Wird 2014 das Jahr des Planktons in der unteren Nahrungskette des Finanzmarkts?

Autor und Finanzmanager Georg von Wallwitz zur Gegenwart und Zukunft der (Aktien)Fondsindustrie

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Der Autor und Finanzmanager Georg von Wallwitz vermittelt in seinem viel beachteten essayistischen Werk "Odysseus und die Wiesel - Eine fröhliche Einführung in die Finanzmärkte" auf leicht lesbare Art und Weise einen Einblick in die philosophische Geschichte und das Denken in der Finanzindustrie. Spätestens seit der Finanzkrise in der Kritik stehen dabei auch die teuren und wenig kundengerechten Produkte, die die Fondsindustrie vor allem mit Blick auf die Aktienmärkte kreiert. Im Interview erklärt Georg von Wallwitz, warum er nicht an eine Läuterung glaubt und gibt einen Ausblick auf das laufende Börsenjahr.

In Ihrem Buch kritisieren sie weite Teile der Finanzindustrie als unnütze Parasiten, die der Gesellschaft insgesamt mehr schaden als dienen. Ich zitiere aus Ihrem Buch: "Es gibt viele Menschen, die Produkte verkaufen, die Mist sind. Die Finanzindustrie hat da kein Alleinstellungsmerkmal." Können Sie erläutern, warum es sich manche Branchen mehr als andere erlauben können, ungestraft gegen die Kundeninteressen zu handeln?

A Das gibt es immer dort, wo eine Informationsasymmetrie herrscht, von der der Anbieter profitiert, beispielsweise im Bereich von Kosmetika. Das ist in der Finanzindustrie nicht weniger der Fall als in vielen anderen Sektoren. Der Kunde glaubt an die Vorstellung, dass trotzdem etwas Sinnvolles hinter der Verpackung steckt. Der Kern der Geheimnistuerei, die die Finanzindustrie als notwendige Voraussetzung für seriöse Bankgeschäfte darstellt, ist aber oft nur eine Rechtfertigung, hinter den Kulissen unbehelligt agieren zu können. Dadurch entsteht die besondere Informationsasymmetrie.

Ein weiteres Zitat aus Ihrem Werk: "Aber der uneinholbare Informationsvorsprung, den Banken und Vermögensverwalter haben, bedeutet, dass das Spiel immer wieder unfair sein wird. Gewinner und Verlierer stehen dann von vornherein fest." Hat sich daran seit der Finanzkrise und der möglicherweise gestiegenen Sensibilität für Finanzfragen in der Bevölkerung nichts wirklich verbessert?

Georg von Wallwitz: Das ist schwer zu sagen. Die Menschen sind sich zwar mehr als früher bewusst darüber, dass sie oft über den Tisch gezogen werden. Sie wissen aber kaum, was sie dagegen unternehmen sollen. Schuld sind aber nicht nur die Verkäufer von Finanzprodukten, sondern zu einem guten Teil auch die Anleger, bei denen die Gier das Hirn frisst. Wenn einer um die Ecke kommt, zehn und mehr Prozent Rendite verspricht, und die Leute sich darauf einlassen, dann kann man leider nur den Schluss ziehen, dass der Mensch getäuscht werden will. Alberne Renditeziele werden jedenfalls nicht so leicht aus der Welt verschwinden, dazu verkaufen sie sich zu gut.

Und noch ein letzter Buchauszug: "Wirklich unappetitlich wird es erst am unteren Ende der Nahrungskette, beim Plankton, bei den so genannten Privatkunden. Oft genug werden dort ohne Scham und ohne moralische Bedenken gutgläubige Menschen um ihre Ersparnisse gebracht. Es werden Aktien verkauft, die intern mit dem Kürzel "POS" gekennzeichnet werden, was für piece of shit steht. Es werden Anleihen verkauft, welche die Bank nicht mehr in den eigenen Büchern haben will, weil sie dem Emittenten nicht mehr traut. Es werden Fonds oder "Strukturen" (gerne auch "Zertifikate" genannt, was nach Sicherheit klingt) verkauft, die mit gewaltigen Gebühren und sehr wenig geistigem Aufwand belastet sind." Wie sieht es damit sechs bis sieben Jahre nach der Finanzkrise aus, hält auch hier das business as usual an?

