Mitgliederentscheid: Die SPD-Führung braucht Ja-Sager

Wie Basisdemokratie simuliert wird

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Noch, so scheint es, haben es zigtausende Mitglieder der SPD in der Hand, ob aus der Großen Koalition etwas wird, am 12. Dezember um Mitternacht wird das Postfach beim SPD-Parteivorstand dicht gemacht. Dann geht es ans Auszählen.

Ein "Maximum an innerparteilicher Demokratie" nennt die Generalsekretärin das Verfahren, und der Parteivorsitzende rühmt es als Durchbruch ins Plebiszitäre. Auf den Parteibetrieb hin betrachtet, denn die Große Koalition hat nicht die Intention, für die Bundespolitik Volksbegehren und Volksentscheid einzuführen.

"Verbindliches Mitgliedervotum" steht auf dem Stimmzettel, der ausgefüllt werden soll. Es darf "Ja" oder "Nein" angekreuzt werden zu der Frage "Soll die SPD den mit der CDU und der CSU ausgehandelten Koalitionsvertrag abschließen?" Das 185-Seiten-Papier liegt allen Mitgliedern als Sonderdruck des SPD-Magazins "vorwärts" vor.

"Sag Ja" fordern im Begleitbrief zum Abstimmungsformular alle gegenwärtigen Spitzenkräfte der Partei, und es werden 17 Punkte vorgestellt, mit denen ausgewiesen sei, was die Parteiführung "erreicht und ausgehandelt" habe. So muss sich also das Parteimitglied nicht unbedingt mit der Lektüre des Vertragstextes abmühen.

Massiver geht es nicht, wenn eine Parteispitze ihre Basis zu einer Akklamation dafür bringen will, dass sie mit den Führungen zukünftiger Partnerparteien ein gemeinsames Regieren vereinbart hat. Wer politische Entscheidungen steuern will, muss die Prozeduren auf den eigenen Erfolg hin gestalten. Das ist in diesem Fall geschehen. Beim jetzt laufenden Mitgliederentscheid der SPD wird nicht etwa abgestimmt über Alternativen: Soll die Partei in eine Große Koalition gehen? Oder den Versuch machen, eine regierende Koalition jenseits von CDU/CSU zusammenzubringen? Oder als parlamentarische Opposition tätig werden?

Das steht nicht zur Diskussion. Und ein Ja zur Großen Koalition ist situativ fast zwangsläufig vorgegeben: Wenn die Ja-Stimmen nicht reichen, so hat die Parteiführung öffentlich erklärt, werde sie abdanken. Dann wäre die SPD nachhaltig beschädigt. Eine Art "Vertrauensfrage" der Parteispitze also, mit stärkstem Druckpotenzial - wer an der Basis will schon das eigene politische Gebäude ins Wanken bringen? Unter solchen Umständen verwandeln sich gewiss so manche Nein-Stimmungen in Ja-Stimmen.

Wenig Bedeutung hat bei alledem der Inhalt des sogenannten Koalitionsvertrages. Bei diesem Text handelt es sich um eine Ansammlung von Absichtserklärungen, die größtenteils vage formuliert sind. Im Begleitbrief zum Stimmzettel heißt es beispielsweise vollmundig, die SPD-Verhandler hätten nun "erreicht": Eine "strikte Regulierung der Finanzmärkte und Banken". Da wird ein Wunsch als Wirklichkeit präsentiert, um zum "Ja" zu animieren.

Das Grundgesetz, da hätte eine Fernsehmoderatorin sich keine Sorge machen müssen, verbietet keine Anstrengungen von Parteispitzen, sich für ihre Entschlüsse die Zustimmung der Parteibasis zu beschaffen. Und verfassungsrechtlich ist es gar nicht Sache einer Partei, eine Regierung oder eine regierende Koalition ins Amt zu bringen, das steht den Parlamentariern zu, die in ihren Entscheidungen frei sind – de jure.

"Verbindlich" ist also das "Mitgliedervotum" in diesem Sinne nicht. Es hatte als Drohkulisse seine Bedeutung für die Verhandlungen mit der CDU/CSU, und jetzt wird es gebraucht, um der Parteiführung für den kommenden großkoalitionären Ablauf Rückhalt zu geben, darauf verweisen zu können, die Mitgliederschaft selbst habe sich ja so entschieden. Wer ein solches innerparteiliches Verfahren als Musterfall für den Übergang zur "Basisdemokratie" würdigt, täuscht sich selbst oder das Publikum .