"Es gibt keine Zweifel, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben"

Edward Snowden im Interview zum NSA-Spähprogramm

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es sind noch einige Veröffentlichungen zu erwarten, er wolle nicht vorgreifen, ließ Snowden gestern in einem halbstündigen Interview (Manuskript) mit der ARD auf Fragen nach Wirtschaftsspionage, der Zusammenarbeit zwischen dem BND und der NSA und der Überwachung von Regierungspolitikern wissen.

Snowdens Material liegt in den Redaktionen verschiedener Medien, läßt er verstehen. Die Entscheidung darüber, ob es veröffentlicht werde, liege bei den Journalisten, betonte der Whistleblower an mehreren Stellen, um seine Rolle zu verdeutlichen: Er selbst veröffentlicht keine geheimen Informationen und spricht auch erst darüber, nachdem darüber berichtet wurde.

Inwiefern ihm diese Haltung bei einer eventuellen Gerichtsverhandlung angerechnet würde, ist unklar, Snowden selbst ist, was seine Aussichten dazu betrifft, skeptisch, aber seine Haltung ist konsequent: Es sei Aufgabe der Medien einzuordnen, was wichtiger ist in der Abwägung der Informationen, Schaden für die Regierungen oder Nutzen der Öffentlichkeit. Beim Vorwurf "Verräter" müsse genau hingeschaut werden, fordert Snowden - darauf, welche demokratische und kontrollierende Funktion Öffentlichkeit gegenüber der Arbeit der Geheimdienste haben soll.

Ich habe alleine gearbeitet. Das ist tatsächlich der Fall. Ich habe alleine gearbeitet, ich brauchte von niemandem Hilfe, ich habe zu keinen ausländischen Regierungen irgendwelche Verbindungen und ich bin kein Spion für Russland, China oder irgendein anderes Land. Wenn es stimmt, dass ich ein Verräter bin, wen soll ich denn verraten haben? Ich habe alles, was ich weiß, der amerikanischen Öffentlichkeit, den amerikanischen Journalisten, geschenkt. Wenn das als Verrat gelten soll, sollten sich die Menschen wirklich fragen, für wen sie arbeiten. Die Öffentlichkeit ist ja schließlich ihr Chef und nicht ihr Feind.

Deutsche Politiker, insbesondere solche, die sehr darauf achten, dass die Harmonie zwischen der US-Regierung und der deutschen nicht von störender Kritik getrübt wird, werden sich an dieser Aussage stoßen. Doch, wie das Beispiel Merkel zeigt, kann sich die brave Haltung ändern, wenn sie erfahren, dass sie selbst Ziel der Überwachung sind, selbst wenn diese Praxis doch eigentlich zur Arbeit der Geheimdienste gehört, wie immer wieder betont wurde.

Wer außer der Kanzlerin noch überwacht wurde, lässt Snowden in seinen Äußerungen offen. Er belässt es bei Schlussfolgerungen, die anderswo auch schon gemacht wurden, nur dass sie bei ihm natürlich das Gewicht dessen bekommen, der nicht nur von Ahnungen spricht:

Was ich sagen kann, ist, dass wir wissen, dass Angela Merkel von der National Security Agency überwacht wurde. Die Frage ist, wie logisch ist es anzunehmen, dass sie das einzige Regierungsmitglied ist, das überwacht wurde. Wie wahrscheinlich ist es, dass sie das einzige bekannte deutsche Gesicht ist, um das sich die National Security Agency gekümmert hat? Ich würde sagen, es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand, der sich um Absichten der deutschen Regierung sorgt, nur Merkel überwacht und nicht ihre Berater, keine anderen bekannten Regierungsmitglieder, keine Minister oder sogar Angehörige kommunaler Regierungen.

Dass NS-Chef James Clapper unter Eid vor dem Kongress über die Arbeit des Geheimdienstes gelogen habe, sei für ihn als Beweggrund entscheidend gewesen, sagt Snowden. Ausmaß und Möglichkeiten der Überwachungstätigkeiten, werden im Interview noch einmal klar und deutlich angesprochen:

Ich kann Ihren Benutzernamen auf einer Webseite auf einem Formular irgendwo herausfinden, ich kann Ihren echten Namen herausfinden, ich kann Beziehungen zu Ihren Freunden verfolgen, und ich kann etwas bilden, das man als Fingerabdruck bezeichnet, das heißt eine Netzwerkaktivität, die einzigartig für Sie ist. Das heißt, egal wohin Sie auf der Welt gehen, egal wo Sie versuchen, Ihre Online-Präsenz, Ihre Identität zu verbergen, kann die NSA Sie finden.

