Wenn Geheimdienste nicht wissen, wen sie töten

Obamas Fünfjahres-Bilanz: 2.400 Todesopfer bei 390 "verdeckten Drohnenangriffen"

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Seit dem Amtsantritt Obamas, der sich gestern zum fünften Mal jährte, haben die USA 390 "verdeckte Drohnenangriffe" ausgeführt. Meist über die CIA. 330 Angriffe galten allein Zielen in Pakistan. Als weitere dem Beschuss von Drohnen ausgesetzte Länder nennt das Bureau of Investigative Journalism den Jemen und Somalia.

Nach den Informationen der für Recherchen der Einsätze von bewaffneten Drohnen bekannten Organisation (siehe dazu die Kampfdrohnen-Übersicht) haben die Exekutionen im Auftrag des Friedensnobelpreisträgers mehr als 2.400 Todesopfer gefordert.

Die Journalisten des Bureau machen termingerecht zum Obama-Amtsjubiläum erneut darauf aufmerksam, dass der Hoffungsträger des Politik-Wechsels beim Gebrauch dieser Angriffswaffe seinen Vorgänger George W. Bush bei Weitem übertrifft. Unter dessen Amtszeit werden lediglich 51 Angriffe verzeichnet.

Auf diesen Kontrast zwischen dem "friedenswilligen Obama" und dem "Kriegstreiber Bush" wurde schon öfter aufmerksam gemacht. Der BIJ-Bericht ergänzt dies nun mit einem weiteren Unterschied: Zwar seien unter Obama sechs Mal mehr Menschen durch Drohnenangriffe getötet worden als bei seinem Vorgänger, aber unter Obama würden pro Angriff weniger Zivilisten zum Opfer fallen. Die Statistiken würden bei den Bush-Regierungsjahren durchschnittlich 3 zivile Todesopfer pro Angriff verzeichnen, bei Obama "nur" 1,43. Insgesamt ist von 273 zivilen, durch Berichte verifizierte, Todesopfern durch Drohnenangriffe in der Amtszeit Obamas die Rede.

Als Gründe für den Rückgang der - veröffentlichten - Zahlen werden mehrere genannt, der größere Druck der Medienöffentlichkeit auf die Regierung, Spannungen mit der pakistanischen Regierung (vgl. "Drohnenangriffe sind Massenmord, ein unentschuldbares Verbrechen" und 147 klar als zivile Opfer ausgewiesen, darunter 94 Kinder), die die Regierung zu einem vorsichtigeren Vorgehen gezwungen haben.

Angeführt wird auch, dass auch technische Weiterentwicklungen zu einer größeren Genauigkeit der Angriffe geführt hätten, wie dies an einem Vergleich zwischen zwei Angriffen auf "Koranschulen" verdeutlicht wird.

Am 30.Oktober 2006 (also zur Amtszeit von George W. Bush, Erg. d. Verf.) zerstörten CIA-Drohnen eine Madrasa in Bajaur, einem pakistanischen Stammesgebiet an der Grenze zu Afghanistan, und tötete mindestens 68 Kinder. Der Angriff galt dem al-Qaida-Vize al-Zawahiri, der entkommen konnte.

Bei eine weiteren Angriff im November 2013 zielten US-Drohnen erneut auf eine Madrasa, in Hangu, einer pakistanischen Stadt außerhalb der Stammesgebiete. 80 Studenten schliefen im Gebäude. Aber der Drohnenangriff zerstörte nur einen bestimmten Teil des Gebäudes - nur ein oder zwei Räume - und tötete zwischen sechs und neun Menschen.

Bei aller verbesserter Zielgenauigkeit - die unbestimmte Schätzung am Schluss lässt an einen weiteren Grund für die kleineren Zahlen ziviler Opfer denken, der im Bericht des BIJs nur am Rand angedeutet wird: Dass über zivile Opfer nicht genau oder gar nicht berichtet wird, zumindest nicht in der größeren internationalen oder amerikanischen Öffentlichkeit, höchstens in kleineren pakistanischen Medien mit regionalem Interesse.

Dies liegt auch an der Schwierigkeit, genau zwischen Zivilisten und Militanten zu unterscheiden. Im Bericht wird das drastisch mit einem Eingeständnis der CIA unterfüttert, aus deren Dokumenten hervorgeht, dass der Geheimdienst öfter nicht wisse, wen er mit den Drohnen tötet - ein Eingeständnis, das die oben beschriebene Genauigkeit der Angriffe konterkariert ("Nicht immer sicher, wen sie töteten").

Zu all dem kommt, dass Obama anwies, sämtliche Männer im waffenfähigen Alter, die sich in der Nähe eines Drohnenangriffziels aufhalten, zu Nicht-Zivilisten zu erklären. Auch das kann die Zahl der getöteten Zivilisten in der Statistik stark reduzieren.

Jenseits aller Zweifel steht die widerrechtliche Grundlage der Drohnenangriffe. Zwar betonte Obama im Mai 2013, dass man den Gebrauch der Kampfdrohnen einschränken werde und dass man die höchsten Standards anlegen werde, um zivile Opfer zu vermeiden - "Before any strike is taken, there must be near-certainty that no civilians will be killed or injured" -, aber, so notiert der BIJ-Bericht, darauf folgten sechs Monate, in denen mehr Menschen in Pakistan und im Jemen getötet wurden als in dem halben Jahr zuvor.

Allerdings heißt es auch, dass im gesamten letzten Jahr, kein einziger Zivilist infolge eines Drohnenangriffs in Pakistan ums Leben kam. Zumindest laut vorliegenden Berichten.