Ein Weltmarkt für Internet-Bildung

Abschied vom Hörsaal vor Ort. Bild: Uni Erfurt/CC-BY-SA-3.0

Der Unterricht im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit - Teil 1

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Immer mehr Menschen nutzen "Massive Open Online Courses" (MOOCs). Interessante Bildungsangebote umsonst, das ist eine feine Sache! Aber dabei wird es nicht bleiben. Die technisch avancierte Internetlehre wird die Hochschulbildung insgesamt verändern. Durch Automatisierung, Offshoring und Crowdsourcing ermöglichen MOOCs eine umfassende Rationalisierung, die unsere Vorstellung davon, was akademische Bildung eigentlich bedeutet, gründlich umkrempeln wird.

Nach Feierabend auf dem Sofa im eigenen Wohnzimmer, mit dem Laptop auf dem Schoss. Am Schreibtisch in der Uni-Bibliothek. Beim Pendeln mit dem Zug auf dem Nachhauseweg. In Gütersloh, Rom, New York oder Delhi. Weltweit machen Millionen Menschen Gebrauch von MOOCs.

Mit dem E-Learning von einst haben diese Internetkurse nicht mehr viel gemein. MOOCs sind weit mehr als mit wackelnder Kamera abgefilmte Vorlesungen. Die guten unter ihnen verbinden aufwändig produzierte Clips, in denen führende Wissenschaftler ihre Erkenntnisse erklären, mit Grafiken und Animationen, Hausaufgaben und quiz-artige Übungen, Arbeitsgruppen der Teilnehmer, Lernmaterial und betreute Diskussionsforen, in denen offene Fragen geklärt werden. Und all das umsonst.

Neue Plattformen für solche Internetlehrgänge schießen gegenwärtig wie die Pilze aus dem Boden. In Deutschland hat Iversity mit Kursen begonnen und nach eigenen Angaben Ende Januar 2014 bereits mehr als 330.000 eingeschriebe Nutzer. Bei OpenHPI, wo das Hasso-Plattner-Institut MOOCs zu informationstechnischen Themen bereitstellt, sind es insgesamt 53.000 Teilnehmer aus mehr als 114 Ländern. In Großbritannien soll noch dieses Jahr Future Learn starten, ein Tochterunternehmen der britischen Open University, die schon lange Fernstudiengänge anbietet. Aus Australien kommt Open2Study, und auf europäischer Ebene bietet OpenUpEd Kurse in französischer, italienischer und deutscher Sprache an. Der französische Mobilfunk-Konzern Orange wiederum will ab Ende des Jahres den riesigen frankophonen Markt in Afrika erobern.

Und so weiter, und so fort: MOOC wird Mainstream. Auch die inhaltliche Bandbreite der Angebote wird größer. Von "Unternehmensethik für Fortgeschrittene" bis zu "Python-Programmierung", mittlerweile gibt es Kurse aus beinah jeder akademischen Disziplin. Die meisten Kurse behandeln zwar immer noch technische (vor allem informationstechnische) Themen, aber es finden sich immer mehr naturwissenschaftliche, betriebswirtschaftliche und, etwas seltener, geisteswissenschaftliche MOOCs.

Einsteigen, der Zug fährt ab!

Möglicherweise werden die neuen europäischen Anbieter eine Nische finden, indem sie Kurse in anderen Sprachen als Englisch anbieten. Denn nach wie vor beherrschen MOOC-Portale aus den USA den Weltmarkt. Ihre Dominanz beruht unter anderem darauf, dass die neue Welle der Internetlehre vor drei Jahren von amerikanischen Eliteuniversitäten wie Stanford, dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard University angestoßen wurde. Der größte Anbieter ist Coursera mit 400 verschiedenen Kursen, 87 Partneruniversitäten und annähernd fünf Millionen Nutzern. Ebenfalls beachtlich ist Udacity mit 750 000 Nutzern (2012) und edX mit aktuell etwa 1,3 Millionen. Von diesen kommen etwa zwei Prozent aus Deutschland.

