Neue Indizien für archaische Mikroben auf Mars

Viking 1 im Künstlerportrait. Bild: NASA

Der Gale-Krater war dereinst von einem See bedeckt, der für bestimmte Mikroben beste Umweltbedingungen bot, berichtet ein internationales Wissenschaftlerteam der Curiosity-Mission

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Das US-Wissenschaftsmagazin Science praktiziert dies nur selten. Dennoch hat es ein auf sechs Fachartikel auferlegtes Embargo verlängert - eigens für die heute in San Francisco (Kalifornien/USA) beginnende Jahreskonferenz der American Geophysical Union, wo die Ergebnisse während eines Briefings vorgestellt wurden. In den heute in Science offiziell freigegebenen sechs Fachbeiträgen stellen internationale Wissenschaftlerteams vom NASA Mars Science Laboratory (MSL) und der Rover Mission Curiosity ihre Studien und Entdeckungen vor, die schwerpunktmäßig (exo-)geophysikalischer Natur sind. Das erste und zugleich spektakulärste Paper dürfte vor allem Astro- und Exobiologen erfreuen. Aus ihm geht hervor, dass im Gale-Krater, in dem Curiosity operiert, in grauer marsianer Vorzeit einmal ein Frischwassersee mehrere zehntausend Jahre lang existiert hat, der alle Voraussetzungen für die Ausbildung von mikrobiellem Leben mitbrachte.

Marsmeteorit ALH 84001. Sein Alter wird auf 4,5 Milliarden Jahre geschätzt. Bild: NASA

Wenn NASA-Wissenschaftler beinahe auf triumphierende Weise eine Entdeckung von wissenschaftshistorischer Bedeutung verkünden, ob im Rahmen einer Pressekonferenz, in Form eines Fachaufsatzes oder Interviews, brauchen Skeptiker einen langen Atem, wirkt doch das bei solchen Gelegenheiten vorgetragene Datenmaterial auf den ersten Blick überzeugend und sind doch die vorgelegten Indizien meist beeindruckend.

Kontroverse um Marsstein

So geschehen am 6. August 1996, als die amerikanische Weltraumbehörde NASA der Weltöffentlichkeit in einer kurzfristig einberufenen, aber dennoch viel beachteten Pressekonferenz vor laufenden Kameras einen kleinen, unscheinbaren Stein mit der kryptischen Bezeichnung ALH 84001 präsentierte und verkündete, dass es sich hierbei zweifelsfrei um einen Marsmeteoriten handelt, in dessen Innern wurmartige Strukturen zu sehen sind, die auf ehemals biologische Aktivität hinweisen. Sichtlich enthusiasmiert von dem Fund ließ sich seinerzeit sogar US-Präsident William Jefferson Clinton zu einem überaus emotionalen Statement hinreißen.

Schnell verbreitete sich die Meldung, dass in dem 1.940 Gramm schweren und kartoffelknollengroßen Meteoriten offensichtlich fossile Überreste einer mikrobenähnlichen außerirdischen Lebensform schlummern. Bis in die entlegensten Winkel der Welt drang die Kunde vor, dass wir Menschen in unmittelbarer Nachbarschaft einmal Brüder im All hatten, die gleichwohl nicht über das Stadium einer Mikrobe hinausgekommen waren.

Immer noch rätseln Astrobiologen über die fadenförmigen Strukturen in ALH 84001. Sieht man hier Restspuren von archaischen Marsbakterien? Bild: NASA

Doch wie in der Geschichte der Wissenschaft häufig geschehen, fand die vorschnell lancierte Sensationsmeldung schnell ihre Kritiker, insbesondere bei den nicht im Dienste der NASA stehenden Astrobiologen, welche die Strukturen in dem Stein völlig anderes deuteten und als das Resultat nichtbiologischer Prozesse interpretierten. Es war der Anfang des ersten Kapitels einer langen Geschichte, deren Ausgang noch völlig ungewiss ist. Bis heute stehen sich die Pro- und Contra-Lager gegenüber und streiten auch über weitere Marsmeteoriten, die ähnliche oder andersgeartete Strukturen wie ALH 84001 aufweisen.

Die Frage, ob sich in den fraglichen Marsmeteoriten nur bizarre geologische Formen oder wirklich versteinerte Relikte einer mikrobenähnlichen außerirdischen Lebensform verewigt haben, steht nach wie vor ebenso unbeantwortet im Raum wie die Frage nach Leben auf dem Mars generell.

