Internet Governance 2014: Alles wird komplizierter

Renationalisierung des Internet, kalter Cyberkrieg oder mehr Sicherheit und Schutz der Privatsphäre

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im schlimmsten Fall wird das Internet mehr und mehr fragmentiert und re-nationalisiert. Eine wachsende Zahl von Regierungen könnte beginnen, ein "nationales Internet-Segment" zu definieren. Größere nationale Überwachung und Zensur wären die Folge.

Nationale Firewalls könnten das "heimischen Internet" vom globalen Internet trennen und es könnte nach dem Vorbild der Grenzkontrollen ein System eingeführt werden, wonach ein Internet-Nutzer ein Password braucht, um vom nationalen Netz in andere Netze zu gelangen. Solche Passwörter könnten wie Autokennzeichen von einer staatlichen Stelle ausgehändigt werden und bedürften jährlich der Erneuerung.

International könnte 2014 die Internet-Governance-Debatte ein neues Konfrontationsstadium erreichen. Der Streit um die Kontrolle der kritischen Internet-Ressourcen und Auseinandersetzungen über Cybersicherheit und Menschenrechte im Netz könnten ausufern und in einen kalten Cyberkrieg münden. Internationale Abkommen kommen nicht zustande und die UNO verweigert eine Verlängerung des 2015 auslaufenden Mandats des Internet Governance Forums (IGF).

Im besten Fall werden wir Ende 2014 ein sicheres Internet mit mehr Freiheiten und mehr Privatsphäre haben. Staatliche und nichtstaatliche Internetakteure arbeiten Hand in Hand und auf gleicher Augenhöhe konstruktiv zusammen und suchen nach globalen Lösungen für Datenschutz, Meinungsäußerungsfreiheit, Breitband, Cybersicherheit, Netzneutralität, Urheberrecht, Cloud Computing, Internet der Dinge etc. Die Überwachung von Internetnutzern wird unter rechtsstaatliche Prinzipien gestellt und nur dann gestattet, wenn es von einem unabhängigen Gericht bestätigte Verdachtsgründe für illegale Aktivitäten gibt.

Die nächste Milliarde von Internetnutzern geht online. Eine neue Welle innovativer Dienste und Anwendungen durch die Verbindung von mehr und mehr Objekten mit dem Internet schafft neue Marktchancen, Arbeitsplätze und Räume für alle Arten von kommerziellen, kulturellen und sozialen Aktivitäten die zur Verbesserung der Lebensqualität von Milliarden von Nutzern auf der ganzen Welt beitragen ohne das dabei Sicherheit und Schutz der Privatsphäre auf der Strecke bleiben.

Zwischen diesen beiden Szenarien könnte 2014 auch ein weiteres Jahr werden mit vielen Diskussionen und wenig konkrete Resultaten. Zahlreiche Papiere werden zirkulieren mit kontroversen Vorschlägen wie das Internet reorganisiert werden sollte. Möglicherweise gibt es einige Erfolgsgeschichten bei der Einführung neuer Top Level Domains, Regierungen werden sich über einige vertrauensbildende Maßnahmen im Cyberspace einigen und eventuell wird man sich auch auf eine Reihe allgemeiner Grundprinzipien in einer "Internet Governance Charta" verständigen.

Aber die meisten Internetprobleme werden auf 2015 vertagt werde. Es wird weiter so gehen, wie der ehemalige US-Präsident Bill Clinton die Internet Governance einmal beschrieben hat: Man stolpert vorwärts.

Drei Verhandlungskanäle

International wird das Thema 2014 mehr den je Gegenstand zahlreicher Konferenzen und Verhandlungen sein. Diese werden im wesentliche auf drei Ebenen stattfinden:

Die Regierungsebene (UNO, ITU etc.)

