Von Hitler zum Hobbit

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Das Böse der Banalität: "Der Hobbit: Smaugs Einöde" von Peter Jackson handelt nicht nur von einem Zwergenaufstand, es ist auch ein gernegroßer Film

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Peter Jackson hat ein, zwei Gänge hochgeschaltet. So lahmarschig sein erster "Hobbit"-Teil vor einem Jahr begonnen hatte (Mittelerde in den Grenzen von 1937), so sehr zieht Jackson jetzt spürbar das Tempo an und garniert seinen neuesten Tolkien-Film mit Actionelementen und hinzuerfundenen Figuren, die insgesamt vor allem den Zweck haben, dass ihm diesmal keiner wie im letzten Jahr nachsagen kann, dem Film fehle die Handlung und überhaupt trete alles auf der Stelle. Tut es natürlich doch. Es ist nur besser versteckt. Dafür sind die Schwäche und die Flachheit von Tolkiens Vorlage noch deutlicher erkennbar. Und wenn man über Handlung und Stil nachdenkt, ist alles nur noch ein abstoßender Schwachsinn.

Am Ende sind alle Fragen offen: "What have we done?", fragt leider nur Bilbo, nicht Peter Jackson, der besser im Auenland geblieben wäre. So aber muss er wie die Helden des Films offenbar den vagen Väterauftrag erfüllen: "Take back your homeland". Gut, dass wenigstens nicht jeder sich sowas zu Herzen nimmt.

Ein Hobbit ist ein Hobbit ist ein Hobbit. Und Peter Jackson ist Peter Jackson ist Peter Jackson - klar. Wäre auch zuviel verlangt, dass sich alles ändert. Trotzdem ertappt man sich auch im Fall von "Der Hobbit: Smaugs Einöde" mehr als einmal bei dem Gedanken, was wohl der Mexikaner Guillermo del Toro aus der Vorlage gemacht hätte.

Bekanntlich war del Toro ursprünglich als Regisseur für "Der Hobbit" vorgesehen. Dann wurde er von Jackson und der MGM rausgeschmissen, zum Teil, weil Jackson nach nur kurzem Tolkien-Burnout wieder Lust auf einen zweiten Trip nach Mittelerde bekam, vor allem aber, weil del Toro sich der Strategie des Hollywood-Studios verweigerte die schmale Vorlage auf drei Monumentalfilme zu strecken, allenfalls zwei Teile gebe das her.

Womit del Toro unbedingt Recht hatte, wie die ersten beiden Teile belegen. Aber Jackson und MGM haben in Tolkien längst eine perfekte Gelddruckquelle entdeckt, pressen den Stoff daher aus bis zum Geht-nicht-mehr und setzen zu Recht auf den nie versiegenden Appetit der Tolkinisten auf Neues aus Mittelerde, auf die Blindheit und zum Teil Dummheit der Fans dafür, wie ihre Begeisterung ausgenutzt und vor den Karren einer Gelddruckmaschine gespannt wird.

Sie lassen sich von Jackson einfach alles gefallen. Und gerade die in diesem Fall offenkundig werdende Hybris, Tolkien willkürlich zu verändern und bestimmt eines Tages auch weiterschreiben zu wollen. Wetten, dass Jackson das tut, wenn auch die letzte authentische Tolkien-Zeile ausgepresst und verwertet ist?

Wobei das Authentische ja kein Wert an sich ist. Und "Der Hobbit" war eben eigentlich mal ein Kinderbuch, kein Roman für Erwachsene, auch wenn er mit einem Kinderstoff nichts mehr gemein hat.

Über "Smugs Einöde" kann man feststellen, dass der Film seinem Titel alle Ehre macht, dass auch dieser Film wieder wie alle Tolkien-Filme Jacksons mäandert, sich für zu vieles zu viel Zeit nimmt, diverse Erzählstränge anfängt und dann deren lose Enden mitschleppt. Es ist ein einziger in die Länge gezogener und breit gequetschter Brei aus Bildern und Kitsch und schlechter Musik und noch schlechteren Ideen.

Jeder Charakter, der keine Schuhe trägt, ist mir zutiefst sympathisch. (Peter Jackson)

Und es macht alles nicht wirklich besser, dass sich dieser Film an Eingeweihte richtet, an Fans, dass er eine Gemeinde formen will. Denn dass das mit Tolkien und in Jacksons Händen so gut funktioniert, finanziell sowieso, das sollte uns eher zu denken geben, so wie wir uns über andere Dinge ja auch mit guten Gründen aufregen, ob Bunga-Bunga in Italien, das ungarische Mediengesetz oder die große Koalition.

Jacksons Tolkien-Filme könnte man nun sagen, sind Bunga-Bunga für Kinder, aber eine solche Feststellung führt auch nicht weiter. Man möchte sich amüsieren, und das funktioniert heute über Konsum, und natürlich ist es besser Tolkienist zu sein, als manches andere zu machen.

