Steuern, Versteigerungen und Totalüberwachung

Eine schöne Bescherung für Griechenland

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"In den drei Monaten, in denen Sie mit der SPD um den Koalitionsvertrag gefeilscht haben, haben sich in Griechenland 120 Menschen das Leben genommen", kommentierte Sahra Wagenknecht für die Linke im Bundestag die Regierungserklärung der Kanzlerin. Für Frau Dr. Angela Merkel ist Europa vorangekommen. Die Frage ist nur, wohin der Weg führt.

Ein Demonstationszug gegen die Versteigerungen im Zentrum Athens. Bild: W. Aswestopoulos

Weihnachtsgeschenke von der Troika

In weiteren Passagen ihrer Antwort an die Kanzlerin erwähnte Wagenknecht, dass während der drei Monate der Koalitionsverhandlungen in Spanien knapp 45.000 Häuser und Wohnungen zwangsversteigert wurden. Das gleiche Schicksal steht nun hunderttausenden Griechen ins Haus.

Pünktlich zum Weihnachtsfest beschloss das griechische Parlament eine Lockerung des Versteigerungsschutzes. Das entsprechende Schutzgesetz war 2008 auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise von der Regierung Kostas Karamanlis erlassen worden. Der konservative Regierungschef wollte seinerzeit mit einem Verbot von Versteigerungen der einzigen Wohnung für Bankschulden unter 200.000 Euro ein Gegengewicht zu den Belastungen der teuren Bankenrettung schaffen. Schließlich sind die Verluste der Banken seinerzeit per Gesetz auf die Bürger übertragen worden.

Zu Beginn der Regierungsperiode des damaligen PASOK-Chefs Giorgios Papandreou (2009 bis 2011) initiierte die Wirtschaftsministerin Louka Katseli zudem ein Privatinsolvenzrecht, dass eher unter dem Namen "Katseli-Gesetz" als unter seiner amtlichen Bezeichnung 3869/10 bekannt ist. Bekanntlich bürgten die Hellenen im Zuge ihrer Schuldenkrise erneut für missglückte Geschäfte der Banken. Das Volk haftet weiterhin für die Verfehlungen seiner Regierung, während immer noch die gleichen Politiker, welche das Schlamassel verursacht haben, nun die Rettung versuchen. Katseli, die mittlerweile der PASOK den Rücken gekehrt hat, hatte mit ihrem Gesetz zumindest etwas Abhilfe geschaffen.

Die aus IWF, EU und EZB zusammengesetzte Kreditgebertroika fand hier einen Fehler im System. Sie bestand darauf, dass die Banken besser geschützt werden müssten. Kurz, die Versteigerungen müssen her.

Die Bankenwelt selbst wollte dieses Geschenk nicht annehmen. Die Finanzinstitute fürchten, dass das resultierende Überangebot nicht nur die Preise ins Bodenlose fallen lässt, sondern auch die Buchwerte der Banken so drückt, dass weitere Finanzhilfen nötig sind. Aller Widerstand war zwecklos, die Lockerung der Versteigerungen wurde noch am vergangenen Wochenende durchs Parlament gepeitscht.

Kopfsteuern als "sozial gerechte Maßnahme"

Im September 2011 hatte der damalige Finanzminister Evangelos Venizelos als "Krisenversicherungsprämie" und, wie immer wieder betont wurde, kurzfristig eine Kopfsteuer auf Immobilien eingeführt. Jetzt als Vizepremier, kann er sich nicht mehr an seine früheren Reden erinnern. Sein Premier, Antonis Samaras, wurde seinerzeit als Oppositionsführer nicht müde zu betonen, dass die x-te Immobiliensteuer die Wirtschaft zerstören und die Gesellschaft spalten würde.

Nun ist er selbst Premier und wandelt die kurzfristige Krisensteuer in eine dauerhafte Abgabe um. Nominell gab es dabei eine kleine Steuerermäßigung. Allerdings hatte diese nicht nur einen Haken. Zunächst werden die Steuern anhand von Wertetabellen für offizielle Immobilienschätzpreise berechnet. Diese fiskalischen Schätzungen stiegen in der Krise, während die tatsächlichen Immobilienpreise ins Bodenlose sanken. Eine Wohnung mit sechzig Quadratmetern im Athener Viertel Kypseli kostet laut den Tabellen des Finanzamts 90.000 Euro und wird auch entsprechend besteuert. Erfolglos zum Kauf angeboten wird sie seit Monaten für Barzahler zum Preis von 18.000 Euro.

