Kleine Anfragen im Bundestag werden als "Späh-Angriffe" diffamiert

"Polizei und Bundeswehr" sehen nach Focus die Weitergabe von öffentlichen Antworten der Bundesregierung durch die Linkspartei als Missbrauch. Sollen die Rechte der Opposition noch weiter ausgehöhlt werden?

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Mit einem vermeintlichen Skandal zieht das Burda-Magazin Focus in einem vierseitigen Artikel gegen Bundesabgeordneten der Linkspartei zu Felde. Focus-Redakteur Josef Hufelschulte sieht, so der Titel des "Reports", der wohl als investigativ verstanden werden soll, einen "Späh-Angriff im Parlament", garniert dies aber sicherheitshalber gleich einmal mit einem Fragezeichen, man will es ja gar nicht so gesagt haben. Das darunter gesetzte Foto von zerstörten Bundeswehrfahrzeugen soll aber trotzdem suggerieren, dass der unterstellte "Späh-Angriff" zumindest mit einem "Anschlag auf Bundeswehr" zu tun haben könnte. Sind die linken Abgeordneten also die NSA im Bundestag? Online machte Focus schon im Titel klar, um was es geht: "Linkspartei verrät Insider-Wissen an militante Gruppen.". Siehe dazu auch den Beitrag von Detlef Borchers: Focus: Vermeintliche Späh-Angriffe im Bundestag auf heise.de.

Kuppel des Reichstags: Zu viel der Transparenz im Bundestag? Bild: Barry Plane/CC-BY-SA-3.0

In der Legislaturperiode der Großen Koalition haben Union und SPD gönnerhaft den beiden kleinen Oppositionsparteien, die gemeinsam gerade einmal 20 Prozent der Mandate haben, versprochen, die Minderheitsrechte zu stärken. Schließlich hat die Mini-Opposition nach geltendem Recht keine Möglichkeit mehr, einen Untersuchungsausschuss oder eine Enquetekommission einzusetzen, Anhörungen zu verlangen oder Normenkontrollklagen einzureichen. Auch die Redezeiten sind knapp. Oppermann, der SPD-Fraktionschef, kam jetzt nicht mit konkreten Vorschlägen, welche Rechte man der Opposition einräumen will, sondern er schlug vor, dass die Opposition mehr Geld erhalten soll, um deren "Arbeitsfähigkeit zu verbessern". Mit Steuergeldern wäre man also freigiebig, während man wohl gerne von der Opposition in Ruhe gelassen werden will.

Das scheint man auch im Innen- und Verteidigungsministerium zu sehen, die schon über parlamentarische Anfragen empört zu sein scheinen, während es gleichzeitig interessierte Kreise zu geben scheint, die nach Argumenten suchen, warum Bundestagsabgeordnete der Linkspartei weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollen. das drängt sich auch deswegen auf, weil - ohne in Verbindung gebracht zu werden - der Focus am selben Tag auch die Meldung brachte, dass der Verfassungsschutz weiter Abgeordnete der Linkspartei beobachtet, "wenn sie sich zu einer extremistischen Gruppe bekennen". Die Strategie des Bundesverfassungsschutzes sei "angepasst" worden, so eine Auskunft des CDU-geführten Bundesinnenministeriums nach dem Focus.

Hufelschulte will aus Kreisen der Polizei und der Bundeswehr vernommen haben, dass man sich dort von Abgeordneten der Linkspartei, vornehmlich von Ulla Jelpke und Andrej Hunko, "ausgeforscht" sieht. Dabei geht es um die tatsächlich vielen und oft zur Beantwortung mühseligen Kleinen Anfragen der beiden Abgeordneten zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik , wie z.B. die sehr umfangreiche, noch unbeantwortete: Kooperationen und Projekte europäischer Polizeien im zweiten Halbjahr 2013. Die werden vom Innen- oder Verteidigungsministerium beantwortet, die Antworten dann angeblich von den Abgeordneten oder ihren Mitarbeiter an linksextreme Kreise weiter gegeben.

Die Antworten, die der Bundestag auf seiner Website veröffentlicht und die so der Transparenz für die Allgemeinheit dienen, werden aber als "vertraulich" dargestellt, womit man auch den Bundestag des "Späh-Angriffs", zumindest aber der Weitergabe von "vertraulichen", auch "sensiblen" Daten beschuldigen müsste, weil die auch von Mitgliedern der "militanten Szene" über das Internet eingesehen werden können und beispielsweise wie die Antwort auf die Anfrage zu "öffentlichen" (!) Auftritten der Bundeswehr auf Indymedia landen: "Ein Mausklick", so der Focus-Redakteur alarmistgisch, "und schon war das verhasste Militär wie ein gläserner Gegner."