Georg von Wallwitz: Ich erkläre es mal mit einem Beispiel aus unserem Alltag: Wir hatten kürzlich einen Fall in unserem Büro, wo ein Mann, der seit einer Weile an Alzheimer zu erkranken begann, von Seiten einer Großbank fast jeden Monat mit einem neuen Schiffsfonds versorgt wurde. Bei diesen ging es ausschließlich um die Provision der Bank. Und der Berater hat ausgenutzt, dass für den Kunden der Schiffsfonds jedes Mal eine neue Geschichte war.

Einige Fondsanbieter in Deutschland haben sehr kreative versteckte Gebührenmodelle entwickelt, die Verbraucherschützer kritisieren. Wird sich wenigstens daran etwas ändern?

Georg von Wallwitz: Die Fondsindustrie steht etwas stärker im Fokus der europäischen Regulierer, so dürfte das Ausweisen einer Gesamtkostenquote (Total Expense Ratio) eine gute und richtige Sache sein, so dass die Gebührensystematik transparenter wird.

Welches Leistungs- und Gebührenmodell legen Sie in Ihrem Unternehmen zugrunde, um einen fairen Deal für alle Seiten zu ermöglichen?

Georg von Wallwitz: Auch wir sind in gewisser Hinsicht überbezahlt, was ich gar nicht verhehlen möchte. Seit der Zeit des Philosophen und Theologen Thomas von Aquin lässt sich die gerechte Bezahlung so definieren, die sich aus den Herstellungskosten des Produkts zusammen setzt und dem marktüblichen Preis. Wir liegen in der Mitte zwischen dem ortsüblichen Preis, sind billiger als der Durchschnitt, aber natürlich auch deutlich über den Herstellungskosten. Nach der Theorie der marginalen Kosten sind wir also überbezahlt, aber nach der gängigen Praxis unterbezahlt. Im Schnitt über allem liegen wir bei einem Gebührenmodell von 0,6 Prozent, wobei die größeren Depots die kleineren Depots natürlich immer auch ein bisschen quer subventionieren - obwohl sie einen höheren Prozentsatz zahlen. Für 40 Euro im Monat kann man kein individuelles Portfoliomanagement betreiben. In dem Sinne haben wir einen kleinen Robin Hood Faktor eingebaut, was bei der Honorarberatung nach Stundensatz abgerechnet übrigens so nicht stattfindet.

Auf der anderen Seite sind deutsche Anbieter im vergangenen Jahr offenbar zu konservativ mit dem Geld der Anleger umgegangen, so dass die Erfolgsbilanz ausländischer Vertreter, glaubt man den Zahlen, deutlich besser ausgefallen ist. Wie sehen Sie die deutsche Fondsindustrie im internationalen Kontext?

Georg von Wallwitz: Die deutschen Anleger sind tendenziell sehr risikoavers. Dazu ist die Aktie einfach nicht genug verankert. Der Vermögensverwalter hat dann ein asymmetrisches Risikoprofil, wenn der Markt zehn Prozent nach oben geht, dann scheint alles, was unter sieben Prozent Rendite liegt, schlecht zu sein. Und im anderen Fall, wenn es zehn Prozent nach unten geht, dann ist alles, was über minus drei Prozent liegt, in der Wahrnehmung des Anlegers schlecht. Das hält den Vermögensverwalter eher zur Vorsicht an. Eine Underperformance in einem steigenden Markt wird diesem lange nicht so übel genommen wie eine Underperformance in einem fallenden Markt. Diese Asymmetrie wird auch durch Umfragen zur Zufriedenheit mit den Produkten erhärtet.

Sie selbst waren einige Zeit in der Fondsindustrie bei einigen namhaften Anbietern beschäftigt. Was hat Sie damals motiviert, dort auszusteigen und ein eigenes Unternehmen der Vermögensverwaltung zu gründen?