  • Bereits im Februar 2014 trifft sich in Genf die UNCSTD Working Group on Enhanced Cooperation (WGEC). Die WGEC hat den Auftrag, Empfehlungen zu erarbeiten zur der seit dem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) offenen Frage, ob es neuer globaler Mechanismen bedarf für die Aufsicht über die kritischen Internet-Ressourcen und/oder zur Entwicklung globaler Internetpolitiken. Der WGEC-Bericht wird im Mai 2014 in Genf von der UNCSTD diskutiert. Die Ergebnisse werden dann via ECOSOC an die 69. Vollversammlung der Vereinten Nationen, die im September 2014 in New York beginnt, geschickt. Der für die UNCSTD zuständige 2. Ausschuss wird auch über die Erneuerung des Mandats für das IGF und das WSIS Follow diskutieren. Der 1. und 3. Ausschuss der UN-Vollversammlung behandeln jedoch jetzt auch zentrale Internetfragen. Im 1. Ausschuss geht es um Cybersicherheit, Cyberwaffen und vertrauensbildende Maßnahmen im Cyberspace. Im 3. Ausschuss wird ein Bericht diskutiert, bei dem es um die Privatsphäre, Überwachung und Menschenrechte im Internet geht. Die Erstellung dieses Berichts war von der 68. Vollversammlung im Dezember 2013 beschlossen worden und geht zurück auf eine deutsch-brasilianische Initiative.
  • Die ITU veranstaltet im April 2014 eine World Telecommunication Development Conference (WTDC), bei der es darum gehen wird, wie die Entwicklungsländer stärker von der Internetentwicklung profitieren können. Gleich darauf folgt, auch unter der Ägide der ITU, eine hochrangige WSIS10+ Konferenz auf der die Ergebnisse der UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft von 2003 und 2005 bilanziert werden. Die Ergebnisse der beiden Treffen werden in die im November 2015 in Korea stattfindenden Konferenz der Regierungsbevollmächtigten der ITU einfließen. Dort wird die ITU Verfassung neu verhandelt. Das kann insofern spannend werden da es nicht auszuschließen ist, dass diejenigen Regierungen, die während der WCIT im Dezember 2012 in Dubai das Mandat der ITU auf das Internet ausweiten wollten und für die rechtliche Anerkennung eines "Nationalen Internet Segment" kämpften - wie Russland, China und Saudi Arabien - versuchen werden, diese Vorschläge in die Neuverhandlung der ITU-Verträge einzubringen.
  • Und dann gibt es noch die die zwischenstaatlichen Freihandelsverhandlungen zwischen den USA und ihren Partnern in Europa und dem Pazifik: die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und die Trans-Pacific-Partnership (TPP). Internetthemen kommen dort zur Sprache, wo es um das geistige Eigentums und den Datenschutz geht. Doch auch WTO, WIPO, UNESCO, UNCITRAL und andere zwischenstaatliche Organisationen wie OECD, Europarat und OSCE haben das Internet mittlerweile als ein Thema entdeckt und wollen im globalen Internet Governance Eco-System mitmischen. Und es würde auch nicht überraschen, wenn der G8-Gipfel in Sotschi im Juni 2014 (unter russischer Führung) und der G20-Gipfel in Brisbane im Oktober 2014 (unter australischer Führung) das Internet auf die Agenda setzen würden.

Die praktische und technische Ebene (ICANN, IETF etc.)

  • ICANN, momentan damit beschäftigt mehr als tausend neue generische Top Level Domains in das Internet einzuführen, hat für 2014 drei Treffen geplant: Singapur (März 2014), London (Juni 2014) und Los Angeles (Oktober 2014). Dort wird die Globalisierung von ICANN und insbesondere von IANA zum großen Thema werden. Das ist natürlich von zentralem Interesse für Regierungen. Die Tatsache, dass die Publikation von Top Level Root Zone Files im Internet-Root noch immer der Autorisierung der US-Regierung bedarf, ist seit langem ein Stein des Anstoßes. Eine besondere Rolle wird das ICANN-Treffen in London spielen, weil es mit dem zweiten Internet-Nutzer-Gipfel, dem so genannten At Large Summit (ATLAS II) zusammenfällt. Hunderte von Internet-Nutzerorganisationen aus der ganzen Welt werden in London erwartet. Der erste Internet-Nutzer-Gipfel (ATLAS I) hatte 2009 in Mexico-City stattgefunden.
  • Die Internet Engineering Task Force (IETF), die wichtigste Plattform für die Entwicklung von Internet-Protokollen, hat 2014 auch drei Treffen geplant: London (März 2014), Toronto (Juli 2014) und Honolulu (November 2014). Seit der letzten Sitzung der IETF in Vancouver im November 2013 ist das Thema Cybersicherheit oberste Priorität. "Wir müssen das Internet zurückgewinnen", hatte Bruce Schneier in Vancouver von der technischen Community gefordert. Die IETF ist jetzt drauf und dran, nach technischen Lösungen zur Zurückweisungen der US-amerikanischen Überwachungsmethoden zu suchen.
  • Die Regional Internet Registries (RIRs) - RIPE-NCC, ARIN, APNIC, AFRINIC und LACNIC - die das IP-Nummernsystem verwalten, haben 2014 fast ein Dutzend Konferenzen in allen Regionen der Welt. Und es ist nahezu unvermeidlich, das sich die meisten der technischen Expertentreffen von ISOC, IEEE, W3C, APAN, MENOG, AFNOG, NANOG, SANOG und vielen anderen auch mit dem Thema Cybersicherheit, Überwachung, Privatsphäre, Cloud Computing und Internet der Dinge beschäftigen.

