Zusammensetzung der Atmosphäre, die zunächst wohl ein für den Menschen ziemlich giftiges Gemisch aus Wasserdampf, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff, Ammoniak und Methan gewesen sein muss. Der intensive Vulkanismus hatte diese Stoffe aus der Erdinneren geblasen. Es regnete dauernd, wobei wegen der Hitze ein großer Teil der Niederschläge gleich wieder verdampfte. Die kleineren Lachen der Ursuppe stellten wohl die Grundlage dar, auf der sich irgendwann Chemie in Biologie verwandelte.

Am wahrscheinlichsten erscheint heute den meisten Forschern die RNA-Welt-Hypothese. Demnach basierten die allerersten Lebensformen auf Ribonukleinsäuren als Informationsträger. RNA hat den Vorteil, dass sie einerseits wie DNA Informationen speichern, zum anderen aber auch wie heutige Eiweiße dazu fähig, chemische Reaktionen zu beschleunigen. Die stabilere DNA hingegen braucht Proteine, die sie andererseits erst herstellen muss, um Kopien von sich herzustellen.

Andererseits besitzt RNA unter den oben beschriebenen Bedingungen auch ein Handicap: Das Molekül ist sehr empfindlich. Wie wahrscheinlich ist dann, dass es per Zufall in der Ursuppe schwimmend einen zweiten Strang finden und sich daran anlagern kann? Die Lösung dieses Problems ist eine Hülle, die die RNA vor der Umgebung schützt, jedoch trotzdem keine der Voraussetzungen der Evolution ausschließt. Seit etwa fünf Jahren ist bekannt, dass Fettsäuren diese Rolle ausfüllen können.

Sie bilden kugelartige Formen, die für die Rohstoffe der RNA durchlässig sind. Doch haben sich diese im Inneren der Hülle zu einfacher RNA vereinigt, ist diese zu groß, ihren Unterschlupf wieder zu verlassen. Die Protozelle wächst durch Aufnahme weiterer Fettsäure-Moleküle, und sie vermehrt sich durch physische Krafteinwirkung: Wenn die Zelle aus irgendeinem Grund zerreißt, können sich unterschiedliche RNA-Bruchteile in verschiedenen Tochterzellen wiederfinden.

Doch es gibt ein Problem. Damit die RNA sich an ihrer eigenen Vorlage duplizieren kann, werden jede Menge Magnesium-Ionen benötigt. Ohne diese Ionen kein RNA-Leben. Doch gleichzeitig zerstören Magnesium-Ionen die Wände der Fettsäure-Hüllen.

Im Wissenschaftsmagazin Science zeigen Forscher nun, dass es dafür einen simplen Ausweg gibt, der auch schon vor vier Milliarden Jahren zur Verfügung gestanden haben könnten: Die Ionen der Zitronensäure binden die Magnesium-Ionen gerade so fest, dass sie den Hüllen der Protozellen nichts anhaben können - aber doch auch wieder locker genug, dass sie ihrer Funktion bei der Vervielfältigung der RNA noch nachkommen.

Die Forscher haben damit einen wichtigen Meilenstein erreicht, eine mögliche Geschichte des Lebens auf der Erde aufzuzeigen. Trotzdem haben sie noch ein paar Probleme vor sich: Bisher gelang es im Labor zum Beispiel nicht, RNA-Basen dazu zu bewegen, sich an einen wachsenden RNA-Strang anzulagern. Der Prozess der Duplizierung ohne bereits vorhandenes, als Muster dienendes Duplikat ist bisher eben sowenig erklärt wie die Frage, wie genau die anfänglichen RNA-Fragmente in der Protozelle aus den Ausgangsstoffen entstanden sind.