Vikings unklarer Befund

Selbst alle bisherigen Orbiter und Sonden, die mit ihren Sensoren den Mars über lange Zeiträume hinweg intensiv abgetastet und ausgespäht haben, ja sogar die spektakulärsten Landeroboter und Rover fanden bisher keinen eindeutigen Hinweis auf eine archaische oder noch heute existierende Lebensform auf Mars.

Wie schwierig der Nachweis von Mikroorganismen auf dem Mars ist, zeigte sich bereits bei der Viking-Expedition. Denn auch die vor 37 Jahren auf dem Roten Planeten gestrandeten NASA-Roboter Viking 1 und 2 fanden keine eindeutigen Hinweise auf lebende Organismen im Marsboden.

Als die beiden Sonden seinerzeit Nährstoffe und Wasser auf den Marsboden träufelten, um eine Gasentstehung zu provozieren, die etwaige Organismen verraten hätte, registrierten die NASA-Wissenschaftler nur eine kurze Zeit lang eine Gasentwicklung. Da aber die anderen wissenschaftlichen Instrumente der Sonden nicht den geringsten Hinweis auf Spuren organischer Materialien fanden, mussten die Exobiologen ihren Optimismus zügeln. Seitdem hat keine Sonde respektive kein Rover, auch nur den geringsten direkten Hinweis auf marsianes Leben gefunden.

In indirekter astrobiologischer Mission

Als am 6. August 2013 nach 254-tägiger interplanetarer Reise der 799 Kilogramm schwere NASA-Forschungsroboter Curiosity auf den 154 Kilometer großen Gale-Krater zusteuerte und am Rande des 5,5 Kilometer hohen Mount Sharp auf feinem, ebenen Terrain aufsetzte, begann die bis dahin ambitionierteste Mars-Mission in der Raumfahrtgeschichte.

Curiosity-Rover im Selbstportrait. Bild: NASA

Vorgesehen war zu diesem Zeitpunkt, dass der Rover mindestens zwei Jahre lang den Mars mit seinen zehn Instrumenten chemisch und exo-geologisch näher unter die Lupe nimmt und dabei erkundet, wie einst die Lebensbedingungen auf dem Roten Planeten gewesen waren, und ob vor Ort Aminosäuren zu finden sind.

Doch so ehrgeizig das Programm daher kommt - die NASA-Ingenieure und Wissenschaftler verzichteten aus unerfindlichen Gründen darauf, die Forschungssonde mit einem exobiologischen Instrument, einem Spezialbohrer mit entsprechendem Labor, zu bestücken, das in der Lage gewesen wäre, potenzielles Leben auf dem Roten Planeten nachzuweisen.

Fakt ist: Nur Wasser bis in einen halben Meter Tiefe und organische Moleküle vermag Curiosity aufzuspüren; der Rover kann nur die Umweltbedingungen und Ingredienzien für Leben nachweisen - Lebensspuren auf dem Mars direkt in Gestalt von Mikroorganismen detektieren, kann er hingegen nicht.

Der Methan-Schock

Als NASA-Wissenschaftler des Curiosity-Teams vor wenigen Wochen in Science eine Studie vorstellten, der zufolge in der Mars-Atmosphäre nur sehr geringe Konzentrationen von Methan gefunden wurden, mehrten sich sogar bei einigen eingefleischten Optimisten die Zweifel, ob auf dem Roten Planeten jemals Leben existiert hat. Schließlich ist auf der Suche nach Leben auf anderen Planeten Methan der Parameter schlechthin, spricht doch seine Anwesenheit in der Atmosphäre für gegenwärtige oder vergangene biologische Aktivität.

Blick auf dem Gale-Krater. Wo sich der gelbe Punkt befindet, ist Curiosity gelandet. Bild: NASA/JPL-Caltech

Selbst der leitende Wissenschaftler für das NASA-Marsprogramm Michael Meyer gab zu bedenken, dass sich dadurch die Wahrscheinlichkeit reduziere, gegenwärtiges Leben auf dem Mars zu finden, verwies zugleich aber darauf, dass es auf der Erde zahlreiche Mikroorganismen gebe, die selbst kein Methan produzierten.

Vertreter eines chemolithoautotrophem Bakteriums - sein Name: Thiomargarita namibiensis. Bild: NASA

Doch der vermeintliche Dämpfer für alle Alien-Begeisterten könnte längst wieder Makulatur sein, weil Curiosity nunmehr doch seinem indirekten astrobiologischen Auftrag gerecht geworden ist und zumindest ein starkes Indiz für früheres Leben auf dem Mars gefunden hat.