Die Multi-Stakeholder-Ebene (Brasilien Konferenz, IGF etc.) im Jahr 2014

  • Die Internet-Weltkonferenz, die im April 2014 in Sao Paulo unter dem Titel "Globale Multi-Stakeholder-Konferenz zur Zukunft von Internet Governance" stattfindet, könnte ein Meilenstein werden. Initiiert als Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen von der Präsidentin der aufstrebenden Internet-Weltmacht Brasilien, Dilma Rousseff, und ICANNs Präsident & CEO, Fadi Chehade, könnte diese Konferenz einen Standard setzen, wie im 21. Jahrhundert eine Multi-Stakeholder-Zusammenarbeit zu konkreten Ergebnissen führen kann. Wie es jetzt aussieht, könnten in Sao Paulo zwei Dokumente verabschiedet werden: Eine "Charta über Internet-Governance Grundprinzipien" und eine "Internet Governance Roadmap". Die Deklaration wäre ein Art Orientierungsdokument, das den Rahmen definiert, in dem sich staatliche und nichtstaatliche Akteure bewegen sollten. Die Roadmap wäre so etwas wie eine "To-do-Liste" für die kommenden Jahre, die auflistet, was im Internet zu verbessern, zu erweitern und neu zu entwickeln ist. Hier könnte die gerade im Entstehen begriffene neue Multi-Stakeholder-Plattform – die "/1Net-Koalition" - eine interessante Rolle spielen.
  • Das 9. Internet Governance Forum (IGF) findet im September 2014 in Istanbul statt. Auch dort könnte es eine mehr ergebnisorientierte Diskussion geben die nicht mehr zurückschreckt, Beschlüsse zu fassen. Dem IGF würde z.B. eine Art Clearing-House - ein "Multistakeholder-Internet Policy Council" (MIPOC) - gut zu Gesicht stehen. Ein solcher MIPOC könnte das bisher bestehende IGF-Programmkomitee – die Multistakeholder Advisory Group (MAG) – ergänzen und Empfehlungen geben, wer sich wie und wo mit all den neu entstehenden politischen Internetfragen auf globaler Ebene auseinandersetzen soll. Neben dem globalen IGF finden auch wieder zahlreiche regionale und nationale IGFs rund um den Globus statt. Für Europa ist der "7. European Dialogue on Internet Governance" (EuroDIG) in Berlin im Juni 2014 von wesentlicher Bedeutung.

Alle drei Ebenen sind mehr oder weniger eng miteinander verbunden, obwohl der jeweilige Rechtsstatus und auch das Verständnis von "Multistakeholderism" sehr unterschiedlich sind.

  • Auf der multilateralen zwischenstaatlichen Ebene werden heute nichtstaatliche Akteure teilweise eingeladen, an der Diskussion mitzuwirken. Ein gutes Beispiel ist die WGEC. Auch die ITU bemüht sich seit kurzem, Privatwirtschaft, technische Community und Zivilgesellschaft stärker einzubeziehen. Wenn es aber um die Annahme der Schlussdokumente geht, haben die nichtstaatlichen Akteure nichts zu sagen. In Gremien wie UNCSTD, ECOSOC, UN-Vollversammlung, ITU, WIPO, WTO, UNESCO haben sie kein Stimmrecht. Die Freihandels-Verhandlungen zwischen der US-Regierung und ihren pazifischen und atlantischen Partnern finden gleich ganz hinter verschlossenen Türen statt, Zugang haben allenfalls Lobby-Gruppen aus der Wirtschaft.
  • Auf der technischen Ebene sind Regierungen zur Teilnahme an allen Konferenzen eingeladen und spielen auch eine wachsende Rolle. ICANNs Governmental Advisory Committee (GAC) ist mittlerweile das einflussreichste zwischenstaatliche Gremium im Hinblick auf die Verwaltung von kritischen Internet-Ressourcen. Eine Empfehlung des GAC - ein sogenannter "GAC Advice" - kann zwar nicht einen Beschluss des ICANN-Direktoriums überstimmen, aber der ICANN-Vorstand denkt zweimal nach, bevor er einen im Konsens der mehr als 100 GAC-Mitglieder angenommenen GAC Advice ignoriert. Regierungsexperten sind auch mehr und mehr in RIR- und IETF-Meetings beteiligt, haben dort allerdings meist wenig zu sagen.
  • Das IGF und die bevorstehende Konferenz in Brasilien haben das Multistakeholderprinzip – d.h. die volle Gleichberechtigung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Teilnehmern – am weitesten getrieben. Allerdings haben diese beiden Gremien nur wenig zu entscheiden.

