Ganz Frankreich ist deprimiert

Misstrauen, Pessimismus und Nostalgie beherrschen das Land

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Ganz Frankreich ist deprimiert. Die Angst vor Arbeitslosigkeit, die hohen Steuern, sinkende Einkommen, schwindend Kaufkrafte stehen in der "Hierarchie der Themen, die die Bewohner am meisten beschäftigen", ganz oben, wird berichtet; Misstrauen, sogar vor den Nachbarn, beherrsche das Land, Pessimismus, Nostalgie. Was früher als rechtsextrem galt, ist jetzt nah an der Mitte.

85 Prozent der Franzosen sind überzeugt, dass Frankreich im Niedergang ist. Immerhin halten ganze 65 Prozent den Prozess für reversibel. Zu verdanken sei dies vor allem der Fragestellung, wird dies kommentiert, weil die etwas offener gestaltet wurde, nachdem die Ipsos-Untersuchung im vergangenen Jahr ein alarmierendes dunkles Bild zur Befindlichkeit der französischen Gesellschaft gezeichnet hatte.

Die Situation hat sich seither nicht groß geändert, wie gerade im täglichen Rhythmus veröffentlichte Umfragezahlen konstatieren: 60 Prozent der Franzosen haben das Gefühl, dass sie sich gegenüber ihren Eltern sozial verschlechtert haben. Deutsche glauben dies in weit geringerem Ausmaß: Nur sieben Prozent, schreibt Le Monde, in Großbritannien soll es ein Drittel sein. 61 Prozent der Franzosen sollen sich laut Umfrage davor Angst haben, ins Prekariat abzurutschen, fast die Hälfte fürchtet sich vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Politiker, Parteien und Medien standen schon im letzten Jahr nicht gut da, seither ist das Vertrauen in sie noch weiter gesunken, so die aktuelle Umfrage. Beinahe 80 Prozent sind mittlerweile davon überzeugt, dass das demokratische System in Frankreich eher schlecht funktioniert, zwei Drittel glauben, dass Politiker korrupt sind.

Im besseren Licht als früher steht jedoch der Front National da. Möglicherweise könnte die lange geltende Einstellung, wonach diese Partei "gefährlich für die Demokratie" ist - dazu gab es den Konsens, wonach die anderen Parteien einem republikanischen Bündnis angehörten -, mittlerweile eine Minderheitenmeinung sein, gibt sich Le Monde ziemlich alarmiert - und überzogen. Denn dere FN wird nachwievor von etwa jedem zweiten Befragten als "gefährlich für die Demokratie" eingeschätzt; ein paar Prozent unter 50 machen noch keine Minderheit.

"Vorsicht, wenn man es mit Anderen zu tun hat!"

Allerdings ist nicht aus der Luft gegriffen, dass die seit Jahren sorgsam in Szene gesetzte Entdämonisierung des Rechtsauslegers FN nun mit Haltungen in einem "Mitte-Konsens" zusammentrifft, der beachtlich weit nach rechts gerutscht ist. Unter den UMP-Anhängern - der konservativen Partei, die unter Präsident Sarkozy die Mehrheit stellte - sind zwei Drittel der Überzeugung, dass der FN eine nützliche Partei ist.

58 Prozent der befragten Franzosen unterschreiben das Glaubensbekenntnis, das nicht nur der FN, sondern auch die andere Rechtsnationale in anderen Ländern auslegen: dass sich Frankreich (bzw. die Nation) "besser gegen die heutige Welt schützen muss". Dazu gehören dann ablehnende Einstellungen Zuwanderern und Fremden gegenüber und manchmal fängt das Fremde schon jenseits des Gartenzauns oder an der Haustür an:

79 Prozent sind der Auffassung, dass man nicht vorsichtig genug sein kann, wenn man es mit Anderen zu tun hat.

Zwei Drittel gaben an, dass es zu viele Fremde im Land gebe, fast 60 Prozent sind der Auffassung, dass sich die Zuwanderer mehr anstrengen müssten, um sich zu intergrieren; 62 Prozent fühlen sich in Frankreich nicht mehr wie früher "zuhause".

Überhaupt früher....Nicht nur, dass in der letztjährigen Befragung Werten wie Autorität sehr hohe Zustimmung zugemessen wurde, viele bekannten sich dieses Jahr ausgiebtig zu nostalgischen Gefühlen.

Drei Viertel der Befragten stimmten den Äußerungen zu: "In meinem Leben lasse ich mich und mehr von Werten der Vergangenheit anregen" (78% Zustimmung), "Frankreich war es früher besser" (74%). 70 Prozent gaben an, dass die Kindheit die schönste Phase ihres Lebens war. Dazu wird notiert, dass die Zustimmung zu diesen Aussagen bei den Unter-35-Jährigen am höchsten war.

Ganz Frankreich deprimiert? Natürlich nicht. Es gibt eine Ausnahme, wie die Zeitung festhält die Führungskräfte, Cadres genannt. Sie haben Vertrauen in die Zukunft und sogar Optimismus soll unter ihnen aufblitzen.