Von "Kapitalistenvotzen" und vom Internet als Krieg

Am Beispiel Ver.di vs. Amazon lässt sich darlegen, warum manche Menschen sich eher darum sorgen, in einen "Shitstorm" zu geraten, als von der NSA überwacht zu werden

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Meinungskriege

Im Krieg ist es wichtig, dass der andere stets als Feind betrachtet wird. Meist sogar als unmenschlicher Feind, als Monster ohne Emotionen, als jemand, der nicht als gleichwertig angesehen werden darf. Die Entmenschlichung des Feindes ist ein wichtiger Aspekt, um Soldaten den Griff zum Gewehr sowie das Töten an sich leichter zu machen. Auch in der Welt außerhalb der Kriege hat das Martialische bereits Einzug gehalten: Geschlechter- und Sprachkriege toben, Menschen feuern ihre Ladung Meinung ab, "Shitstorms" brechen über Menschen herein und erklären sie ob ihrer Meinung zu Feinden.

Wie Peter Tauber in seinem lesenswerten Blog über Diskurse schreibt, ist die Diskussionskultur im Netz mittlerweile vielerorts nicht einmal mehr ansatzweise vorhanden und dem Diskurs ist das "bist du nicht für mich, bist du gegen mich" gewichen.

Wenn in Umfragen und Studien mitgeteilt wird, dass noch immer x% der Bevölkerung sich dem Netz "verweigern" (was schon anzeigt, wie einseitig die Ansicht in Bezug auf das Netz ist, wenn das Wort "verweigern" für eine Nichtnutzung verwandt wird), dann wurde die Frage, wieso manche Menschen auf das Netz auch gerne verzichten mögen, gar nicht gestellt. Doch vielleicht sind manche auch nicht gewillt, sich dem zu stellen, was im großen weiten Netz und den vielen telekommunikativen Anwendungen auf sie lauert, so sie denn ihre Meinung sagen oder gar noch ihren Realnamen dazuschreiben.

"Stay out of the kitchen if you can´t stand the heat" ist in Zeiten, in denen Foren, Twitter, Facebook und Co. Küchen darstellen, die dauerhaft unter "Shitstorm"-Alarm stehen, ein Grund, sich dem komplett zu entziehen. Dies wird gerade bei Autoren oft als eine Art Arroganz gesehen. Sie wirken wie jemand, der letztendlich nur seine Meinung sagt, sich aber nicht dem Diskurs stellen will. Doch die Annahme, jeder Autor, jeder Blogger und jeder Journalist sei per se mit einem so dicken Fell ausgestattet, dass selbst die brutalsten Angriffe an ihm abprallen, ist nicht nur falsch, sie geht auch letztendlich davon aus, dass es nun einmal jedem, der seine Meinung sagt, auch automatisch zumutbar ist, dass er mit solchen Angriffen leben muss.

Dabei sind diese Angriffe oft genug mit aus dem Leben des Angegriffenen bekannten Details gewürzt oder werden auf diesen aufgebaut. Mir bekannte Beispiele anderer Autoren/Blogger reichen da von Kommentaren wie "kein Wunder, dass du nur von hinten gemocht wirst" (bei einer bekanntermaßen anal vergewaltigten Frau) über "du bist ja nicht nur körperlich, sondern auch geistig völlig behindert" (bei einem Mann im Rollstuhl) bis hin zu einem recht eindeutigen "hoffentlich ist das nächste Mal keiner da, der dir hilft und du verreckst, weil die Polizei nicht kommt, die du verleumdest" (bei einem Opfer von Polizeigewalt).

Dabei ist es interessant, dass oft selbst eigentlich neutral gehaltene Kommentare in Foren bereits zu einer Flut von anonymen Emails führen können, die die Grenze des Zumutbaren für den Empfänger oft genug (fast) überschreiten. Ein persönliches Beispiel.