2014 ist somit eine Herausforderung, diesen ganzen institutionellen Mechanismus stärker zu vernetzen. Im Internet ist alles mit allem verbunden. Man kann das globale Internet Governance Eco-System am ehesten noch mit dem Regenwald vergleichen. Dort leben Hunderte von Arten mit ihren eigenen Mechanismen zusammen. Einer ist vom anderen abhängig. Niemand kann den Regenwald kontrollieren oder beherrschen. Wohl aber kann man Teile des Regenwaldes zerstören.

Im Internet Governance Eco-System koexistieren gleichfalls Hunderte von Mechanismen – teils staatlich, teils nicht-staatlich, teils reguliert, teils selbst-reguliert –, die einerseits selbständig, aber doch mit den anderen verbunden und von ihrem Funktionieren abhängig sind. Wenn in diesem Internet Governance Eco-System eine Gruppe auf einer Ebene etwas tut und eine andere Gruppe auf einer anderen Ebene etwas Gegenteiliges macht, dann kann das verheerende Folgen für das Internet als Ganzes haben.

Das sogenannte "Do-not-harm"-Prinzip - Mache im Internet nichts, was einen unbeabsichtigten Negativeffekt für unbeteiligte dritte Parteien haben kann! - ist von zentraler Bedeutung. Im realen Leben weiß die linke Hand oft nicht, was die rechte tut. Im Internet aber sollte die rechte Hand schon wissen, was die linke tut. Nötig ist also ein viel höherer Grad von Kommunikation, Koordinierung und Zusammenarbeit sowohl innerhalb als auch zwischen den einzelnen Stakeholder-Gruppen.

Das ist natürlich eine gigantische Aufgabe, bedenkt man, dass es ja schon innerhalb einer Stakeholder-Gruppe wie den Regierungen nicht nur extrem schwierig ist, einen internationalen Konsens zu erzielen, sondern es auch national kompliziert ist, zu ausbalancierten Lösungen zu kommen. Die permanenten Konflikte zwischen Innenministerien und Justizministerien zum Thema Sicherheit und Datenschutz sind dafür ein gutes Beispiel. Und im globalen Internet Governance Eco-System müssen Regierungen, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und technische Community miteinander auskommen.

Die wachsende Komplexität des Internet Governance Eco–Systems ist aber ein Fakt, an dem niemand vorbeikommt. Eine national orientierte Froschperspektive ist da nicht mehr hinreichend und kann eher großen Schaden anrichten.

Die Ilves-Kommission

Eine wichtige Rolle, die Vogelperspektive zu erlangen, könnte die neue Ilves-Kommission spielen. Dieses Mitte Dezember in London gegründete "High Level Panel on Global Internet Governance Mechanismen und Cooperation" unter dem Vorsitz des Präsidenten der Republik Estland, Tomas Hendrik Ilves, ist der richtige Ausschuss mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit.