Lebensfreundlich für chemolithoautotrophe Mikroben

Denn wie das von der American Association for the Advancement of Science (AAAS) herausgegebene Wissenschaftsmagazin Science in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, weisen neue vom Mars-Rover Curiosity gesammelte Daten darauf hin, dass auf dem Roten Planeten möglicherweise einst in grauer Vorzeit Leben existiert haben könnte. In einer Serie von sechs Fachbeiträgen stellen die Forscher ihre Ergebnisse detailliert vor, wobei das erste Paper aus astrobiologischer Perspektive das wichtigste ist.

Danach haben die sensiblen Instrumente von Curiosity gleich mehrere Indizien gefunden, die die These erhärten, dass Mars dereinst von urzeitlichen Mikroorganismen bevölkert gewesen sein könnte. So ergaben Bohrungen, Fotografien und Messungen, dass in dem Gale-Krater, dem in der Nähe des Marsäquators gelegenem Landeplatz des NASA-Forschungsroboters, mit großer Wahrscheinlichkeit einst ein See existiert hat, in dem eine ganz bestimmte Mikrobenart heimisch gewesen sein könnte, so genannte chemolithoautotrophe Mikroben.

Mastcam-Aufnahme der Yellowknife Bay. Alle markierten Punkte zeigen die Zielgebiete oder Bohrstellen, die Curiosity aufgesucht hat. Das Bild besteht aus mehreren Einzelaufnahmen und wurde mosaiksteinartig zusammengesetzt. Bild: Science/AAAS

Damit sind Einzeller gemeint, die für die Energiegewinnung und den Aufbau der Zellsubstanz keineswegs organische Verbindungen, sondern ausschließlich anorganische Stoffe nutzen. Werden chemolithoautotrophe Mikroben wie etwa Schwefelbakterien aktiv, sind sie in der Lage, Steine und Mineralien zu zersetzen und hinterlassen dabei signifikante Spuren. Auf der Erde finden sich derlei Mikroben primär in Höhlen und hydrothermalen Kanälen.

Ruhiger See mit vielen Schlüsselelementen

Dass Curiosity fündig wurde, ist einer Initiative von NASA-Forschern wie dem Geologen John P. Grotzinger vom California Institute of Technology in Pasadena (USA) zu verdanken. Sie erweiterten das Arbeitsfeld und den Aktionsradius des Rovers und versahen ihn mit einem Spezialauftrag.

Das Ziel des Roboters bestand darin, die im Gale-Krater gelegene Yellowknife Bay anzusteuern und Analysen in situ vorzunehmen. Curiosity wurde seiner Aufgabenstellung gerecht und untersuchte in der fünf Meter tiefen Kraterbucht eine thermische Anomalie.

Dort stieß der Rover, wie John Grotzinger und seine Kollegen in dem Fachbeitrag "A Habitable Fluvio-Lacustrine Environment at Yellowknife Bay, Gale Crater, Mars" berichten , auf eine Anordnung von feinkörnigen und mittelkörnigen sowie grobkörnigen Sedimentgesteine. Das Aussehen und die Feinstruktur der Steine erhärten den Verdacht, dass der Gale-Krater vor 3,6 Milliarden Jahre bereits von einem Frischwassersee bedeckt war, der mehrere zehntausend oder sogar mehrere hunderttausend Jahre lang existierte.

Verschiedene Sedimentgesteine, die Curiosity in der Yellowknife Bay vorfand und mit seinen Instrumenten analysierte. Bild: Science/AAAS

Die Analysen der Gesteinsproben ergaben, dass es sich hier um einen ruhigen, urzeitlichen See mit einem neutralen pH-Wert und niedrigen Salzgehalt gehandelt haben muss. Fernerhin kristallisierte sich während der Gesteinsanalyse heraus, dass in dem archaischen See einst viele chemische Schlüsselelemente vorhanden waren, die für die Ausbildung von biologischem Leben gemeinhin von zentraler Bedeutung sind. Tatsächlich konnten mithilfe der Curiosity-Instrumente APXS, ChemCAM, CheMin und SAM in der Yellowknife Bay Spuren von Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Schwefel, Stickstoff und Phosphor nachgewiesen werden. Prokaryontische Mikroorganismen hätten hier einen idealen Nährboden vorgefunden, so die Forscher in dem Paper:

Der regionale geologische Kontext, die sedimentologischen Rahmenbedingungen und die Geochemie und Mineralogie […] weisen allesamt auf eine urzeitliche Umgebung hin, die für eine große Bandbreite von prokaryotischen Bakterien bewohnbar gewesen wäre.

