Der ideelle Gesamtjournalist

Die großen Pressehäuser tauschten in diesem Jahr kräftig Personal durch

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Auf dem Medienmarkt ging es 2013 turbulent zu. "Bild"-Redakteure wechselten zum "Spiegel", ehemalige "Spiegel"-Chefs gingen zum Springer-Verlag und dann schwang sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" auch zum Retter der "Frankfurter Rundschau" auf: Der ideele Gesamtjournalist wird immer realer.

Ende Februar 2013 kaufte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die "Frankfurter Rundschau" auf. Aber keinesfalls ging es dabei darum, sich lästiger Konkurrenz zu entledigen, im Gegenteil. Die "Faz" garantierte den Fortbestand der "Frankfurter Rundschau" als unabhängige, linksliberale Tageszeitung. Diese solle "auch in Zukunft wesentlich zur Meinungsvielfalt beitragen", versicherte "Faz"-Geschäftsführer Tobias Trevisan.

Im August kam es dann zu einer nicht minder verblüffenden Transaktion. Der neue "Spiegel"-Chefredakteur Wolfgang Büchner wollte "Bild"-Vize Nikolaus Blome zu seinem Stellvertreter nominieren. Das scheiterte aber am Widerstand der Redaktion, weshalb "Pleitegriechen"-Erfinder Blome nun mit der Leitung des Hauptstadt-Büros vorliebnehmen muss.

Den umgekehrten Weg bestritten im Oktober Matthias Matussek und im Dezember die beiden ehemaligen "Spiegel"-Bosse Stefan Aust und Georg Mascolo. Sie heuerten allesamt beim Springer-Verlag an.

"Es gab mal eine Zeit, da wäre die Übernahme der Frankfurter Rundschau durch die Frankfurter Allgemeine Zeitung undenkbar gewesen", kommentierte Thomas Schmid in der "Welt" den Coup und schilderte dann den Graben, der die beiden Journale an ihrem gemeinsamen Standort trennte. "Fast sieht es wie eine Demütigung im Gewande von Mildtätigkeit aus", bemerkt "der Mann, der den Springer-Boykott der Linken beendete". Das Motiv dürfte jedoch ein anderes gewesen sein. Die "Faz" fühlte sich "Lonely at the Top" und befürchtete, ohne einen Counterpart Identitätsprobleme zu bekommen, denn zum Demokratie-Spiel braucht es immer mindestens zwei.

Beim TV-Sender "Phoenix" spielt Jakob Augstein dieses Spiel gerne mit Nikolaus Blome. Darum hatte der "Freitag"-Verleger auch gar nichts gegen einen Wechsel von Blome zum Hamburger Nachrichtenmagazin und setzte sich als Sprecher der "Spiegel"-Erbengemeinschaft trotz heftiger Unmutsbekundungen aus den Redaktionsstuben für den "Bild"-Mann ein: "Gute Leute bekommen immer Gegenwind." Nur eine Sorge trieb ihn um: "Ich hoffe, dass ich meinen Sparringspartner nicht verliere." Am Ende stände er dann mit Jan Fleischhauer alleine da, dessen rechte Haken er bei "Spiegel online" mit linken kontern darf.

Wolfgang Büchner, der seine journalistische Ausbildung beim katholischen "Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses" absolvierte und selber einmal kurz bei der "Bild"-Zeitung war, konnte die Aufregung um Blome ebenfalls nicht verstehen. Er halte nichts vom "Silodenken", äußerte er laut "Süddeutscher Zeitung" auf einer Mitarbeiter-Versammlung. Und in einem Brief an die Leser pries Büchner Blome als hervorragenden Journalisten mit einem seriösen und preisgekrönten Vor-"Bild"-Leben.

Kontakte - Produktionsmittel im "Hauptstadtjournalismus"

Ausschlaggebend für Büchners Wahl wird aber wohl weniger Blomes ruhmreiche Karriere als vielmehr dessen Handy gewesen sein. Der ehemalige Zeitsoldat gilt nämlich als außerordentlich gut vernetzt in Berlin mit vielen Drähten zu Politikern und Zugang zu Hintergrundkreisen. Und er hält damit auch nicht hinter dem Berg. "Ich habe vorher für die 'Welt' gearbeitet - auch kein kleines Blatt, auch Teil der Bundesliga - und muss sagen, dass Zahl und Geschwindigkeit der Türen, wie sie sich öffnen und wie viele sich öffnen, bei der 'Bild'-Zeitung deutlich höher ist", gibt Blome zu Protokoll und hält fest: "Die 'Bild'-Zeitung fährt immer mit (...)."

