NSU-Prozess: Zweifel an Beweisstück

Anwälte der Nebenklage gehen von mangelndem Aufklärungswillen aus - Opferfamilien kommt reine Statistenrolle zu

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Prozess gegen Beate Zschäpe sind Zweifel an einem Beweisstück aufgetaucht. Ein Kriminalkommissar, der sich für das Bundeskriminalamt (BKA) intensiv mit einem rassistischen Brettspiel auseinandergesetzt hat, das angeblich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zum Verkauf in der rechten Szene konzipiert haben soll, offenbarte mit seinen Aussagen vor dem Münchner Oberlandesgericht ein weiteres Mal, wie dünn die Beweislage im NSU-Prozess ist. Auf die Frage, ob er das Spiel überhaupt selbst jemals in der Hand hatte, anwortete der Ermittler mit "nein". Auch seine Antworten auf weitere Fragen fielen unbefriedigend aus.

Der NSU-Prozess findet im Strafjustizzentrum in München statt. Bild: F.R.

Laut Spiegel Online stellte einer der Zschäpe-Verteidiger folgende Fragen: "Woher wissen Sie dann, dass das sogenannte Trio das Spiel hergestellt hat? Waren alle Spiele gleich, oder gab es Unterschiede? Waren die vernichteten Exemplare identisch? Waren Fingerspuren auf den sichergestellten Spielen?"

Auf alle Fragen musste der Zeuge passen. Die Thüringer Allgemeine Zeitung berichtet, der Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben habe den Wert der Zeugenaussage des Kriminalkommissars auf "Null" eingestuft.

Wie wenig diese Meldung Beachtung in den Medien findet, ist erstaunlich. Bereits im Dezember 2011 hatte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (F.A.S.) von dem Brettspiel Pogromly berichtet, das als Anlehnung an das Spiel Monopoly zu verstehen ist, aber einen rassistischen und antisemitischen Spielinhalt hat. Die F.A.S. ließ sich vom thüringischen Verfassungsschutz "bestätigen", dass das Spiel "1997 von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Z. entworfen und in mehreren Dutzend Exemplaren hergestellt" worden ist. Freundlicherweise stellte das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz der Zeitung auch noch ein Foto des Spielbretts für den Artikel zur Verfügung, auf dem unter anderem auch Hakenkreuze zu sehen sind. Seit der Zeit wird das Spiel in Medienberichten und, ganz im Sinne der Anklage, als Beweis für die feste rechte und antisemitische ideologische Verankerung des Weltbildes des NSU-Trios gewertet.

Wer auch immer das Spiel konzipiert und hergestellt hat: Ein ehemaliger V-Mann des Verfassungsschutzes soll "etwa zehn Spiele...seinerseits gekauft" haben, wie die Süddeutsche Zeitung 2011 berichtete. Doch dass ein Kriminalkommissar, dessen Aufgabe es war, im Auftrag des BKA die Informationen zu dem Spiel auszuwerten, auf zentrale Fragen der Verteidigung in dem Zusammenhang so wenig Inhaltliches zu bieten hat, lässt tief blicken.

Mittlerweile schließen sich selbst die Anwälte der Nebenklage gleich dutzendweise zusammen, um in einer gemeinsamen Presseerklärung scharfe Kritik zu üben. "Die berechtigten Interessen der Angehörigen und Verletzten – vor allem das Interesse der Aufklärung – werden insbesondere vom Generalbundesanwalt längst als lästig hinten angestellt", heißt es in der Mitteilung.

Die Anwälte fordern eine "Kehrtwende im Verhalten der Ermittlungsbehörden ... hin zu Aufklärung und Transparenz!" Vom Bundestag verlangen sie außerdem die Einsetzung einer Enquetekommission, "...um das Querschnittsthema institutioneller und struktureller Rassismus und wirksame Mechanismen zu seiner Bekämpfung entsprechend dem Beispiel der Macpherson-Kommission in Großbritannien voran zu treiben".

Bei einer Pressekonferenz am Montag in Berlin äußerte unter anderem auch Rechtsanwalt Sebastian Scharmer , der die Tochter des in Dortmund erschossenen Mehmet Kubaik vertritt, seinen Unmut über die Situation im NSU-Prozess. "Das Hauptargument sei stets, dass die zu klärenden Punkte nicht Teil der Anklage seien - was natürlich auch an der Anklage liegt, die die Generalbundesanwaltschaft formuliert hat", berichtet Simone Rafael auf der Webseite Netz-gegen-Nazis. Außerdem heiße es, laut Scharmer, stets: "Diese Fragen können nicht im Prozess geklärt werden - dafür gab es den NSU-Untersuchungsausschuss. Dort hieß es allerdings ebenso, das könne nicht geklärt werden, das müsse Teil des Prozesses sein. So fallen viele wichtige Themen, die etwa das politische Umfeld betreffen, unter den Tisch."

Scharmer berichtete bei der Pressekonferenz auch von einem Vorfall, der erahnen lässt, woher die Verärgerung der Nebenklagevertreter kommt. So sei ein Zeuge aus der rechten Szene mit einem Zeugenbeistand im Gericht aufgetaucht. Der Zeugenbeistand habe dem Zeugen immer wieder ermutigt, nichts auszusagen. Pikant: Der Zeugenbeistand sei vom hessischen Verfassungsschutz ausgewählt und bezahlt worden. "Das sind unhaltbare Zustände, die die Generalbundesanwaltschaft aber ganz normal findet." Laut der Webseite Netz-gegen-Nazis sieht Scharmer die Opferfamilien in eine Statistenrolle gedrängt, "deren Interessen umgangen werden."