"Der Hobbit: Smugs Einöde" ist bekanntlich der Mittelteil der Trilogie, ein Film ohne Anfang und Ende also, mit einem recht abrupten Cliffhanger. Auch dessen unvorbereitete Plötzlichkeit weist jenen Zuschauern, die ihren Verstand hier nicht sowieso gleich ausschalten, darauf hin, wie miserabel das dramaturgische Talent Jacksons ist - wenn man es überhaupt so nennen will.

Dieser Regisseur versteht es nicht, Spannungsbögen aufzubauen, Ellipsen zu konstruieren, zusammenzuführen, er reiht einfach aneinander. Seine Filme ähneln einer Fernsehserie, und sie sehen auch so aus. Und auch das Prinzip der Wiederholung hat er von ihnen geborgt.

Ästhetik des Aufschubs

Man wandert und wandert durch immer gleich aussehende Bergkämme, durch irgendwelche Wälder, über eine Wiese, die kaum überraschend so saftig grün ist wie früher in der Werbung für "Irischer Frühling"; mal ist Gandalf dabei, mal sind die Zwerge unter sich.

Dann passiert irgendwas angeblich wahnsinnig Gefährliches, aber wir wissen, dass alle das heil überstehen, also kann man weiterdösen, wenn der Sound nicht zu laut wird, weil sowieso alles gähnend langsam vorangeht. Auf 90 Minuten wäre der Film immer noch nicht wirklich schnell, auf 160 ist er eine Qual. Wahnsinn, was Leute sich selbst zumuten, weil sie glauben, es sei Kult.

Eigentlich geht es hier um permanente Verzögerung, Herauszögerung des Endes, das doch von Anfang an bekannt ist. Und weil wir ja alle wissen, dass J.R.R. Tolkien, der Autor der Vorlage, ein fundamentalistischer, reaktionärer Katholik war und ein Intellektueller, könnte man bei dieser Ästhetik des Aufschubs auch an die frühchristliche Idee des "Kathechon" denken, des "Aufhalters des Endes", was für einen Christen, da das Ende ja die Apokalypse ist, mehr Sinn ergibt als für einen Filmemacher, der sein Publikum nicht unnötig aufhalten sollte.

Damit die Zeit vergeht, gibt es viel Lärm, es wird alles hysterisch beschleunigt und aufgeladen, zugespitzt bis ins Lächerliche. Ästhetisch ist es eine Materialschlacht, inhaltlich ist sie völlig sinnlos.

Das Rezept für die zentralen Vorgänge in solchen Geschichten ist schließlich, wenn man nur die Zusammenfassungen vergleicht, ebenso "schlicht" wie das der Volksmärchen. Jedenfalls, Helden gibt es viele; gute Drachen sind rar.

J.R.R.Tolkien

Außerdem wird im Film viel geschwafelt. Vor allem der angeblich so furchterregende Drache Smug verblüfft durch seine Harmlosigkeit, die Selbstgefälligkeit seines Geredes und die Leichtigkeit, mit der er sich von Bilbo in der vorletzten Szene in ein halbstündiges scholastisches Wortgefecht verwickeln und völlig ablenken lässt. Irgendwann fällt ihm dann aber wieder ein: "I am fire, I am death" - aber da wissen wir im Kinosessel es schon besser: Dieser Drache ist vor allem Geschwätz und Dummheit.

Auch sonst gilt: Was man sich bei Tokien immer alles für unnütze Dinge merken muss: Diese Namen, diese Orte, diese Regionen. Und auch Tolkien ist irgendwann nicht Besseres eingefallen, als "the arcane stone". Geht's noch? "Der geheimnisvolle Stein" in einer Welt, die Fantasy zu sein vorgibt, in der also doch alles Mögliche irgendwie geheimnisvoll sein muss. Da ist die Bezeichnung "Der geheimnisvolle Stein" die so ziemlich geheimnisloseste, die Einem überhaupt einfallen kann.

"Einen derart großen Film wie ,Herr der Ringe' werde ich gewiss nicht wieder machen. Ich werde auch nie mehr drei Filme hintereinander drehen." Peter Jackson

Der Film sei düster, behaupten manche jetzt. Schön wär's. Ist aber glatt gelogen. Ok, es wird ab und an dunkel, und einmal scheint der Mond sehr voll. Gefahren aber lauern keineswegs an allen Ecken und Enden, denn dazu müsste den Figuren ja etwas passieren können. Geht aber nicht. Sterben tun nur die bösen Orcs, aber die sind sowieso gesichts- und persönlichkeitslos.

Aber ganz ehrlich liebe Tolkinisten: Was ist denn von Bösewichtern zu halten, die zwar ihrem Gegner zehnfach überlegen sind, und die CGI-copy-paste-Funktion auch noch auf ihrer Seite haben, aber trotzdem nicht mal dazu in der Lage sind, auch nur einem von 13 doofen Zwergen den Schädel zu spalten oder wenigstens einen Arm abzuhacken?

Ein wenig Maniküre und ein guter Friseur würde diesen Zwergen übrigens nicht schaden, so freut man sich immer, wenn die Elben mal wieder randürfen, die wenigstens ansatzweise so aussehen, wie Kinohelden aussehen müssen. Aber die eigentlich entscheidende Frage, die sich einem ja immer wieder stellt, ist:

Warum soll man sich eigentlich überhaupt für Zwerge interessieren?

