"Machen Sie nie den Fehler, Ihren Regierungsvertretern völlig zu vertrauen"

Der Expertenrat zur NSA-Überwachung gibt zwar nur unverbindliche Empfehlungen aus, aber er stellt ein System bloß

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Eine bloße Formalie mit brav-amtlichen, angepassten Empfehlungen ist der mehr als 300 Seiten starke Experten-Bericht zur NSA-Datenschleppnetzfischerei nicht. Es finden sich darin ein paar bemerkenswerte Stellen und Formulierungen, wie etwa auf Seite 114, wo es heißt: "Amerikaner dürfen auf keinen Fall den Fehler machen, unseren Staatsvertretern 'komplett' zu vertrauen."

Im Licht des Berichts, so Glenn Greenwald, der Übermittler von Snowdens Enthüllungen, werde es schwieriger den Wistleblower als Schurken darzustellen, der für lange Jahre hinter Gitter gehört. Er weist dazu auch auf das Urteil des New Yorker Gerichts hin, das ein paar Tage zuvor das NSA-Überwachungsprogramm als "almost Orwellian" bezeichnete - und als nicht verfassungskonform.

Dass grundlegende Freiheitsrechte der Bürger von der NSA-Datenkrake derart gewürgt werden, dass man sie auf jeden Fall besser vor dem Zugriff der Geheimdienste schützen muss, ist auch der rote Faden des Experten-Berichts. Er folgt der Absicht, bürgerlichen Grundrechten stärkeres Gewicht zu geben, und dem Überwachungsapparat bessere Hürden entgegenzustellen.

Forderung nach mehr richterlichen Genehmigungen

Die Handschrift der drei beteiligten, bekannten Juraprofessoren ist deutlich, ebenso die Vorbehalte der beiden Sicherheitsexperten Richard Clarke und Michael J. Morell, ehemals an der CIA-Spitze. Für Clark läuft der Bericht darauf hinaus, dass dem technisch Möglichen ein Riegel vorgeschoben werden muss: "because we can doesn’t mean we should".

46 Empfehlungen haben die Experten ausgearbeitet, um die "überschießende Überwachung" einzudämmen und das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder herzustellen.

Sie sprechen neuralgische Punkte an: Dass die Geheimdienste und das FBI in allen Bereichen der Datennachfragen künftig mehr richterliche Order benötigen, dass Daten der Telekom-Dienste nicht mehr so leicht weitergegeben werden dürfen, auch die Befugnisse des Geheimgerichts Foreign Intelligence Surveillance Court sollen beschränkt und deren Aktivität transparenter gemacht werden; die Überwachung der Kommunikation von US-Bürger ins Ausland stärker begrenzt werden, ebenso das Sammeln von Daten ausländischer Bürger sowie die Überwachung ausländischer Rehierungschefs. Vieles gut gemeint und auf Linderung öffentlicher Kritik auch von anderen Regierungen (Deutschland, Brasilien) aus.

Kein Nachweis für den Erfolg der Datensammlung

Die Einzelheiten der Vorschläge werden von bekannten Kritikern derzeit genauer unter die Lupe genommen, so etwa bei Empty Wheel. Was dort und bei Greenwald bislang zutage gefördert wird, zeigt, dass die Experten neben dem großen, die Öffentlichkeit irritierenden, Komplex der Datensammlung mit großem Schleppnetz auch einen Blick hatten für die Dinge, die eher im Schatten der populären Debatte lagen. So zum Beispiel die dünnbödige Behauptung der US-Regierung, dass die Großdatensammlung habe bereits zu Erfolgen bei der Vereitelung von Anschlägen geführt. Diesen Behauptungen werden im Bericht klar widersprochen.

Our review suggests that the information contributed to terrorist investigations by the use of section 215 telephony meta-data was not essential to preventing attacks and could readily have been obtained in a timely manner using conventional section 215 orders.

Auch das Aushöhlen von Verschlüsselungssystemen ist Thema des Berichts, ebenso die Industriespionage. In der Empfehlung Nummer 31 heißt es, dass Regierungen Überwachungsprogramme "nicht zum Stehlen industrieller Geheimnisse verwenden soll, um sich einen Vorteil zu verschaffen".

Die Grenzen sind deutlich. Der Bericht ist ein Good-Will-Dokument guter Absichten, ohne Verbindlichkeit. Präsident Obama will im Januar ein Statement dazu abgeben; zunächst einmal dürfte der Bericht ein paar Wogen glätten, mit dem Hinweise darauf, wie kritisch ein vom US-Präsidenten geschaffenes Gremium mit der Sache umgeht.

Nowendige symbolische Stellungnahme; Verlagerung der Datensammlung auf Telekom-Dienste

Bemerkenswert bleibt allerdings, dass die Experten mit Kritik und Empfehlungen weiter gegangen sind als vielleicht erwartet. Dass auch dieser Bericht auf die orwelliansche Dimension der Überwachung hingewiesen hat, wird als Referenz bleiben, auch wenn die Regierung keine der Empfehlungen in Verordnungen und Gesetze umsetzt.

Ohnehin ist es illusorisch anzunehmen, dass sich Geheimdienste an Grundrechte halten. Das Katz-und Mausspiel mit gesetzlichen Vorgaben wird bleiben, doch ist es nötig, die Grundrechte besser zu schützen, die Freiheiten der Geheimdienste durch höhere Hürden einzuschränken, sie auf Gerichte und Rechtssprechung zu verweisen und der Öffentlichkeit gegenüber zu dokumentieren, dass Freiheitsrechte noch ernstgenommen werden.

Dass man im Umgang mit privaten Daten ohnehin schon auf einem fatalen Weg sehr weit gegangen ist und unakzeptable Dinge billigend in Kauf nimmt, darauf verweist die Kritik der Electronic Frontier Foundation am Empfehlungspapier:

Der vom Präsidenten einberufene Expertenrat ist in Übereinstimmung mit dem Konsens, dass die massenhafte elekronische Überwachung keinen Platz in der amerikanischen Gesellschaft hat. Der Bericht schickt eine Menge interessanter Reformgedanken in die Debatte und wir sind sehr froh darüber, dass er die NSA-Angriffe auf Verschlüsselung und andere Sicherheitssysteme, auf die sich Bürger verlassen müssen, verurteilt.

Aber wir sind enttäuscht darüber, dass die Empfehlungen weiter auf einen Weg des ungezielten Ausspionierens setzen (nämlich auf Vorratsdatenspeicherung der Telekom-Unternehmen, Anm. d. A.). Massenüberwachung bleibt abscheulich, auch wenn es private Server sind, auf denen die Daten gespeichert werden und keine Datenzentren der Regierung.