Im Einzelnen wie in der Summe stehen sie im krassen Widerspruch zu den beschwichtigenden Äußerungen, wie sie beispielsweise vom früheren Innenminister Friedrich oder dem ehemaligen Kanzleramtsminister Pofalla gemacht wurden. Auch Snowden spricht an, was mehrere Berichte bestätigten: Dass das Ausmaß der Überwachung nicht von den vorgeblichen Erfolgen bei der Vereitelung von Terroranschlägen oder der Fahndung nach Terroristen gedeckt wird und damit zu rechtfertigen wäre.

Friedrichs Täuschung

In diesem Licht steht das Statement etwa von Hans Peter Friedrich, das dieser nach einem US-Besuch im letzten Jahr zur NSA-Affäre abgegeben hat, ganz eindeutig auf der Seite der Unwahrheit, bzw. der Täuschung. Ob Friedrich dies aus Vorbedacht oder naiver Servilität gegenüber der US-Regierung tat, ist offen; klar ersichtlich wird aus den Äußerungen Snowdens, dass Friedrichs Emphase, wonach es keine Industriespionage gebe, wie ihm die US-Regierung zugesichert habe, hohl ist - ernstgenommen wurde sie damals schon von niemandem, der vom Fach ist (vgl. Friedrich: "Keine Industriespionage gegen deutsche Unternehmen").

Auf die Frage, ob die NSA bei Siemens, Mercedes oder anderen erfolgreichen Unternehmen spioniere, um deren Vorsprung in Technik und Wirtschaft zum eigenen Vorteil zu benutzen, antwortet Snowden:

Ich will wieder nicht den Journalisten vorgreifen, aber was ich sagen kann, ist: Es gibt keine Zweifel, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben. Wenn es bei Siemens Informationen gibt, von denen sie meinen, dass sie für die nationalen Interessen von Vorteil sind, nicht aber für die nationale Sicherheit der USA, werden sie der Information hinterherjagen und sie bekommen.

Auch zur Zusammenarbeit zwischen BND und NSA lässt Snowden keine Zweifel daran aufkommen, dass man sich hier keinen Illusionen hingeben sollte. Die Geheimdienste arbeiten auf eine Weise zusammen, dass die gesetzlichen Lücken vom befreundeten Dienst geschlossen werden, wo der eine keine Daten sammeln darf, springt der andere ein, wie Snowden am Beispiel der Zusammenarbeit zwischen britischen Geheimdienst und der NSA erklärt und dies auch für den BND und die NSA andeutet.

Wenn die NSA also einen britischen Bürger ausspionieren will, kann sie ihn ausspionieren und die Daten sogar der britischen Regierung überlassen, die ihre Bürger selbst nicht ausspionieren darf. Es existiert also eine Art Handelsdynamik, aber diese ist nicht offen, es ist mehr ein Anstupsen und Zuzwinkern. Darüber hinaus geschieht die Überwachung und der Missbrauch nicht erst, wenn Leute sich die Daten ansehen, er geschieht, indem Leute die Daten überhaupt sammeln. […]

Die NSA erhält deutsche Daten

Die Zusammenarbeit zwischen BND, der NSA und den Five Eyes sei eng, so Snowden: "In einem schriftlichen Interview habe ich es zuerst so ausgedrückt, dass der deutsche und der amerikanische Geheimdienst miteinander ins Bett gehen. Ich sage das, weil sie nicht nur Informationen tauschen, sondern sogar Instrumente und Infrastruktur teilen. Sie arbeiten gegen gemeinsame Zielpersonen, und darin liegt eine große Gefahr." Auf die Frage, ob der BND Daten deutscher Bürger an die NSA weitergebe, antwortet er:

Ob der BND es direkt oder bewusst tut - jedenfalls erhält die NSA deutsche Daten. Ob sie geliefert werden, darüber darf ich erst sprechen, wenn in den Meiden darüber berichtet wurde, weil es als geheim eingestuft wurde, und es mir lieber ist, wenn Journalisten darüber entscheiden, was im öffentlichen Interesse liegt und was veröffentlicht werden sollte.

Es ist allerdings kein Geheimnis, dass jedes Land der Welt die Daten seiner Bürger bei der NSA hat. Millionen und Millionen und Millionen von Datenverbindungen aus dem täglichen Leben der Deutschen, ob sie mit ihrem Handy telefonieren, SMS Nachrichten senden, Webseiten besuchen, Dinge online kaufen - all das landet bei der NSA. Und da liegt die Vermutung nahe, dass der BND sich dessen in gewisser Weise bewusst ist. Ob er wirklich aktiv Informationen zur Verfügung stellt, darf ich nicht sagen.