Zumal wenn man sie eh nicht unterscheiden kann, da Film und Regisseur ihnen kein bisschen Zeit geben. Oder für diese Hobbits genannten Quasi-Zwerge? Weil wir selber so klein sind und unser Herz so rein und unser Leben so unscheinbar wie sie? Das heißt es ja immer wieder.

Wir haben ja auch Merkel als Kanzlerin, Gabriel bald als Vizekanzler und sind noch stolz darauf, das Heroische aus allen Feldern unseres Lebens zu vertreiben. Vielleicht ist Tolkien ein Autor für die Zukurzgekommenen, die ihre dann doch eher limitierten Größenphantasien in "Abenteuern" wie diesen ausleben können und sich dann noch irgendwie poetisch vorkommen.

Der Zusammenhang von Faschismus und Fantasy liegt schon deshalb klar auf der Hand, weil der Faschismus eines der größten politischen Fantasy-Unternehmen des vorigen Jahrhunderts gewesen ist. Weniger eindeutig zu beantworten ist die Frage, ob diese Gleichung auch in umgekehrter Richtung gilt. Nicht immer natürlich.

Offenkundig aber sind einige faschistische Fantasien in den Märchen, Horrorstoffen und Science-Fiction-Filmen des Kinos der Weimarer Republik. Ob Hans Werckmeisters "Algol" oder "Metropolis" von Fritz Lang, ob "Das Cabinett des Doktor Caligari" oder die ersten drei "Mabuse"-Filme, ob Henrik Galleens "Alraune" oder "Faust" und "Nosferatu" von Murnau - sie alle sind wie viele andere Filme der Epoche in ihrer Verbindung aus Allmachtstraum und Mordphantasie trunken von Ahnungen des zukünftigen Unheils und als solche Seismographen der "things to come" (H.G.Wells).

Was wird man im ähnlichen Rückblick nach ein paar Jahrzehnten wohl in Peter Jacksons Tolkien-Verfilmungen erkennen?

Die Hobbitmaschine

In jedem Fall Todestrieb und Todesnähe, das Spiel mit Phantasien von Selbstmord und Massensterben. Überhaupt Gewaltphantasie. Wie oft werden hier Köpfe abgehackt, wie oft wird getötet? Und zwar namenlos. Dazu ein schreckliches Massengrab, für Frauen und Kinder. Schwerer wiegt der Satz eines der vielen Sub-Helden kurz vor Schluß: "If this is to end in fire, we will burn together."

Als ob das gemeinsame Sterben ein Trost wäre - aber der Antimoderist Jackson meint es offenbar genau so. Masada ist überall. Auch der Abspann-Song dröhnt in die gleiche Hirnkerbe:

And if we shall die tonight, we shall die together.

Das Leben der Bösen ist gegenüber dem der Helden... nun ja, äh: lebensunwert. Anders kann man es nicht ausdrücken, denn hier wird gemordet und massakriert, was das Zeug hält. Auch die Gigantomanie dieses Films hat etwas Abstoßendes. Technische Perfektion und das Berechnende von all dem verstärken das noch. Ein Film ohne Herz, eine Story ohne Herz, eiskalt, zynisch.

Tolkiens Hobbitmaschine ist in jeder Hinsicht eine rückwärtsgewandte Phantasie; nicht nur darin, dass der Film und seine Story natürlich eine reaktionäre Idylle feiern, sondern es ist auch der Versuch, den Zauber zu konservieren, den die ersten Tolkien-Verfilmungen bei den Fans auslösten.

Von Hitler zum Hobbit (13 Bilder)

Natürlich ist der ganze Tolkien-Komplex, Kulturindustrie par excellance. Und man kann diese Pseudo-Märchengeschichten auch nicht durch den Gedanken retten, dass ihnen womöglich ein verstecktes utopisches Potential innewohnt. Oder die reaktionären Phantasien damit entschuldigen, dass sie den Technik-Fetischismus der Moderne und deren verborgene Ängste zum Thema machen.

Das Gegenteil ist der Fall: Tolkiens Geschichten sind Instant-Mythen, Mythen aus zweiter Hand und in ihrem Industriecharakter das Gegenteil subversiver Ursprünglichkeit.

Sie sind glatt, ohne Sperrigkeit, ohne Reibungsflächen, eben Industrieprodukt. Und wer das nach Lektüre der Bücher noch nicht glauben wollte, der könnte es an der Tatsache ablesen, dass nichts sich für Industrieverfilmungen und Industriemerchandisingkampagnen als besser geeignet erwiesen hat. Warum wohl?

Tolkiens Instant-Mythen verraten den anarchistischen Charakter manch alter Mythologie. Sie sind, erst recht in 3-D, Bestätigung, nicht Kritik an der instrumentellen Vernunft, die in Hollywood einen ihrer eifrigsten Gegenwarts-Agenten gefunden hat.