Georg von Wallwitz: Ich bin von Grund auf der Typ Selbständiger und schreibe ja auch Bücher, was gar nicht ginge, wäre ich Angestellter. Ich habe dazu einen Oberlehrertouch und meinen Vorgesetzten immer wieder gesagt, was sie besser machen können. Das kam nicht gut an. Eine klassische Karriere wäre mir so sicher verbaut gewesen. Ich habe natürlich auch die Chance gesehen, mich mit einem eigenen Unternehmen selbstständig zu machen.

Ist es nicht wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde ein gewisser innerer Widerspruch, einerseits zwar kein moralisches, aber dennoch ein kritisches Buch über das seltsame Treiben der Fondsindustrie zu schreiben und selbst parallel dazu auch eigene Produkte in diesem Bereich aufzulegen?

Georg von Wallwitz: Es gibt natürlich auch Bücher, die sagen, ich war 20 Jahre bei Goldman Sachs und rechne jetzt mit allem ab. Ich schreibe kein Abrechnungsbuch, weil ich den sozialen Nutzen der Finanzindustrie, all den Unappetitlichkeiten der letzten Jahre zum Trotz, durchaus anerkenne. Es ist auch nicht mein Anspruch, mich moralisch auf's hohe Ross zu setzen. Auch fordere ich nicht die Abschaffung oder Verstaatlichung der Finanzindustrie, zumal es in anderen Branchen auch nicht viel besser zugeht.

Ich möchte charakterisieren, wie die Branche grundsätzlich funktioniert, etwas, was sich auch in zehn Jahren noch lesen lässt. Literatur nur für den Tag zu schreiben, hat keinen Reiz für mich. Die Mechanismen, die ich aufzeige, werden jedenfalls auch in Zukunft noch funktionieren. Was aber klar ist, dass die Finanzindustrie aufgrund ihrer besonderen Bedeutung eine Schlüsselrolle einnimmt, denn eine Deutsche Bank könnte nicht wie ein Mobilfunkunternehmen, das gerade Pleite macht, einfach so ersetzt werden. Daher muss sie besonders reguliert werden.

Blicken wir etwas losgelöst vom persönlichen Umfeld in das Geschehen der Fondsanbieter hinein. Die in der Öffentlichkeit bekanntesten Vertreter dieser Spezies sind die drei großen Spezialisten Union Investment für die Volksbanken, Deka für die Sparkassen und DWS für die Privatbanken (Deutsche Bank). Wie nehmen Sie den Markt seit der Finanzkrise wahr?

Georg von Wallwitz: Ehrlich gesagt, haben wir derzeit weder von der Union noch von der Deka Produkte in unseren Depots. Diese werden weitgehend über die eigenen Hauskanäle verkauft und stehen meist in den Ratings etwa bei Morningstar nicht weit oben.

Bitcoins sind reine Spielerei

Anders gefragt: Sehen Sie auch alternative Ansätze im Kommen? Gibt es neue Geschäftsmodelle in der Branche, die man als kundenfreundlicher und deutlich kosteneffizienter ansehen könnte (z.B. ETFs etc.)? Zeichnet sich hier ausgehend von den gesellschaftlichen Rändern möglicherweise ein Umdenken ab?

Georg von Wallwitz: Der gängige Dax-Fonds hat sicherlich keine große Zukunft. Aber auch bei den ETFs gibt es ein eigenartiges Verhalten, denn viele Leute verlieren hier vorzeitig die Nerven, wenn der Kurs mal fällt. Die geldgewichtete Performance liegt meist deutlich unter der zeitgewichteten, was zeigt, dass der Anleger oft nicht genügend Disziplin mitbringt, seine einmal eingeschlagene Strategie konsequent durchzuhalten.

Derzeit kursieren in der jungen Internetszene zahlreiche neue netzbasierte Varianten wie das Crowdfunding und Crowdinvesting, wo sich ein finanzieller Schwarm zusammen tut, um bestimmte Projekte oder Unternehmen gemeinsam zu fördern. Ist das für Sie eine neue Spielart des Herdentriebs oder ein konstruktiver Ansatz, das Geld bewusst in bestimmte Kanäle einzusteuern?

