"Männer, für die es keine Bezeichnung gibt"

Müssen sich Männer vor einer Beziehungsrevolution fürchten?

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Nach ihrem Buch "Die geprügelte Generation", in dem sich Ingrid Müller-Münch mit dem "Heranwachsen in der Prügelrepublik Deutschland" (FAZ) befasste, hat sich die Journalistin und Autorin nun einem anderen Thema zugewandt, das ebenfalls an eine Diskussion anschließt, in der viel Gefühl im Spiel ist, namentlich das Gefühl, als Frau unterdrückt zu werden, übervorteilt, ausgenutzt, alten, überholten, aber dennoch noch immer vorherrschenden männlichen Machtansprüchen ausgeliefert zu sein. Es geht der Buchautorin um "eine Beziehungsrevolution", die nun nötig werde, da Frauen beruflich immer besser vorankommen, wie sie in einem Interview erklärt.

Schon der Titel ihres neuen Buches - "Sprengsatz unterm Küchentisch" - lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Autorin an Zuspitzungen gelegen ist. Das ist auch fürs Marketing besser. Im Gespräch mit dem Ressort Karriere des Spiegel legt sie Kostproben aus, die schließlich in einem bemerkenswerten zornigen Ausbruch gipfeln:

Ich rede von Männern, für die es keine Bezeichnung gibt. Wären sie eine Frau, dann würde man sie Hausfrau nennen. Die Männer, die ich meine, sind keine Hausmänner. Sie sind ein Nichts. Nehmen Sie die Opel-Mitarbeiter, die Kohlekumpel, die vielen aus der Stahlindustrie, die ihre Arbeit verloren haben - das sind keine Hausmänner. Die meisten von ihnen waschen nicht, bügeln nicht, kochen nicht, sie machen nichts. Sie schämen sich und werden depressiv. Aber wenn ein Mann seinen Job verliert, bleibt den Frauen nichts anderes übrig als vorzupreschen. Und da sie im Schnitt 23 Prozent weniger verdienen als die Männer, brauchen sie oft mehrere Teilzeitjobs, um die Familie zu ernähren.

Hollywood hat aus solchen Stoffvorlagen gute Filme gemacht, als es von großen Autoren wie Tennessee Williams beliefert wurde. Im Hollywwod-Film gehören Dialoge dazu, so wird aus dem einfachen Grundszenario echtes, komplexes Leben. Literatur nimmt sich Zeit, den Kontext auszulegen. Bei Müller-Münchs Interviewaussagen kommt es wie bei Comedy lediglich auf die Pointe an. Der Kontext wird missbraucht. Es geht um Geschlechtergleichheit und dafür nimmt sich die Autorin eine einfache Formel, die auf allen Ebenen unbehelligt von einem "Ist das wirklich so?"-Gedanken durchdekliniert wird.

Die Formel ist die Gegenüberstellung von aktiven, guten Frauen und passiven, bösen Paschas, die dann im obigen Zitat zum Nichts werden. Am Anfang des Interview geht es um Chefetagen, um ein anderes Einkommensmilieu also als bei den Opelarbeitern.

In den Chefetagen werde sich mit der über die Frauenquote bestärkte Öffnung die Atmosphäre in den Unternehmen verändern, so Müller-Münch, in dem Sinne, dass "sich nicht mehr nur Männer wohlfühlen".

Auch das ist eine Behauptung, die in ihrer Ausschließlichkeit überzogen ist. Auch wenn der Eindruck einer Männergesellschaft in den Chefetagen, die in ihren sozialen Fähigkeiten oft erbärmlich weit dem hinterherhinken, was sie an beruflichem Kompetenzniveau verlangen, und was sie an psychologischen Fähigkeiten bei Hierarchie-Machtspielen aufbringen, vielerorts bestätigt wird.

"Sie erobern die Jura- und Medizinfakultäten und die Dax-Vorstände"

Ob sich diese systemische berufliche Deformierung mit mehr Frauen verändert, wie Müller-Münch behauptet, ist Optimismus, der des schönen Bildes wegen mit Vereinfachungen arbeitet. Man könnte, um auf der pauschalen Ebene zu bleiben, auch dagegen stellen, dass Frauen, die zum Militär gehen, sich oft mindestens so hart geben wie Männer.

Langfristig werden Frauen in den Chefetagen die Atmosphäre in den Unternehmen verändern. Und zwar so, dass sich nicht mehr nur Männer hier wohlfühlen. Sondern auch gut ausgebildete Karrierefrauen, die dennoch gern Kinder und Familie hätten und dafür das entsprechende Umfeld brauchen. Die anders Entscheidungen treffen, anders auftreten, anders miteinander umgehen, als dies Männer tun.