Als über die "Kündigungen" Amazons kurz vor Weihnachten berichtet wurde, schrieb ich sowohl Amazon als auch Ver.di an und stellte etliche Fragen, von denen letztendlich nur einige beantwortet wurden und auf die sich insbesondere Amazon mit eher ausweichendem Antworten zu Wort meldete, während der Ver.di-Vertreter sich sehr viel Zeit nahm, darauf einzugehen.

Nachdem nun beide Stellungnahmen vorlagen, kommentierte ich die Meldung "Ver.di rügt Kündigungen von Amazon-Mitarbeitern kurz vor Weihnachten", indem ich insbesondere zusammenfasste, was mir an der Art und Weise der Berichterstattung der Medien nicht gefiel. Außerdem wies ich auf die Stellungnahmen von Ver.di und Amazon und auf diverse Artikel vor Weihnachten hin, welche sich mit der Anstellung der Saisonkräfte beschäftigten. Meine Kritik an einem speziellen Artikel im Heise Newsticker sowie den Ver.di-Kommentar (bzw. die Stellungnahme des Pressesprechers) stellte ich zur Diskussion.

Bereits zu dieser Zeit hatte die Diskussion im Forum eine Form angenommen, die letztendlich nur noch zwei Lager sah: Pro Amazon oder Pro Ver.di. Die Auseinandersetzung damit, wie Ver.di hier bestimmte Begrifflichkeiten nutzte und die Auseinandersetzung mit der Art und Weise der Berichterstattung waren einem "für oder gegen uns" gewichen, das sich dann auch in diversen Mails niederschlug, die bei mir eintrudelten.

Hass-Mails- von Ver.di-Anhängern

Ich bin es gewohnt, dass bei kontroversen Themen diverse Mails bei mir ankommen, die wahrscheinlich etliche rechtliche Grenzen überschreiten. Doch die Anonymität der Mails, der Fatalismus der Polizei (die letztendlich oft genug mit "da kann man eh nichts machen" antwortet), sowie die Meinung, man müsse als Schreiberin solche Dinge aushalten, hat bei mir dazu geführt, dass ich diesbezüglich nichts mehr unternehme. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich über eine Art Stahl- oder Teflonhaut verfüge oder derartige Mails an mir abprallen. Oftmals richte ich mich schon auf derartige Mails ein, sehe sie als eine Art Preis für meinen Beruf und auch meine Offenheit in Bezug auch auf private Dinge an, dennoch sind sie verletzend und ich bin mehr und mehr der Meinung, dass die Ansicht "selbst schuld" schlichtweg falsch ist.

Nur weil ich auch Meinungen vertrete, die kontrovers sind oder auf Emotionen stoßen, ist es nicht richtig, mich mit Beleidigungen und mehr oder minder subtilen Drohungen zu behelligen. Wobei ich hier nicht von "Deine Meinung ist blöd" spreche. Da ich darum gebeten wurde, möchte ich hier einmal kurz auszugsweise dokumentieren, von welcher Art Mails ich spreche, wenn es darum geht, dass bei den Themen, die die Gemüter erhitzen, stets auch Drohungen und Beleidigungen (z.T. untersten Niveaus) schon an der Tagesordnung sind. Hier also jene Mails, die mich während der Diskussion rund um Amazon und Ver.di u.a. erreichten:

Hi, Twister

Ich konnte dich einst noch ernst nehmen, aber seit Du einen Ehemann hast, bist Du nur noch eine Sklavin der Männer und des Kapitalismus. Verreck daran aber bleib doch bitte von ernst zu nehmenden Foren wie bei Heise fort. Danke

Eine Freundin

Du hast, seit du einen Mann hast, jegliches Maß verloren, was Gerechtigkeit angeht. Oder auch: Du bist ne Kapitalismusvotze geworden. Ich wünsch dir, dass du an deinem Geld und am Ding deines Mannes erstickst.

Weitere Auszüge lassen sich hier nachlesen.