Die neue, "sozialere" Kopfsteuer für das Domizil kostet, wenn alle Multiplikatoren eingerechnet werden, künftig 286,34 Euro pro Jahr. Für sich allein sieht diese Summe nicht unbedingt erschreckend aus. In Relation mit den durchschnittlichen 510,95 Euro als Bruttolohn, die den Bewohnern zur Verfügung stehen, wenn sie nicht gerade zu dem einen Drittel der arbeitslosen Erwerbsbevölkerung oder zu den besser gestellten, hoch qualifizierten Arbeitnehmern zählen, sieht es schon anders aus. Zur vereinheitlichten Immobiliensteuer hinzu kommt die Kommunale Steuer von 19,80 Euro im Jahr, die kommunale Abgabe von 99 Euro sowie die Steuer auf Immobilien, die für die ärmere Wohnregion Kypseli für diese Wohnung nur knapp 3,20 Euro betragen. Die resultierenden 408,34 Euro entsprechen somit fast genau dem üblichen Nettoeinkommen eines Monats, wie sich anhand von Tabellen berechnen lässt.

Immerhin sinken die Verkaufssteuern für die Immobilien von acht bis zehn Prozent künftig auf drei Prozent. So wird der Immobilienbesitzer des Beispiels "nur" 2.700 Euro statt vorher 8.600 Euro zahlen, weil auch diese Steuer anhand der fiskalischen Schätztabellen und nicht auf Basis des tatsächlichen Verkaufspreises berechnet wird. Für die Lohnsteuer bringt der Besitz, aber auch die Miete einer Wohnung als fiktives Einkommen die Jahressumme von 5.000 Euro. Dieses fiktive Gehalt wird zusammen mit anderen Indikatoren addiert und daraus ermittelt sich dann die Lohnsteuer. Hat unser Modellgrieche Kreditraten, so wird dieses negative Einkommen ebenso addiert wie ein Kraftfahrzeug. Zumindest fällt die angesprochene Wohnung nicht unter die Immobilien, welche das Finanzamt auf 300.000 Euro schätzt. Denn dann wären noch weitere Abgaben fällig.

Kurz, jedermann kann sich bereits mit 3.000 bis 5.500 Euro in die eigenen vier Wände einkaufen, während Mieten selbst für das finsterste Loch ab 150 Euro pro Monat beginnen. Angesichts der Steuerbelastung kauft jedoch kaum jemand. "Sei brav, sonst schenk ich Dir eine Immobilie", lautet die übliche ironische Reaktion auf die allgemeine Unsicherheit.

Die ebenso wie die Versteigerungen am Wochenende im Eilverfahren beschlossenen neuen Immobiliensteuern sehen zudem vor, dass auch leer stehende Immobilien mit fiktiven Mietsteuern belegt werden. Ebenfalls besteuert werden die Äcker der Bauern, auch wenn es felsige Brachländer sind, während größere Betriebe, wie Industrieanlagen oder Hotels, ausdrücklich ausgenommen werden.

Zugleich mit dem Immobiliensteuergesetz peitschte Finanzminister Stournaras auch einen neuen Strafenkatalog für säumige Steuerzahler durchs Parlament. Wer mehr als zwei Monate nach dem Stichtag zahlt, kriegt zehn Prozent Säumniszuschlag als Strafe. Im zweiten Jahr werden noch einmal 20 Prozent und danach 30 Prozent fällig. Zusätzlich dazu fallen nicht unerhebliche Zinsen an. Auch hier sieht das Reformgesetz auf den ersten Blick logisch und gerechtfertigt aus. Einerseits betreffen die angesprochenen Strafen auch unseren Modellbürger, der anhand von Schätzeinkommen schnell zum Steuersünder wird, andererseits ist der Staat selbst nicht konsequent.