Von der Chefetage aus schaut Müller-Münch dann auf ein großes Panorama: Frauen, die besser verdienen als die Männer, die "Ernährerinnen" sind, in 20 Prozent der Haushalte soll dies in Deutschland bereits der Fall sein. Müller-Münch sieht einen Eroberungsfeldzug im Gange: "Das sind ungefähr sechs Millionen Frauen. Sie erobern die Jura- und Medizinfakultäten und die Dax-Vorstände."

Dies habe Konsequenzen nicht nur auf die Arbeitswelt, sondern auch auf die Partnerschaften, eine "Beziehungsrevolution" sei unweigerlich Folge dieser Veränderungen. Wobei sich nur die Frauen verändern, als Konstante bleibt das Verharren der Männer.

Beide Partner haben nach wie vor traditionelle Bilder im Kopf: Männer sind die Ernährer, Frauen dürfen etwas dazuverdienen und haben angeblich einen Instinkt für Hausarbeit. So das traditionelle Bild. Aber Top-Verdienerinnen wollen eben abends nicht das Frühstücksgeschirr wegräumen.

Von den Topverdienerinnen wird dann nach einem kurzen Aufenthalt bei Paaren, wo der Mann "für eine Weile" Hausmann ist, sogleich ins Milieu des Ex-Stahlarbeiter-Haushalts gesprungen, wo der Mann dann seine Passivität bis zum Nichts auslebt.

Gleichberechtigung und Stillstand

Nun verweisen unzählige Untersuchungen der letzten Jahre tatsächlich darauf, dass die traditionelle Rollenverteilung im Haushalt auch bei Paaren beobachtet wird, bei denen Frauen mehr als die Männer verdienen.

Allerdings gibt es dazu in den USA bemerkenswerte Beobachtungen. Zum einen, dass der Anteil der Frauenarbeit im Haushalt gegenüber dem Anteil der Hausarbeit von Männern schrumpft, wie dies der Soziologe Philip N. Cohen darlegt:

Wives outearn their husbands in 28 percent of couples - a historic high. These gains have led to an impressive reduction in the disparity between husbands; and wives’ housework. Today wives only do 1.7-times as much housework as their husbands.

Zwar bleibe ein beträchtlicher Unterschied, so Cohen, aber der Arbeitsmarkt könne den Weg für mehr Gleichheit bereiten. An diesem Punkt kommt die zweite Beobachtung aus den USA ins Spiel: Die meisten Fortschritte zu mehr Gleichheit in der Arbeitsaufteilung habe es in den 1970er und 1980er Jahren gegeben. Seit Mitte der 1990er Jahre wird ein Stillstand der Entwicklung zu mehr Gleichheit verzeichnet.

Mehr arbeiten

In einer größeren Analyse ("Why Gender Equality Stalled") sucht die amerikanische Familienhistorikerin Stephanie Coontz Erklärungen dafür und findet zwei interessante Angelpunkte.

Zwar werde das Ideal der Gleichberechtigung und des Konsens darüber, dass beide Partner ihrem Beruf nachgehen und sich die häusliche Arbeit teilen, auch in den späten 1990er Jahren beibehalten, aber es gelte offensichtlich: wenn die Situation kritisch wird, tendieren Paare dazu, in alte Rollenverteilungsmuster zurückkehren - "der Mann als Hauptverdiener". Ob dies nun die richtige Entscheidung ist, dazu gibt die Historikerin keine Bewertung ab. Sie stellt jedoch heraus, dass sich beide für diese Rollenverteilung entscheiden.

When family and work obligations collide, mothers remain much more likely than fathers to cut back or drop out of work. But unlike the situation in the 1960s, this is not because most people believe this is the preferable order of things. Rather, it is often a reasonable response to the fact that our political and economic institutions lag way behind our personal ideals.

Die Veränderung der wirtschaftlichen Umstände, die Coontz hier als relevant heranzieht, ist der stetige Anstieg der Arbeitszeiten bis in die heutige Zeit. Diejenigen, die Arbeit haben, wenden zu 40 Prozent für ihren Beruf mehr als 50 Wochenstunden auf, mehr als früher. Bei den Doppelverdienern betrage die durchschnittliche Arbeitszeit zwischen 82 und 100 Stunden die Woche. So würde aus dem politischen Problem, der für Unternehmen günstigen Vollauslastung der Arbeitnehmer ein privates.

Dies widerspricht dem nicht, dass die alt hergebrachte Rollenverteilung für viele Frauen unglücklich ist, zeichnet die Männer aber nicht als Pascha-Karikaturen und lenkt den Blick auf das große wirtschaftliche Problem hinter vielen Beziehungskrächen: gute Arbeitsplätze, die Paaren Luft- und Spielraum geben.

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