Mit Mails wie diesen bin ich keineswegs allein. Gerade weibliche Autoren und Blogger klagen über Beleidigungen mit stark sexualisierter Sprache, während bei Männern diesen eher die "Männlichkeit" abgesprochen oder ihre sexuelle Orientierung angesprochen wird. "Alter, so wie du redest, bist du entweder lila Pudel oder schwule Sau" oder "du bist bestimmt ein Hinterlader", "wirst bestimmt nicht nur von der Firma, sondern auch von Freunden hinten gefickt" und Ähnliches landet dann regelmäßig in den Mailboxen und wird mit mehr oder weniger vorhandenem Fatalismus hingenommen.

Die Empathie, die Martin Weigert auf Netzwertig vorschlägt, ist diesbezüglich sicherlich ein Aspekt, der es wert ist, weiterverfolgt zu werden, doch es stellt sich auch die Frage, wieso die Graustufen aus den Diskussionen verschwunden sind. Dem "gut, deine Meinung ist hier nicht meiner entsprechend, aber dennoch gibt es wohl Überschneidungen" (was letztendlich ja auch Sinn und Zweck eines Diskussionsforums ist), ist ein "deine Meinung hier ist nicht meine, also wirst du bekämpft" gewichen - einer martialischen Meinungskriegskultur, die nur noch absolute Loyalität gegenüber einer Meinung, einer Firma, einem Verbund, einer Ansicht zulässt.

Eine Erfahrung, die ich bereits nach Veröffentlichung des Beitrages Endlich ein Grund zur Panik machen konnte, als mich hasserfüllte und bedrohende Mails von angeblichen ALG-II-Empfängern oder "Aktivisten" gegen ALG-II-Sanktionen etc. erreichten, die meinten, mit diesem Artikel sei aufgezeigt worden, dass ich nunmehr "Mietmaul" der Bundesagentur für Arbeit geworden wäre. Auch hier war letztendlich eher die Art und Weise der Berichterstattung sowie die fehlende Bereitschaft, sich mit den Fakten zu beschäftigen, kritisiert worden. Doch sofort hieß das für einige, dass ich vom Freund (alles, was die BA macht, ist böse) zum Feind wurde.

Es geht mir nicht darum, hier zu jammern, sondern es geht mir darum zu fragen, inwiefern sich nicht gerade diese mangelnde Diskussionskultur und die fehlende Bereitschaft, sich auch mit konträren Meinungen auseinanderzusetzen, auf die Beteiligung am Diskurs im allgemeinen auswirkt.

Wenn ich mich umsehe, dann sehe ich öfter Autoren, die nicht mehr auf Kommentare im Forum antworten oder aber sich nicht mehr trauen, sich unter ihrem Realnamen zu äußern. Ich sehe geschlossene Foren oder gar nicht erst eröffnete Foren: Ihre Betreiber befürchten, sowieso nur auf Beleidigungen usw. zu stoßen, deren Entfernung dann zu Debatten über Zensur führt. Ich sehe Menschen, die sich aus Diskussionen heraushalten, weil sie fürchten, sofort mit einem "Shitstorm" überzogen zu werden (oder Schlimmeres).

Und meiner Meinung nach ist dies keine sonderlich begrüßenswerte Entwicklung. "Stay out of the kitchen" klingt da für mich sehr nach "geh halt nach drüben" bzw. "jammer nich' herum". Doch die Küche namens Internet kann durch Einsicht und Veränderung auch wieder zum sozialen Miteinander führen. So wie die Küche einst in der Familie der Platz zum gemeinsamen Reden war und so wie eine funktionierende Familie auch mit konträren Meinungen umgehen konnte, so kann auch das Internet wieder zu so etwas werden. Das sollte keine rosarot angepinselte Küche sein - aber doch eine Küche, in der niemand befürchten muss, wegen seiner Meinung bedroht zu werden.

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