5 Jahre Bundestag? - Eine schlechte Idee

Stattdessen sollte das Los den Wahltermin setzen

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Ende des letzten Jahres wurde die Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags auf fünf Jahre diskutiert. Das mache die Politik handlungsfähiger, meinen viele. Völlig falscher Ansatz, meint der Journalist und Ethologe Timo Rieg im folgenden Beitrag - und wirbt stattdessen für einen unkalkulierbaren Wahltermin, der ausgelost wird.

Die Amtszeit des Bundestags von vier auf fünf oder gar sechs Jahre zu verlängern, wie es Bundestagspräsident Norbert Lammert vorgeschlagen hat, ist eine alte Idee. Sie gründet auf der zutreffenden Beobachtung, dass Politiker am Anfang einer Legislaturperiode, also der Amtszeit der Abgeordneten, lange Zeit mit dem Sortieren ihrer Posten beschäftigt sind und gegen Ende den Parlamentsbetrieb zugunsten des realen Wahlkampfs frühzeitig einstellen, mithin die Zeit zum echten Arbeiten dazwischen zu kurz sei.

Doch Politiker treibt man nicht durch eine Ausweitung ihres Zeitvertrages zum Arbeiten, und vom Wähler unbehelligt vor sich hin wurschteln sollen sie zu keinem Zeitpunkt.

Politik verlange das "Aussprechen unangenehmer Wahrheiten und das Anpacken unpopulärer Reformen", meint etwa der "Konvent für Deutschland". Die Schwäbische Zeitung propagierte die Verlängerung mit den Worten: "Politische Entscheidungen brauchen generell Zeit, unliebsame politische Entscheidungen zudem Stehvermögen, Weitsicht und Führungsstärke."

Diese Behauptungen passen allerdings überhaupt nicht zur Demokratie. Denn gefordert wird damit, explizit gegen den Willen der Wähler zu handeln, die zeitlich befristet verliehene Macht gegen das Volk zu nutzen, anders zu handeln, als man es in Wahlzeiten versprechen würde. Es ist die Idee vom "Vater Staat", der eben auch mal streng sein muss, wenn sein Nachwuchs (das Volk) wohl geraten soll. Kein Wunder, dass sich bei genauerer Betrachtung die Fans solch unpopulärer Reformen nicht als Masochisten, sondern als Nutznießer des Unangenehmen entpuppen.

Das letzte Jahr vor einer Bundestagswahl passiert nicht mehr viel, weil die Politiker taktieren, sich Themen für die neue Legislaturperiode aufsparen und mit Wahlkampf und parteiinternen Machtkämpfen beschäftigt sind, lautet die zweite wichtige Begründung für eine pauschale Mandatsverlängerung ("verlorenes Jahr). Dieses tatsächlich enorme Problem hat jedoch wenig mit der Legislaturdauer zu tun; es gründet allein in den beruflichen Interessen der Politiker, die während der Wahlkampfzeit nur besonders offensichtlich werden. Ganzjährig müssen Politiker vor allem ihrer Partei gefallen, das heißt ihren Parteiobersten und der kleinen Schar anderer wichtiger Parteifunktionäre und Strippenzieher. Diese entscheiden letztlich über die Karriere. Die Wähler haben darauf nur marginalen Einfluss, wie die Große Koalition wohl überdeutlich zeigt.1

Das große Werben um Partei- und Wählergunst wird mit einer Verlängerung der Legislaturperiode nur ein wenig gestreckt. Was dabei durch die 20-prozentige Verminderung von Wahlterminen theoretisch an Wahlkampfgetöse eingespart werden könnte, wird womöglich durch den Bedeutungszuwachs seltenerer Wahlen wieder kompensiert.