Die Nutzerzahlen wachsen scheinbar unaufhaltsam, gleichzeitig fließen hohe Investitionen in die entstehende Branche. Marktführer Coursera gab im Juli bekannt, man habe in einer zweiten Finanzierungsrunde 43 Millionen Dollar akquiriert (knapp 32 Millionen Euro), zusätzlich zu den 22 Millionen Dollar (etwa 16 Millionen Euro), die letztes Jahr eingeworben wurden. In ähnlichen Dimensionen bewegt sich edX: Das gemeinnützige Tochterunternehmen von MIT und Harvard wurde mit insgesamt 60 Millionen Dollar ausgestattet (44,5 Millionen Euro) und ist technisch besonders ambitioniert. Udacity wiederum warb im Frühjahr Investitionen in Höhe von 21 Millionen Dollar ein (15,5 Millionen Euro).

In Deutschland werden kleinere Brötchen gebacken. Iversity gibt die Summe, die bei der zweiten Finanzierungsrunde dieses Jahr zusammenkam, offiziell nicht bekannt. Immerhin weiß man, dass zu den Investoren www.mediainvestors.de und T-Venture gehören, mithin große Spieler im deutschen Medienkapitalmarkt. BMP hält laut einem aktuellen Portfolio-Bericht 25 Prozent der Anteile an Iversity in einer Höhe "zwischen 0,5 und 1,5 Millionen Euro". Der zweite warme Geldregen für Iversity dürfte sich also höchstens auf sechs, mindestens auf zwei Millionen Euro belaufen haben.

Enorme Zuwächse bei den Nutzern und immer größere Investitionen, auf diesen beiden Aspekten beruht die Erfolgsgeschichte, die landauf, landab über die MOOCs erzählt wird. Nur, das ist die Tarantel in der Sahnetorte, Gewinne gibt es keine. Noch nicht? Wie die Internetlehre überhaupt profitabel gemacht werden soll, ist völlig offen. Stattdessen haben die Start up-Unternehmen eine "Vision" im Angebot, nämlich die "Demokratisierung von Wissen", "Bildung für alle überall auf der Welt" oder, wie ein Anbieter mit schwer zu übertreffendem Pathos formuliert:

Unsere Mission ist, Menschen in die Lage zu versetzen, grenzüberschreitend zu lernen, und mit weltweiten Verbindungen eine hervorragende Bildung möglich zu machen.

Eine große Vision und viel Kredit, demnächst also viel Schulden. Viele Nutzer, kein Geschäftsmodell.

Dieses Muster klingt bekannt. Noch befindet sich die MOOC-Branche in der Phase des Hypes, in der die Unternehmen auf Wachstum statt auf Gewinn setzen. Noch regieren übersteigerte Erwartungen und die Angst, etwas zu verpassen.. Aber wie bei vergleichbaren Internetblasen der Vergangenheit wird eine Marktbereinigung früher oder später unausweichlich sein. Wer jetzt in diesen "Zukunftsmarkt" drängt, will die anstehende Pleitewelle überleben und danach den sprichwörtlichen Fuß in der Tür haben. Denn solange niemand sagen kann, wie groß der Markt für Internetbildung letztendlich werden wird, ist es für die Konzerne und Universitäten riskant, nicht dabei zu sein.

In diesem Sinne zitierte die Zeit Gregor Erkel, "Mitinitiator des neuen strategischen Geschäftsfelds Education bei der Deutschen Telekom":

Jetzt entscheidet sich: Wollen wir dabei mitmachen - oder wollen wir warten, bis der Zug abgefahren ist?

Ganz ähnlich formuliert das britische Public Policy Institute in einem Text zum Thema mit dem geradezu beängstigenden Titel Eine Lawine kommt - Hochschulbildung und die bevorstehenden Revolution":

Eine Regel gilt für jeden, der einer Lawine im Weg steht: Stehen zu bleiben, ist keine gute Idee.

Dabei sein ist alles, jedenfalls vorläufig. Aber die "1-Million-Euro-Frage" bleibt offen: Woher eigentlich soll der Profit der MOOC-Firmen kommen? Prinzipiell kommen nur drei Geldquellen in Frage:

  • Die Leute zahlen dafür, dass sie von einem MOOC Gebrauch machen.
  • Firmen bezahlen für die Daten der Nutzer.
  • Hochschulen bezahlen dafür, dass sie die Plattformen nutzen dürfen.

Diese verschiedenen Möglichkeiten müssen einander nicht unbedingt ausschließen. Im Gegenteil: Aller Voraussicht nach werden die Geldströme aus all diesen Richtungen fließen.