"Erfolg" in Irland: Auswanderung senkt Arbeitslosigkeit

Weiterhin verlassen täglich 100 Iren die grüne Insel, damit sinken die Arbeitslosigkeit und die Kosten der Sozialversicherung, aber die Zukunft des Landes wird schwer belastet

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Wie erwartet wurde der Öffentlichkeit am 15. Dezember die große Irland-Erfolgsshow präsentiert. Das Land hat den Rettungsschirm zugeklappt und braucht offiziell keine Nothilfe 2.0 wie Griechenland. Dabei ist der angebliche Erfolg auf allen Ebenen teuer erkauft und man hat eher mit einem irischen Märchen zu tun. Denn die Schulden steigen auf immer neue Rekordwerte, das Haushaltsdefizit wird 2013 erneut hohe 7,3% betragen. Es soll aber sinken, weil die Regierung an Sozialausgaben spart und täglich 100 Einwohner "exportiert" werden. Nur deshalb ist die Arbeitslosenquote auf nur noch 12,5% im November gefallen. Andere Krisenländer wie Griechenland oder Spanien verzeichnen mehr als doppelt so hohe Quoten. Doch wegen der Auswanderung werden dramatische soziale und wirtschaftliche Folgen in die Zukunft erwartet. Vor allem gutausgebildete junge Menschen kehren ihrer Heimat den Rücken, in der Zukunft wird ein Fachkräftemangel erwartet.

Vom linken Neues Deutschland bis zum rechten Handelsblatt kamen viele zu einem ähnlichen Ergebnis. Irland sei ein "Musterschüler", weil das Land nun wieder auf eigenen Füßen stehe. Denn am 15. Dezember hat Irland als erstes Krisenland den Rettungsschirm verlassen und soll sich nun wieder eigenständig über die Kapitalmärkte refinanzieren.

Doch es gibt auch abweichende Meinungen. So meint die Neue Züricher Zeitung (NZZ), Irland sei eher zum "Musterschüler verdammt", und liegt damit deutlich näher an der Realität. Die NZZ zitiert den bekannten irischen Schriftsteller James Joyce, um die Lage vieler Menschen im Land zu beschreiben. In seinem Meisterwerk "Ulysses" schreibt Joyce: "Geschichte ist ein Albtraum, aus dem ich aufzuwachen versuche." Denn viele Iren sehen sich weiter in einem Alptraum, aus dem sie lieber gestern aufgewacht wären. Um dem zu entgehen, zieht es immer mehr Iren ins Ausland, weil sie in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen.

So ist ein Positivwert, mit dem Irland im Vergleich zu anderen Krisenländern aufwarten kann, über Auswanderung teuer erkauft, die von der irischen Regierung aktiv gefördert wird. Denn dadurch wurde erreicht, dass in den letzten 18 Monaten die Arbeitslosenquoten wieder gesunken sind. Im November sank die Quote nun saisonbereinigt auf 12,5%, gaben die irischen Statistiker bekannt. Gegenüber den mehr als doppelt so hohen Quoten in Griechenland und Spanien sieht das richtig gut aus. Das gilt auch gegenüber dem Krisenland Portugal, in dem die Arbeitslosenquote in den letzten Monaten ebenfalls leicht gesunken ist, aber mit 15,7% anders als Irland noch deutlich über dem Durchschnitt im Euroraum von 12,1% liegt. Irland scheint Erfolg zu haben, denn noch vor einem Jahr lag die Quote auf der grünen Insel mit 14,1% fast so hoch wie in Portugal.

Doch dem Abbau der Arbeitslosigkeit steht eine sogar noch höhere Zahl an Auswanderern entgegen. Damit entpuppt sich das als Scheinerfolg. Es ist ein Scheinriese wie in Jim Knopf von Michael Ende. Denn Herr Tur Tur wirkt nur groß - wie der Erfolg bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Irland -, wenn man ihn sich aus weiter Ferne anschaut. Schaut man sich den Scheinriesen und die irische Arbeitslosenquote aber aus der Nähe an, dann ist Herr Tur Tur genauso groß ist wie jeder normale Mensch. Die Zahl der Arbeitslosen wäre in Irland ohne eine massive Auswanderung sogar gestiegen, anstatt zu sinken. Denn wie die Daten des Central Statistics Office (CSO) im irischen Cork zeigen, sank die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt von November 2012 und November 2013 um 26.700.

Auswanderung als "Lebensstil"

Ganz abgesehen von üblichen Tricks, mit denen Arbeitslosenzahlen geschönt werden, zeigen die CSO-Statistiker auch auf, dass Irland schon seit fünf Jahren eine negative Einwanderungsquote ausweist. So sind in den letzten drei Jahren täglich 100 Menschen mehr Menschen ausgewandert als eingewandert. Es waren also etwa 3.000 pro Monat und mehr als 33.000 im Jahr. Ohne die Auswanderer hätte Irland also etwa 6.000 Arbeitslose mehr anstatt knapp 27.000 weniger.