Auf die Nutzbarmachung solcher Kontakte für den "Spiegel" hofft Büchner. Diese gelten heutzutage nämlich als wichtigstes Produktionsmittel im "Hauptstadtjournalismus", weil sie der Schlüssel sind zu dem, worauf es in Zeiten zunehmender Konkurrenz und sinkender Auflagen zuvörderst ankommt: Exklusivität und Schnelligkeit. Für Schreiber längerer Ausdauer findet sich dagegen am Regierungssitz kaum Verwendung, wie die Studie "Journalismus in der Berliner Republik - Wer prägt die Agenda in der Bundeshauptstadt?" ermittelt hat.

"Idealistische Ziele von investigativer Recherche und wehrhafter Unabhängigkeit mussten laut Aussage der Befragten im Berliner Medienalltag jedoch weitgehend aufgegeben oder zumindest adjustiert werden. Vor allem Kurzatmigkeit und Zeitmangel im journalistischen Berufsalltag durchkreuzen allenthalben den hehren Anspruch sorgfältiger und reflektierter Politberichterstattung", konstatiert die Untersuchung von Leif Kramp und Stephan Weichert.

Und dabei Haltung zu bewahren, gelingt auch nicht allzu vielen. Das fröhliche Alternieren von Meinungen gehöre mittlerweile zum guten Ton, beobachtete die im Februar verstorbene Journalistin Tissy Bruns, und für den ehemaligen RTL/n-tv-Chefkorrespondenten Dr. Gerhard Hofmann erfüllt das grassierende lechs/rinks-Velwechsern sogar einen ökonomischen Zweck: Es dient Auflage und Quote.

Aus gegebenem Anlass fragte das Fachblatt "journalist" deshalb: "Was bedeutet eigentlich Haltung im Journalismus?" Antwort: Nichts, aber das ist auch nicht so schlimm. Autor Alexander Krex nahm die ganzen Seitenwechsel jüngeren und älteren Datums in den Blick, um dann festzustellen: "Fast überall sitzen heute Top-Journalisten mit 'taz'-Biographien, ihnen Haltungslosigkeit vorzuwerfen, wäre lächerlich. Noch dazu bei der momentanen Wirtschaftslage, in der junge Journalisten mit allzu unbiegsamem Rückgrat irgendwo am Existenzminimum vor sich hin arbeiten."

Verlegerpersönlichkeiten mit großem politischen Sendungsbewusstsein gibt es heutzutage ebenfalls nicht mehr. Die Verlagsmanager unserer Tage treibt nur noch die Frage um, wie sie den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen, was auch ihre Personalentscheidungen leitet. So holte Matthias Döpfner Stefan Aust nach Berlin, weil dieser den TV-Sender "N24" im Schlepptau hatte, mit dessen Hilfe der Springer-Vorstandsvorsitzende "das führende multimediale Nachrichten-Unternehmen für Qualitätsjournalismus" etablieren möchte.

Und aus ebensolchen Gründen trat Dieter von Holtzbrink 20 Prozent der Anteile am "Tagesspiegel" an den Medien-Unternehmer Sebastian Turner ab und beförderte den Mitinitiatoren des Lobbyclubs "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" zudem zum Mitherausgeber des Blattes. Turner, der darüber hinaus sowohl dem Beirat der Konrad-Adenauer-Stiftung als auch der CDU-Arbeitsgruppe "Nachhaltiges Wachstum" angehört, soll "den ‚Tagesspiegel’ im Print wie im Digitalen weiterentwickeln und die Kernmarke durch Innovationen um markenaffine Produkte arrondieren", wie der Verlag mitteilte.

Um die Content-Produktion macht man sich bei solchen Operationen die wenigsten Sorgen. Dafür liefert der Markt schon genügend vollflexible Arbeitskräfte mit Journalistenschulabschlüssen und Theodor-Wolff-Preisen aus grauer Vergangenheit.