Die von Jelpke abgefragten Informationen würden, so der Vorwurf, "zur genaueren Unterrichtung der militanten Szene" genutzt. Ein angeblich hoher "Staatsschutz-Beamter" des BKA gibt sich empört, weil damit das Anrecht auf Auskunft missbraucht" würde: "Einige Anfragen ähneln einer gezielten Ausspähung von Behörden." Die Linkspartei soll also zumindest durch Rufschädigung abgeschreckt werden, zu viele unangenehme Fragen zu stellen, weswegen man sie in Verbindung mit linksextremen Kreisen - und Gewalttätern - bringen will. Die Antworten der Bundesregierung auf Anfragen werden im Übrigen von allen Medien genutzt und verbreitet, was auch Sinn der Sache ist, weil es dabei um Transparenz der demokratisch gewählten Regierung geht.

Man arbeitet damit mit dem Focus-Redakteur zusammen, der sich vor den Wagen spannen lässt, das parlamentarische Recht auf Kleine Anfragen seitens der Opposition zu diskreditieren - als ob die Ministerien nicht auch die Möglichkeiten hätten, sicherheitsrelevante Antworten abzulehnen, wenn sie aus Gründen des Wohls des Bundes oder eines Landes (Staatswohl) geheimhaltungsbedürftig sind, wobei die Gründe nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2009 aber konkret dargelegt werden müssen und mit dem "parlamentarischen Informationsanspruch in Einklang" stehen sollte. Das will man offenbar nicht, aber CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach arbeitet in der konzertierten Aktion von Focus und den angeblichen Kreisen aus Polizei und Bundeswehr mit. Dem Focus sagte er - angeblich, so der Focus, entsetzt -, möglicherweise aber vielleicht nicht richtig über den von Hufelschulte gestrickten Zusammenhang aufgeklärt, weil er ja sonst das Verteidigungsministerium, den Bundestag und das parlamentarische Recht auf das Stellen von Anfragen und die Pflicht der Bundesregierung, diese zu beantworten, kritisieren müsste:

Eine Weitergabe der Infos würde über das legitime Interesse an parlamentarischer Kontrolle hinausgehen. Unser Verdacht bestätigt sich - diese Informationen werden von Militanten für den Kampf gegen unseren Staat missbraucht. Und vielleicht muss man auch darüber nachdenken, ob es wirklich immer nur die Fragen von Frau Jelpke sind, die hier gestellt werden …

Wolfgang Bosbach nach Focus

Wir haben dazu Fragen an Wolfgang Bosbach gestellt und hoffen auf seine Antwort, die wir dann auch umgehend veröffentlichen werden. Seine Äußerung lässt u.a. den Verdacht entstehen, dass er das Recht der Opposition auf Anfragen in Frage stellen will. Unklar ist, warum, sofern geschehen, die Weitergabe der Antworten durch Bundestagsabgeordnete ein Missbrauch wäre, nicht aber die Veröffentlichung durch den Bundestag? Wurden Informationen von Militanten missbraucht und gibt es Belege dafür, dass die Fragen von Frau Jelpke von anderen stammen?

Der Polizei - welcher? - soll etwa auch eine Anfrage von Andrej Hunko über "international im Verborgenen agierende Netzwerke von Polizeien" nicht gefallen haben. Dabei ging es im Übrigen darum, dass Fälle von verdeckt ermittelnden Spitzeln bekannt geworden war, beispielsweise von einem Briten, der sich auch in Deutschland Umweltgruppen eingeschlichen hatte. Die Auskünfte "landeten wiederum im linken Berliner Untergrund", was offenbar Hunko zugeschrieben werden soll, der besser nicht hätte fragen soll. Dann wird noch auf einen "bestimmten Referenten" von Hunko verwiesen, dessen Namen der Focus-Redakteur schon mal nicht nennt, weil es offenbar nur um Gerüchte geht, dass er "angeblich konspirativ" handelt und in "linken Infodiensten" publiziert. Ob er damit auch Telepolis meint, lässt der Focus-Redakteur im Dunklen.

Und so geht es weiter mit Unterstellungen und nebulösen Anschuldigungen. Der linke Abgeordnete Jan van Aken hatte Auskunft über Auslandsreisen der Bundeskanzlerin und der sie begleitenden Vertreter der Rüstungsindustrie verlangt. In der Antwort wurden die Unternehmen, aber nicht deren Mitarbeiter genannt. Daraus macht ein angeblicher Staatsschützer: "Zum Glück hat die Regierung nicht noch die Namen der Leute aus diversen Vorständen mitgeteilt, sonst hätten die Radikalen diese Daten auch noch in ihren Unterlagen."

Da beschleicht einen Verdacht, dass die Kreise in der Polizei und dem Verfassungsschutz vielleicht gar nicht die linken Abgeordneten im Visier haben, sondern die Bundesregierung, die für sie zu offenherzig auf Fragen antwortet und "Insider-Wissen" weiter gibt? Und der große Vorwurf des mit Unterstellungen und Verdächtigungen wild um sich werfenden Enthüllungsjournalisten besteht letztlich in der Aussage, dass die Linkspartei das Militär, die Rüstungslobby und die Geheimdienste nicht mag: "Daher gibt's Dauerfeuer." Offenbar soll nun zurückgeschossen werden.