Prostitution erfolgreich unsichtbar machen

Das Modell, Freier zu bestrafen, sollte in ganz Europa Schule machen, fordern britische Politiker und Gleichstellungsorganisationen

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Das Thema "Ins Puff gehen" entwickelt sich peu à peu zur europäischen Debatte. Den Eindruck gewinnt jedenfalls, wer heute zum Guardian hinübergeschaut hat. Dort wird von einer Gruppe von Abgeordneten und Frauenrechtlerinnen berichtet, die das französische Gesetz, künftig Freier zu bestrafen, als Aufforderung zur Nachahmung verstehen - mit Blick auf Schweden und Norwegen, wo ebenfalls die Kunden von Prostituierten bestraft werden.

Der Blick auf die Kommentare zum Artikel zeigt, dass viele vor allem einen unangenehmen moralischen Zeigefinger in dem Vorschlag sehen und wenig praktischen Nutzen erkennen können.

Kritik an der praktischen Vernunft des Vorstoßes, der von der Labour-EU-Abgeordneten Mary Honeyball, Sprecherin im EU-Parlement für Frauenrechte und Geschlechtergleichheit stammt, kommt auch von einem ranghohen Polizisten, vom Assistent Chief Constable Chris Armitt, laut Zeitungsbericht zuständig für Prostitution in England und Wales. Seiner Meinung nach wäre ein Gesetz nach dem Modell Schweden, Norwegen, Frankreich "nicht hilfreich", weil die Prostitution dadurch nur in dunkle Ecken, "in dark, unsafe areas" gedrängt würde.

Diese Befürchtung, die auch in der französischen Debatte oft erwähnt wurde, wird von bisherigen Erfahrungen in Schweden, wo die Freier seit 1999 bestraft werden, bestätigt.

Unsicherheit im Arbeitsbereich "Sexarbeit" enorm gestiegen

Zwar ging, wie es auf der Webseite "Menschenhandel heute" Anfang 2012 heißt, nach offiziellen Angaben die Straßenprostitution in den Städten Stockholm, Göteborg und Malmö sichtbar zurück, um 41 Prozent, wie einem deutschen Regierungsdokument zum Prostitutionsgesetz zu entnehmen ist. Aber es sei anzunehmen, "dass das Gesetz zu einer Verlagerung der Prostitution in den Untergrund geführt hat", so "Menschenhandel heute" und ergänzt:

Ergebnisse verschiedener Studien, u.a. eines Berichtes der schwedischen Kommission, weisen darauf hin, dass die Unsicherheit im Arbeitsbereich "Sexarbeit" enorm gestiegen ist. Erstens sind SexarbeiterInnen der Gefahr von Gewaltverbrechen stärker ausgesetzt, da die Polizei aus Personal- und Zeitgründen weniger in Wohnungen und Clubs kontrolliert, sondern hauptsächlich auf öffentlichen Plätzen und Straßen.

Zweitens erhöht die drohende Strafe für Kunden diese Gefahr. SexarbeiterInnen haben nun im Anbahnungsgespräch weniger Zeit abzuklären, ob sie mit diesem Kunden mitgehen wollen oder nicht. Drittens, sehen sich vor allem SexarbeiterInnen, die keine Alternative finden, aufgrund der verschlechterten Marktlage gezwungen, auch fragwürdiger wirkende Kunden zu akzeptieren und öfter ohne Kondom zu arbeiten. Laut des Reports seien Kunden sich der schwierigen Lage der Prostituierten bewusst und würden schneller brutal.

Das Résumé zur Situation in Norwegen, wo 2004 ein ähnliches Gesetz erlassen wurde, endet mit dem lakonischen Fazit, dass Freier und die Prostituierte "erfolgreich unsichtbar gemacht" wurden.

Nichtsdestotrotz plädiert die britische EU-Abgeordnete Mary Honeyball für ein EU-weites Modell der Bestrafung von Freiern. Sie glaubt, dass die Unterstützung dafür wachse, nicht nur in Skandinavien, Frankreich und Irland.

Auch die Diskussion in Deutschland, wo man zwar nicht alle Freier, sondern nur solche, die Kunden von Zwangsprostituierten sind, künftig bestrafen will (Zwangsprostitution und menschenverachtende Praktiken im Rotlicht-Milieu härter ahnden), zeige, dass die "Desillusionierung" in Ländern wachse, wo Prostitution erlaubt sei. Verwiesen wird auch auf Holland, wo man das bisherige liberale Registrierungsgesetz ändern will.

Rotlichtbezirk Amsterdam. Foto

Ein neuer Trend?

Unterstützung für die europäische Inititiative Honeyballs kommt von Abgeordnetenkollegen ihrer Partei, Frauenorganisationen und von einer Organisation Überlebender des Sexsklavenhandels, Sex Trafficking Survivors, die davon überzeugt sind, dass die "Wurzel des Menschenhandels mit Zwangsprostituierten die Nachfrage nach kommerziellem Sex ist" und dass dies anders als bisher "adressiert" werden müsste:

Prävention sollte mit der Schaffung von Gesetzen einhergehen, die scharfe Strafen gegen Käufer von Sex und Vermittler vorsehen.

Die frühere amerikanische Staatsanwältin Lauren Hersh, nun in leitender Position nin der Organisation Equality Now hofft, dass Europa "endlich anfängt" auf solche Stimmen zu hören. Sie sieht einen neuen Trend am Entstehen, der das "nordische Modell" der Prostitutionspolitik übernimmt, die Kriminalisierung der Kunden, Vermittler und Zuhälter.

"Sex-Arbeiterinnen werden stigmatisiert"

Die Stimmen, die der o.g. Guardianbericht zitiert sind da nicht so eindeutig. So dementiert das britische Innenministerium Überlegungen zur Bestrafung von Freiern. Man verweist auf ein neues Gesetz gegen den Menschenhandel, das demnächst veröffentlicht wird. Allerdings, so die Kritiker, hat es vor allem eine Schwäche: die Prostitution würde dort nicht deutlich genug angesprochen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Debatte über schärfere Prostitutionsgesetze auch in Großbritannien nach Veröffentlichung des Anti-Menschenhandels-Gesetz weitergehen. Das "englische Kollektiv Prostituierter" fürchtet, dass der Trend, die Kunden zu bestrafen, das Leben der Prostituierten schwieriger gestalte:

All it will do is make it more difficult for women to protect themselves and stigmatise sex workers even further.