So trudelten im September 2013 tausendfach Zahlungsaufforderungen für die "Steuer auf Immobilien 2012 und 2011" in die Briefkästen der Steuerzahler. Beide Steuern waren 2013 im Nachhinein als weitere Belastung für Häuslebesitzer beschlossen worden. Der Haken an den Schreiben war, dass sie sämtlich auf Mitte Juni bis maximal Ende Juni datiert waren. Offensichtlich brauchten die Schreiben mehr als zwei Monate, um ihren Weg durch die Wirren des Finanzamts und das Labyrinth der griechischen Post zu finden. Dass dies tausendfach vorkam, müsste eigentlich als Indiz für die Steuerzahler gewertet werden. Die Finanzämter sahen es anders und verhängten Säumniszuschläge.

Beschwerden bei der Post oder gar den Finanzämter stoßen auf taube Ohren. Die Verzögerung wird mit einem: "Wir haben wegen der Reformen kein Personal mehr" entschuldigt.

Die Ärzte der Welt schmückten ihren Baum mit Milchkonserven - sie sammeln und verteilen Nahrung an Bedürftige. Bild: W. Aswestopoulos

24 Minuten Ruhm für Vyron Polydoras

All diese Reformen kosteten die Regierungskoalition einen weiteren Abgeordneten. Vyron Polydoras, ein früherer Parlamentspräsident, mehrfacher Minister und in den Neunzigern Kandidat für den Vorsitz der Nea Dimokratia, konnte sich nicht mehr zurückhalten. In einer Brandrede, seinem ersten Auftritt im Parlament seit seiner Zeit als Parlamentspräsident im Mai-Juni 2012, zerpflückte er den "Sparkurs" der Regierung als Katastrophe fürs Volk.

Polydoras meinte, dass er dieses Gesetzeswerk, das für ihn mit einer Enteignung der Bürger gleichkommt, niemals akzeptieren könne. Stattdessen solle das Parlament einen Entschluss fassen. "Sagen wir der Troika doch endlich, nein, wir zahlen nicht, weil unsere Kinder und unser Volk ansonsten verhungern." Außer diesem populistischen Satz lieferte Polydoras Finanzminister Stournaras zahlreiche Vorschläge, wo dieser Geld finden könne, nämlich bei der Besteuerung der reicheren Griechen. Diese werden jedoch durch das neue Immobiliensteuergesetz entlastet.

Premier Samaras goutierte Polydoras Auftritt in keiner Weise. Er schmiss ihn umgehend raus aus der Partei. So verbleiben der Regierungskoalition nunmehr 153 von insgesamt 300 Abgeordneten. In die Legislaturperiode gestartet waren die Nea Dimokratia und die PASOK um Juni 2012 mit 162 Parlamentariern.

Samurai oder Verräter?

Griechenland wäre nicht Griechenland, wenn zum politischen Alltag nicht die übliche, dramatisierende Wertung folgen würde. Mit seinem "Nein zu allem" im Parlament wurde Polydoras augenblicklich zum Helden der Opposition und einer großen Mehrheit der Bürger. Weil sich der gewitzte Politiker auf seine Ehre berief, kam der Vergleich mit den japanischen Samurai in nahezu alle Medien. Vergessen wurde, dass Polydoras als Minister die verheerendsten Waldbrände der jüngeren Landesgeschichte zu verantworten hatte.

Seinen Nepotismus hatte er mit der Verbeamtung seiner Tochter ebenfalls zu Genüge bewiesen. Für die in politischen Fragen oft mit dem Erinnerungsvermögen eines Goldfischs ausgestatteten Wähler wurde er trotz allem zum Held. Lob gab es sowohl aus der linken Opposition als auch von Rechtsaußen. Die Chryssi Avgi Thessaloniki lobte den Politiker als "echten Patrioten".

Für die eigene Fraktion ist er alles andere als ein Ehrenmann. Dort gilt er nun als Verräter. Fraktionschef Makis Voridis mahnte, dass "Samurai ihre Gefährten niemals verlassen". Vizepremier Venizelos reagierte noch panischer auf die sinkende Mehrheit im Parlament. Er bezeichnete die Vertreter der SYRIZA-Fraktion als Schurken und Faschisten.