Georg von Wallwitz: Es gibt auch dort wahrscheinlich zahlreiche Scharlatane. Das ist letztlich immer dort der Fall, wo Geld im Spiel ist. Prokon könnte da mal wieder ein Fall sein, der einige Anleger auf die Risiken unkonventioneller Geldvermehrung aufmerksam macht. Aber prinzipiell ist das Crowdfunding als Konzept sicherlich eine gute Sache. Dem Friseur nebenan das Geld zu geben, ist da sicherlich eine bessere Idee, als in irgendwelche Hebelprodukte zu investieren.

Wie sieht es mit dem Social Trading aus, wo sich ebenfalls erste Strukturen durch von den Nutzern selbst kreierte Musterdepots herausbilden, denen dann andere Anleger ihr Geld anvertrauen können (Als Beispiele für diesen Trend siehe etwa die Anbieter Wikifolio, eToro oder Ayondo). Was halten Sie von der Idee?

Georg von Wallwitz: Das ist sozusagen der Investmentclub reloaded, also alter Wein in neue Schläuche gefüllt. Aber weder vom einen noch vom anderen verstehe ich etwas.

Halten Sie die Bitcoin-Revolution der virtuellen Währungseinheiten eher für einen Teil des Problems in der Finanzindustrie infolge mangelnder Steuerung und Kontrolle sowie der großen Spekulationsdynamik, oder ist es ein erster Vorbote, dass die Finanzindustrie in der bisherigen Form in einigen Jahren nicht mehr überlebensfähig sein wird?

Georg von Wallwitz: Das halte ich für reine Spielerei. Bitcoins sind weder eine Währung noch ein Asset.

Wo sehen Sie denn die provisionsorientierte Bankenlandschaft in 10 Jahren stehen, das Beharrungsvermögen am alten Geschäftsmodell scheint insgesamt doch recht groß zu sein?

Georg von Wallwitz: Es kann durchaus sein, dass die Regulierung so weit führt, dem provisionsgeführten Bankgeschäft wie etwa in Großbritannien oder Holland der Fall, ein Ende zu bereiten. Ich sehe den Prozess mit einem lachenden und weinenden Auge. Es wäre gut, wenn die Menschen die Kosten sähen, die sie für eine Beratung oder ein Produkt bezahlten. Aber man darf sich nichts vormachen, die Industrie wird es auch weiter geben, nur die größten Windbeutel dürften es schwerer haben als in der Vergangenheit.

Die Aktienmärkte und Leitindizes haben zum Jahreswechsel neue Höchststände produziert. Bekanntlich bestraft das Leben aber denjenigen, der zu spät kommt, nämlich den Kleinanleger, der möglicherweise jetzt durch die Medien gepusht, bereit für den Einstieg in die nächste Aktie wäre. Sprich, wird 2014 das Jahr des Planktons in der unteren Nahrungskette der Finanzindustrie?

Georg von Wallwitz: Der Aufwärtstrend ist meiner Einschätzung nach noch eine Weile intakt. Der Kleinanleger hat meinem Gefühl nach auch noch nicht investiert. Wenn auf den Cocktailparties plötzlich über Aktien geredet wird, ist es vielleicht an der Zeit, die Party zu verlassen. Es könnte also noch ein ganz gutes Jahr werden, wenngleich die Anzahl der günstig bewerteten Aktien definitiv sehr überschaubar ist.

Und noch eine persönliche Frage: Wie legen Sie Ihr Geld an und wofür geben Sie es gerne aus?

Georg von Wallwitz: Ich gebe derzeit viel Geld für die Schulen der Kinder aus und danach bleibt eigentlich nicht mehr viel übrig. In der Geldanlage bin ich ein Aktienmensch, in guten wie in schlechten Tagen. Privat bin ich risikofreudiger als mit dem Geld meiner Kunden, wobei ich den Schwerpunkt in langweiligen Blue Chips gesetzt habe, die ich übrigens auch für meine Kinder anspare. Aber die wissen glücklicherweise noch nichts von der Existenz ihrer Depots, über die sie in zehn oder fünfzehn Jahren mal verfügen können.

Lothar Lochmaier arbeitet als Freier Fach- und Wirtschaftsjournalist in Berlin. Er ist Autor des Telepolis-Buches: Die Bank sind wir - Chancen und Zukunftsperspektiven von Social Banking. Zudem betreibt er das preisgekrönte Weblog Social Banking 2.0.

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