Setzt man die Auswandererzahlen in einen historischen Kontext, dann muss man in die Hungerjahre des 19. Jahrhunderts zurückschauen, um solche Ergebnisse zu finden. In der großen Hungersnot Zwischen 1841 und 1844 emigrierten durchschnittlich 50.000 Iren pro Jahr und gingen vor allem nach England, Kanada, Australien und in die USA. Was für viele ein Traum ist, ist für den irischen Finanzminister Michael Noonan ein "selbst ausgesuchter Lebensstil". Er behauptete sogar, die Auswanderung habe nichts mit der Wirtschaftskrise zu tun, zitierte ihn der britische Guardian. Die britische Zeitung macht seit langem darauf aufmerksam, dass Iren wieder in Scharen in Richtung Liverpool abwandern.

Für den Finanzminister ist es offensichtlich kein Skandal, dass erstmals wieder fast so viele Menschen wie in der großen Hungersnot das Land verlassen. Wenn Noonan von einem neuen Lebensstil spricht, schließt er wohl von seiner Familie auf andere. Es zeigt sich, dass er offensichtlich jede Bodenhaftung verloren hat, wenn ein gut verdienender Minister, der selbst drei im Ausland lebende Kinder hat, erklärt: "Es gibt immer junge Leute, die nach Irland ziehen oder aus Irland wegziehen, und manche von ihnen sind Auswanderer im herkömmlichen Sinn. Andere wollen einfach eine Zeit lang die Insel verlassen." Dass in Irland das weitgehend anders gesehen wird, kann in einem Blog nachvollzogen werden, den die Irish Times schon lange unter dem Namen "Generation Emigration" betreibt.

Viele der Auswanderer der letzten Jahren sind einstige Einwanderer, die der "Keltische Tiger" in den Boomjahren angelockt hatte. Sie zieht es nun in die Heimat zurück oder sie ziehen in andere Länder weiter. Doch die Zahl der Iren, die das Weite suchen, hat im letzten Jahr deutlich zugenommen. Sie ist nun um fast 50 Prozent auf 35.200 gestiegen und das ist eine fatale Entwicklung für ein Land mit einer Bevölkerung von nur gut vier Millionen. Zudem legen Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat nahe, die aber nur bis ins Jahr 2011 reichen, dass die Beschäftigungsverhältnisse derer, die noch einen Job haben, immer prekärer werden. Denn die Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist deutlich gestiegen ist. Waren 2001 nur 16,5% in Teilzeit tätig, waren es 2011 schon 23,5%.

Die genauere Betrachtung von nackten statistischen Zahlen macht also deutlich, dass real die Vernichtung von Arbeitsplätzen anhält, auch wenn die gesunkene Arbeitslosenquote genau das Gegenteil zu zeigen scheint. Und das wirft ein Schlaglicht auf die angebliche Gesundung Irlands. Und, wie gesagt, handelt es sich bei der Arbeitslosenquote um eine der wenigen Zahlen, die scheinbar eine positive Entwicklung anzeigen. Gesagt werden sollte aber auch, dass dieses Krisenland die Rezession im zweiten Quartal 2013 hinter sich lassen konnte. Ob das nachhaltig ist, muss sich noch zeigen. Schließlich war Irland in diesem Jahr zum zweiten Mal in den Krisenjahren in die Rezession zurückgerutscht.

Weiter in der Schuldenspirale

Aber bei Finanzminister Noonan und in der irischen Regierung herrscht nicht nur in der Frage der Auswanderung eine gewisse Realitätsverweigerung vor. Zum Ausstieg aus dem Rettungsschirm sagte Noonan, er fühle sich sehr gut damit. "Wir sind zuversichtlich, einen sauberen Ausstieg hinzulegen." Mit Blick auf Ratingagenturen, welche die Anleihen des Landes immer noch als "Ramsch" bewerten, meint er, dass das Vertrauen in die irische Wirtschaft gestiegen sei. "Wir sind kein Schrott", sagte er. "Es geht uns gut."

Nun gut, sogar die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) sieht das anders. Christine Lagarde erklärte, die Tragfähigkeit der Staatsschulden bleibe "anfällig" und die Arbeitslosigkeit sei zu hoch. Jeglicher Aufschwung werde zudem durch die hohe Verschuldung der privaten Haushalte belastet. Was die Tragfähigkeit der Staatsschulden angeht, drückt sich Lagarde mit besonders geschönten Worten an der Realität vorbei. Denn das Haushaltsdefizit soll nach Noonans Angaben 2013 weiter mit 7,3% ausfallen und damit immer noch mehr als doppelt so hoch sein, als das Stabilitätsziel von 3% vorgibt. Das soll angeblich 2015 wieder eingehalten werden.

Doch dann hat sich Irland noch weiter vom zweiten wichtigen Maastricht-Kriterium entfernt. Denn danach soll die Verschuldung höchstens 60% des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Schon jetzt ist die Staatsverschuldung auf 125,7% des BIP geklettert, womit die grüne Insel fast Portugal und Italien eingeholt hat. Einst hatte der IWF eine Verschuldungsquote von 90% als kritische Grenze gesehen (IWF warnt vor hohen Staatsschulden). Heute spricht Lagarde nur von "anfällig", wenn griechische Verschuldungsquoten erreicht werden.