NSA-Spähskandal: "Tod durch unzuverlässige Metadaten"

Jeremy Scahill und Glenn Greenwald schauen sich die Zusammenarbeit zwischen NSA und CIA beim Drohnenprogramm an und entdecken eine Fortsetzung von Brazil

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Die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist beträchtlich. Aberwitzig. „So verwirren sie uns“, erklärt ein früheres Mitglied der US-Kommandozentrale für Verbundoperationen von Spezialeinheiten (JSOC), Arbeitsgebiet Drohnen: „Sie treffen sich, werfen alle Sim-Karten in eine Tüte, mischen sie und jeder zieht eine Karte, wenn sie das Treffen verlassen.“ Dem simplen Ritual steht ein futuristischer Geheimdienstapparat gegenüber, das raffinierteste, gigantischste Geheimdienstprogramm aller Zeiten, eine Supermacht, deren Präsident in der Sache Drohnenangriffe von den „höchsten Standards“ spricht, die man setzen kann. Dann trifft es doch den falschen.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Drohne am falschen Ziel einschlägt, ist jedenfalls nicht unbeträchtlich, und dass der Skyraper-Drohne Frauen und Kinder zum Opfer fallen, ist nicht ausgeschlossen. Das ist bekannt. Was der Bericht der beiden Journalisten Jeremy Scahill und Glenn Greenwald, beide berühmt für ihre Arbeiten zum Thema Geheimdienste und Drohnen, Satz für Satz aus der Geheimdienstgruft herausschaufelt, sind die Schwachstellen in einem System, das in den letzten Monaten vor allem durch sein enormes Ausmaß und ausgefinkelten Dimensionen von Enthüllung zu Enthüllung mehr verblüfft hat.

Gegen die Schleppnetz-Überwachung sei kaum ein Kraut gewachsen, heißt es hier und dort, wo die Überwachung in Exekutionen übersetzt wird, hängt alles an der Sim-Karte? Geht es nach den Recherchen von Scahill und Greenwald, so läuft sehr vieles daraufhinaus, dass sich die Drohnenangriffe nach Mobiltelefonen ausrichten. Als Zeugen für diese erstaunliche Engführung werden von den beiden Journalisten Aussagen des eingangs zitierten namentlich nicht genannten Drone-Operators der JSOC und eines früheren Drone-Sensor-Operators angeführt, als jemand, der für die Fähigkeit zur Identifizierung von Zielen mitverantwortlich war.

90 Prozent der Drohnenangriffe werden nach Aussagen des früheren JSOC-Mitarbeiters aufgrund einer SIGINT-Information ausgelöst, dies lasse sich über „Mission-Reports“ erfahren. Dies laufe darauf hinaus, dass man eine Mobiltelefon im Visier hatte. „Human intelligence“ (HUMINT) komme erst nach dem Tod des Ziels zum Einsatz, berichten Scahill und Greenwald. Sie berufen sich dabei auf Aussagen einer Sprecherin des National Security Councils, die nichts darüber sagen wollte, ob „human intelligence“ bei der Zielermittlung eine Rolle spiele, aber dafür einiges darüber, welche Rolle die Arbeit von Geheimdiensten am Boden nach dem tödlichen Angriff spielt.

Das mag eine zugespitzte Interpreattion der Aussagen einer Behördenvertreterin sein, die nur Harmloses sagen darf, aber das Phänomen, wonach vor allem Daten, welche der NSA-Datenstaubsauger sowie die Datenstaubsauger an den Drohnen ermittelt haben, den Ausschlag für den Angriff geben, wird durch eine Reihe anderer Indizien im Artikel bestätigt.

Erfolgsdruck

Zu dieser fehlerhaften Zielermittlung kommt ein gewisser Erfolgsdruck. Die Erlaubnis des Präsidenten für einen Angriff ist nur für 60 Tage gültig. Wenn das Ziel nicht innerhalb dieser Zeit lokalisiert wird, dann muss der ganze Prozess neu aufgerollt werden, heißt es. Laut dem JSOC-Mitarbeiter kann es bis zu 18 Monate dauern, bis das Sammeln von geheimdienstlichen Erkenntnissen darin mündet, dass ein Ziel ermittelt wird und die Erlaubnis für einen Angriff erteilt wird. Kommandeure, die eine Erlaubnis erhalten haben, sind eher geneigt eine einmal erhaltene Gelegenheit zu nutzen – auch wenn das Risiko gegeben sei, dass Zivilisten ebenfalls getötet werden, weil sie fürchten, dass die Chance vielleicht nicht wieder kommt, so der anonyme JSOC-Whistleblower.

In dem Artikel, der von einer engen und erfolgreichen Zusammenarbeit der CIA mit der NSA in den letzten fünf Jahren beim Drohnenprogramm im Jemen berichtet, wird auch eine andere Dimension des mit NSA-Metadaten geführten Drohnenkrieges deutlich. Selbst wenn diese unverlässlich sind, vertrauen ihnen die Mitarbeiter.

Die Verantwortung wird weitergeschoben, bis sie sich irgendwo verliert

Es zeigt sich eine ähnliche Behördendystopie, wie sie in Filmen wie Brazil beschrieben werden. Die Verantwortung wird weitergeschoben, bis sie sich irgendwo verliert, Sendungen - in der Realität Drohnen – kommen zufällig ungewollt an die falsche Adresse. Aufgrund seiner Erfahrungen, so der frühere JSOC-Mitarbeiter, sei er der Auffassung, dass das Drohnenprogramm auf wenig mehr hinausläuft als den „Tod durch unverlässliche Metadaten“.

Dem steht ein bizarres Selbstverständnis seiner früheren Dienstkollegen gegenüber. Immer, wenn er Zweifel angemeldet habe, dass manche Erkenntnis aus SIGINT-Daten vielleicht zu schnell, zu unsauber oder richtiggehend falsch war, gab man ihm gewöhnlich zu verstehen, dass die US-Kommandozentrale für Verbundoperationen von Spezialeinheiten niemals Abermillionen Dollar und Arbeitsstunden in etwas investieren würde, zum beispiel die Fahndung nach einem bestimmten Mann, wenn man sich nicht sicher wäre, dass es der richtige Mann sei.

There is a saying at the NSA: ‘SIGINT never lies.’ It may be true that SIGINT never lies, but it’s subject to human error.