Bundesgerichtshof stärkt Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber erwachsenen Kindern

Kontaktabbruch und Enterben befreit nicht von der Pflicht zum Unterhalt der Eltern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Geht es um Unterhalt, so ist meistens von Kindern die Rede, die Ansprüche haben. In der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen häufig Urteile, die die Unterhaltspflicht des Vaters zum Gegenstand haben. Der Bundesgerichtshof entschied heute in einem Streitfall, der von Unterhaltsansprüche eines Vaters gegenüber seinem Sohn handelt. Der Sohn weigerte sich, die Heimkosten für seinen Vater zu übernehmen - ein Fall, dem angesichts der "alternden Gesellschaft", eine größere Bedeutung zukommt. Es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen ein solche Unterhaltspflicht nicht mehr gegeben ist. Im zugrundeliegenden Fall bestand jahrzehntelang kein Kontakt mehr zwischen Vater und Sohn, das Verhältnis so schlecht, dass der Vater den Sohn enterbt hatte.

Palais des Erbgroßherzogs Friedrich II. von Baden, heute Sitz des Bundesgerichtshofs. Foto: ComQuat; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Stadt Bremen richtete sich nach dem Tod des 89jährigen Vaters an dessen Sohn, mit der Aufforderung, rund 9.000 Euro Heimkosten zu erstatten. Der Sohn verweigerte dies. Mit dem Hinweis, dass der Kontakt zwischen seinem Vater und ihm seit etwa dreißig Jahren abgebrochen war. Seine Eltern hatten sich getrennt, ungefähr ein Jahr, bevor der Sohn Abitur machte. Der Sohn lebte bei der Mutter, hatte noch ein Jahr "losen Kontakt" zum Vater. Nach Erreichen des Abiturs brach der Kontakt völlig ab. Der Vater setzte in einem mehr als 25 Jahre später verfassten notariellem Testament seine "Bekannte" als Erbin ein, der Sohn sollte nur den "strengsten Pflichtteil" erhalten.

"Grober Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung"

Ein Amtsgericht gab im Streitfall den Forderungen der Stadt Bremen recht. Der Streit wurde an das Oberlandesgericht Oldenburg weitergetragen, das zugunsten des Sohnes entschied. Mit der Begründung, der Vater habe einen "groben Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung" gezeigt und sich damit aus dem Solidarverhältnis gelöst.

Der Bundesgerichtshof folgte dieser Ansicht nicht. Der Anspruch auf Elternunterhalt sei bei einseitigem Kontaktabbruch des Unterhaltsberechtigten gegenüber seinem volljährigen Sohn nicht verwirkt, heißt es in der offiziellen Pressemitteilung zum Urteil des Bundesgerichtshofes.

Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss des Oberlandesgerichts auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben, die Beschwerde zurückgewiesen und damit die amtsgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt. Der - zur Höhe unstreitige - Anspruch auf Elternunterhalt war trotz des Kontaktabbruchs zu dem volljährigen Sohn nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB verwirkt.

Kontaktabbruch keine schwere Verfehlung angesichts der früheren Fürsorge

Zwar räumte das Gericht ein, dass ein Kontaktabbruch, der vom unterhaltsberechtigten Elternteil ausgeht, "regelmäßig eine Verfehlung" einer Pflicht zu Beistand und Rücksicht darstellt, wie sie der Paragraf 1618 a des Bürgerlichen Gesetzbuches formuliert:

§ 1618a

Pflicht zu Beistand und Rücksicht

"Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig."

Aber: Die Verfehlung ist nach Auffassung der Richter nicht schwer genug, um den Elternunterhalt zu verwirken. Die Kriterien dafür sind in § 1611 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 BGB festgeschrieben:

§ 1611
Beschränkung oder Wegfall der Verpflichtung

(1) Ist der Unterhaltsberechtigte durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden, hat er seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht. Die Verpflichtung fällt ganz weg, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten grob unbillig wäre.

In der Begründung des Gerichts findet sich eine Abwägung. Der Aufkündigung des familären Bandes zu seinem volljährigen Sohn - ob dies nun einseitig von dem Vater ausging, lässt die Formulierung des Gerichts dabei offen - stehe gegenüber, dass sich der Vater zuvor um diesen gekümmert hat, bis der Sohn volljährig war. Damit habe der Vater seinen Elternpflichten in einer Lebensphase "im Wesentlichen" genügt, in der "besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich ist".

Auch dass der Sohn im Testament nicht über den Pflichtanteil hinaus berücksichtigt wurde, stellt für die Richter keine schweres Fehlverhalten ("Verfehlung") dar. Der Vater habe damit lediglich von seinem Recht auf Testierfreiheit Gebrauch gemacht.

Solche Unterhaltsfälle könnten künftig öfter auf "Sandwich-Familien" zukommen. Laut Aussage der Familienrechtlerin Eva Becker in einem Rundfunkbeitrag gibt es für Familien, die Kinder haben und sich gleichzeitig um den Unterhalt ihrer eigenen Eltern kümmern, sogenannte Selbstbehaltsätze. Sie nennt die Summe von 1.600 Euro netto als Maßgabe. Was darüber an Einkommen hinausgehe, werde zur Hälfte für Unterhaltsansprüche angesetzt.