Insbesondere der niedrige pH-Wert des urzeitlichen Gewässers wäre einer Vielzahl von Bakterien zugutegekommen und hätte deren Überleben fraglos erleichtert, berichten Grotzinger und sein Team.

Weitere Science-Papers in nuce

Vier weitere Science-Artikel beziehen sich auf die Zusammensetzung der Marsoberfläche. In dem ersten Beitrag gehen David Vaniman und seine Kollegen auf eine Untersuchung ein, bei denen Curiosity mit seinen Instrumenten zwei Sedimentgesteine namens John Klein und "Cumberland" näher unter die Lupe genommen hat, aus denen mit einer Bohrung grauer Tonstein extrahiert wurde.

Frühere Studien haben vorhergesagt, dass solche Mineralien sich während der marsianen Noachian-Ära vor 4,1 Milliarden Jahren gebildet haben, aber die aktuellen Resultate sprechen eher dafür, dass die Formierung dieser Strukturen sich bis in die sich anschließende frühere Hesperian-Periode fortgesetzt hat.

Ein dritter Report, vorgelegt von Kenneth Farley und seinen Kollegen, bezieht sich auf eine Messung von radioaktiven Isotopen in der "Cumberland"-Probe und die Altersbestimmung eines Tonsteins. Die Messergebnisse sprechen dafür, dass der Tonstein in der Sheepbed-Region vor ungefähr 4,21 Milliarden Jahre (plus/minus 350 Millionen Jahre) abgelagert wurde - kurz nach dem Gale-Impaktereignis. Auf der Planetenoberfläche freigelegt wurde er indes erst vor 78 Millionen Jahren.

Erwähnenswert ist vor allem die Studie von Donald Hassler und seinen Co-Autoren, die sich mit der auf dem Marsboden niederprasselnden kosmischen Strahlung und anderer energetischer Partikel beschäftigten. Ihre Messung erstreckte sich über einen Zeitraum von 300 Tagen (Erdtagen). Dank der vorliegenden Ergebnisse können Wissenschaftler in Zukunft die theoretische Überlebensdauer von potenziellen Marsbakterien auf und unterhalb der Planetenoberfläche besser abschätzen.

Kein Grund zum Jubeln

Mit Blick auf die neue Datenlage und den neuen Indizien, die für ehemals marsianes Leben sprechen, warnt der Geophysiker Sanjeev Gupta von Imperial College London vor allzu großem Enthusiasmus. Denn auf dem Erdnachbarn stehe der direkte Nachweis von Leben nach wie vor noch aus, so der Projektwissenschaftler des MSL-Teams und Co-Autor des ersten Papers:

Es ist wichtig, festzuhalten, dass wir keine Anzeichen von früherem Leben auf dem Mars gefunden haben. Was wir gefunden haben, ist, dass der Gale-Krater vor langer Zeit wenigstens einmal in der Lage gewesen war, auf seiner Oberfläche einen See mit flüssigem Wasser zu konservieren. Dieser schuf vor Milliarden Jahren günstige Bedingungen für mikrobiologisches Leben.

Für Gupta, der mit seinem Team bereits mehrfach zuvor Marsgestein analysierte und dabei Hinweise für die Anwesenheit von Wasser auf der Oberfläche des Mars fand, ist es "aufregend", darüber nachzudenken, ob vor Milliarden Jahren in dem ruhigen Wasser des Sees tatsächlich urzeitliches mikrobielles Leben existiert hat oder nicht.

Erst mit ExoMars werden Forscher wieder in der Lage sein, direkt nach marsianen Mikroben Ausschau zu halten. Die exobiologisch angelegte Rover-Mission soll spätestens 2018 starten. Bild: ESA

Ob hier wirklich einmal Mikroben heimisch gewesen sind, steht für John Grotzinger auf einem anderen Blatt. Wie viele in NASA-Studien involvierte Wissenschaftler weicht auch er der Frage nach der Wahrscheinlichkeit von urzeitlichen Lebensformen auf dem Roten Planeten aus. Gegenüber Telepolis erklärt er:

Ich denke, dass dies eine angemessene Frage ist und dass es angemessen ist, den Mars mit Curiosity und zukünftigen Rovern weiter zu erforschen - und darüber hinaus auch vielversprechende Gesteinsproben zur Erde zu bringen.

Detaillierteres zu diesem Thema findet sich in den sechs "Science"-Fachartikeln, die ab heute unter folgenden Links kostenfrei abrufbar sind:

NASA - New Curiosity Research Papers
MSL Publications

"Curiosity’s First Year on Mars" - Lecture-Video mit vielen Infos betreffend der Rover-Expedition.