Initiiert von ICANN ist die Ilves-Kommission jetzt eine unabhängige hochrangige Gruppe, die auch vom Davoser Weltwirtschaftsforum und der Annaberg-Stiftung in Kalifornien unterstützt wird. Seine 22 Mitglieder repräsentieren eine einzigartige Kombination von Weisheit, Wissen und Perspektiven auf höchstem politischem Niveau. Ein ehemaliger norwegischer Ministerpräsident, Generalsekretär des Europarats und Vorsitzender des Friedensnobelpreis-Komitees (Torbjorn Jageland) und der ICANN-Präsident (Fadi Chehade) sitzen neben einem ehemaligen FCC-Commissioner aus den USA (Robert McDowell), dem Vorsitzenden der umstrittenen WCIT-ITU-Konferenz in Dubai aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (Mohamed Al Ghanim), einem ehemaligen Minister und erfolgreichen Internet-Unternehmer aus Südafrika (Andile Ngcaba) und einem ehemaliger CEO von Cable&Wireless (Francesco Caio). Der Vater des Internet, Vint Cerf, und die Ex-Vorsitzenden vom Internet Architecture Board (IAB), Olof Kolkman, und der Internet Society (ISOC), Lyn St. Amour, sowie der Vorsitzende von ICANNs CNSO, Bryan Holland, arbeiten zusammen mit dem Informationsminister aus Mazedonien, Ivo Ivanowski, der den Vorsitz der ITU-WTPF-Konferenz im Mai 2013 in Genf hatte, und dem Kommunikationsminister von Nigeria, Omobola Jonsson. Mozillas Mitchell Baker, Wikipedias Jimmy Wales, Samsungs Won-Pyo Hong und Walt Disneys Dorothy Atwood kooperieren mit Frank La Rue, dem UN-Sonderberichterstatter zur Freiheit im Internet, Liu Quingfeng, einem CEO aus China, Virgilio Fernandes Almeida, dem Vorsitzenden des brasilianischen Internet-Lenkungsausschusses cgi.br, und Anriette Esterhuysen von der zivilgesellschaftlichen Association for Progressive Communication (APC).

Das erste Treffen dieser Gruppe Mitte Dezember 2013 in London war sehr ermutigend. Diese Gruppe hat keine Angst, heiße Kartoffeln anzufassen. Es gibt keine Tabus und alle Mitglieder sind voller Phantasie und Kreativität. Ihr Bericht wird für Mitte Mai 2014 erwartet und könnte dazu beitragen, die Luft klarer zu machen und mehr Licht in die noch unentdeckten Gebiete im grenzenlosen Cyberspace zu bringen.

Diese Kommission könnte eine ähnliche Rolle spielen wie die vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan im Jahr 2003 gegründete Working Group on Internet Governance (WGIG). Die WGIG hatte eine Definition für Internet Governance erarbeitet, das Multi-Stakeholder-Modell entwickelt und die Gründung des IGF vorgeschlagen. Alle drei Punkte wurden von den Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedstaaten beim 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft 2005 in Tunis abgesegnet. Der Vorsitzende der WGIG, Kofi Annans damaliger Stellvertreter Nitin Desai aus Indien, ist im Übrigen auch Mitglied der Ilves-Kommission.

Das "Multi-Stakeholder-Internet Governance Modell" steckt immer noch in den Kinderschuhen. Sowohl die Brasilien-Konferenz als auch der Ilves-Report könnten 2014 Weichen stellen, um die globale Internet Governance Diskussion in die richtige Richtung zu lenken.

"Multilateralismus" gegen "Multistakeholderism"?

Fatal wäre es allerdings, wenn 2014 eine Konstellation heraufbeschwört würde, bei der die "Mutilateralisten" gegen die "Multistakeholderisten" zu Felde ziehen. Das würde zu einer sinnlosen Konfrontation führen und wäre mehr als kontraproduktiv. Es wäre dumm, Barrikaden dort zu errichten, wo eine Zusammenarbeit nötig ist.

Im Grunde genommen ergänzen sich die beiden "M-Camps". Die Diskussion über die Zukunft der Internet-Governance ist kein Box-Event, wo die "blauen Ecke" (einige auf völkerrechtliche Regelungen drängende Regierungen) gegen die "rote Ecke" (eine Regenbogenkoalition aus allen Stakeholdergruppen) kämpft. Bei der Auseinandersetzung im die Zukunft von Internet Governance geht es darum vom Level 1 auf Level 2 aufzusteigen. Es geht nicht um "rechts gegen links", nicht um "konservativ gegen progressiv" und auch nicht um "Ost gegen West" oder "Nord gegen Süd".

Der Konflikt besteht zwischen simplen und komplexen Strukturen. Die simplen Modelle – wo ein Kaiser, Papst, Zar oder Präsident alleine entscheidet – funktionieren nicht mehr. Die Komplexität des Internet verlangt die Einbeziehung aller betroffenen und beteiligten Gruppe - ob staatlich oder nichtstaatlich - in einen offenen und transparenten Politikentwicklungsprozess. Im internationalen Sprachgebrauch hat sich dafür der Terminus "Multistakeholderismus" eingebürgert. Das ist schwer ins Deutsche zu übertragen. Am Treffendsten sind noch Bezeichnungen wie "Mitbestimmung" oder "partizipative Demokratie".

Die Entstehung des Multistakeholder-Modells ist das Ergebnis einer natürlichen Entwicklung unaufhaltsam wachsender Komplexität von Gesellschaften. Simple Antworten funktionieren nicht mehr, komplexe Themen verlangen komplexe Lösungen. Kein Stakeholder – weder die Regierungen noch die Privatwirtschaft – kann heute alleine eine vernünftige Internetpolitik entwickeln. Eigene Interessen kann man nicht mehr mit einfachen Mehrheiten durchboxen. Wer es trotzdem versucht, riskiert kolossale Kollateralschäden.

Dabei verschwinden bei der Erweiterung des zwischenstaatlichen Systems des 20. Jahrhunderts in ein Multistakeholder-System des 21. Jahrhunderts weder das völkerrechtliche Vertragssystem noch nationale Souveränität und nationalen Interessen, aber ihre Ausübung und Umsetzung ist heute mehr denn je eingebettet in eine Multistakeholder-Umgebung, wo viele Player auf vielen Layern mit unterschiedlichem Rechtsstatus und in unterschiedlichen Rollen kommunizieren, koordinieren und kooperieren.

Das erfordert weitaus komplexer Mechanismen, als wir sie aus dem Politikbetrieb des vergangenen Jahrhunderts kennen. Notwendig ist ein neues Verständnis von globaler Teilhabe, gemeinsamer Wahrnehmung von Verantwortung und kollaborativer Souveränität. Im Internet gibt es keinen Königsweg. Es gibt auch keine zentrale Autorität. Lösungen müssen Fall für Fall entsprechend der spezifischen Natur des jeweiligen Problems in einem von unten angestoßenen Diskussionsprozess erarbeitet werden, an dem alle betroffenen und beteiligten Gruppen in einem offenen und transparenten Verfahren eingebunden sind.

Internetpolitik in Deutschland

Und wie wird sich Deutschland 2014 positionieren? Viele hatten nach der dreijährigen Arbeit der Enquete-Kommission des letzten Deutschen Bundestages erwartet, dass sich eine neue Bundesregierung stärker den Internetthemen zuwendet. Schaut man sich die Prioritäten der Großen Koalition an, dann steht das Internet nicht gerade an erster Stelle. Das muss nicht schlecht sein, denn keine Politik ist allemal besser als eine schlechte Politik.

Der Koalitionsvertrag enthält sicher einige konstruktive Ansätze, ein großer Wurf ist es nicht. Irgendwie schimmert überall durch, dass das Internet für die deutsche Bundesregierung noch "Neuland" ist und so hat man erst einmal primär nach innen und weniger nach außen geschaut und die vielen neuen Fragen auf viele Ministerien verteilt. Cybersicherheit fürs Innenministerium, Datenschutz fürs Justizministerium, Infrastruktur fürs Verkehrsministerium, das Wirtschaftsministerium vertritt die Bundesrepublik bei ICANN und in der ITU, das Außenministerium in der UNO. Die Idee, all diese Abteilungen in den verschiedenen Ministerien über einen im Bundeskanzleramt angesiedelten Koordinator zu vernetzen, wurde nicht aufgegriffen.

Und so kann man nun mit Spannung darauf warten, wann sich die ersten interministeriellen Konflikte auftun. Nicht überraschend wäre, wenn Außen-, Wirtschafts- und Justizministerium eine Art SPD-geführte Internetpolitik entwickeln, die dann zunehmend mit einer vom Innen- und Verkehrsministerium geführten CDU/CSU-Internetpolitik kollidiert.

Aber es kann natürlich alles auch ganz anders kommen, wenn die Kanzlerin das Internet zur Chefsache erklärt. Eine Möglichkeit, der internationalen Öffentlichkeit eine in sich stimmige, nach außen wie nach innen gerichtete deutsche Internetpolitik zu präsentieren, hätte die Kanzlerin im Juni 2014, wenn in Berlin das europäische Internet Governance Forum, EURIODIG VII, tagt.

Wolfgang Kleinwächter ist Professor Emeritus an der Universität Aarhus und Direktor im ICANN-Vorstand.