Und ist es nicht eine komische, von Kommentatoren wie Politikern gleichermaßen vertretene Auffassung von Demokratie, wenn gerade die Zeit der großen öffentlichen Debatte, der Positionierung, der Kanzlerschaftsduelle (oder auch mal -trielle?), der intensiven öffentlichen Politisierung als Stillstand interpretiert wird, nur weil gerade keine Gesetze durchgewunken werden? Ist nicht das viel größere Problem jene Zeit, in der eine Regierungsmehrheit recht unbeschadet von der öffentlichen Meinung agieren kann, in der jegliche Einmischung von Bürgern als Stammtischgeschwätz abgetan werden kann, weil man gerade gut mit Liebesentzug leben kann?

Solange man am System einer de facto ausschließlich von Parteien vorgegebenen und im Wesentlichen sogar bestimmten Repräsentantenauswahl festhalten will, bietet sich für die Bestimmung von Wahlterminen ein ganz anderes Instrument an: das Los. Gerade nicht mit einer festgelegten Legislaturdauer arbeiten zu können, sondern jederzeit damit zu rechnen, sich als Parlament und Regierung dem Wählervotum stellen zu müssen, würde erheblich dazu beitragen, dass Probleme und ihre möglichen gesetzlichen "Lösungen" wenn schon nicht sachlich, so doch politisch diskutiert werden - und nicht mehr taktisch verwaltet werden.

Schon vor Bildung der Großen Koalition wurde landauf, landab darüber diskutiert, wie die Parteien am Ende der kommenden vier Jahre für den Wahlkampf aufgestellt sein werden: Welche Themen sie dann (noch) haben, welche Koalitionsmöglichkeiten sie sich geschaffen oder verbaut haben, und vor wie emotional wechselgebadete Wähler die Spitzenkandidaten treten werden. Es ist quasi unstrittig, dass es in den nächsten Jahren nicht darum gehen wird, grundlegende Probleme zu beseitigen, Themen "wegzuarbeiten", gar die Welt zu verbessern, sondern es geht darum, wie diese Zeit von berufspolitischen Karrieristen für den Ausgang der nächsten Wahl genutzt werden kann.

Macht auf Zeit

Die Auslosung des Wahltermins würde dieses lähmende Taktieren weitgehend unmöglich machen und vor allem das Parlament zu einer Arbeit zwingen, die es jederzeit vor dem Wähler zu verantworten bereit ist. Schon vor 14 Jahren hat Klaus Schweinsberg in der Zeit dazu geschrieben:

Die Demokratie ließe sich durch den Zufall nicht zuletzt dadurch lebendiger gestalten, wenn er ihre Termine ein wenig durcheinanderbrächte. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist das Phänomen, dass vor Wahlen alles besser zu werden scheint. Im Vorfeld einer Bundestagswahl beispielsweise gewinnt in Deutschland das wirtschaftliche Wachstum an Fahrt, und die Arbeitslosenzahlen gehen zurück. Doch wenn die Regierungspolitiker bis kurz vor dem Wahltag nicht wissen, wann die Bürger zur Urne gerufen werden, so fehlt der zeitliche Vorlauf, um einen 'politischen Konjunkturzyklus' auszulösen.

Klaus Schweinsberg

Praktisch hieße dies, regelmäßig auszulosen, ob in Kürze eine Bundestagswahl stattfinden soll oder noch nicht. Für eine maximale Mandatszeit von fünf Jahren kämen zum Ende des ersten Jahres nach der letzten Wahl 48 Lose in einen Topf - oder wie beim Lotto Kugeln in eine Glastrommel. 47 Lose oder weiße Kugeln stehen für "Niete" bzw. "keine Wahl", ein Los oder eine schwarze Kugel steht für "Wahl". Ab dann wird monatlich öffentlich gelost, mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von 1:48 muss also bereits nach der ersten Ziehung ein neuer Bundestag gebildet werden, spätestens aber nach der achtundvierzigsten.

Auf lange Sicht würde der Bundestag durchschnittlich alle drei Jahre neu gewählt. Beschränkt man sich für die Wahlvorbereitung auf die knappen zwei Monate, die das Grundgesetz im Falle einer Auflösung des Bundestags vorsieht2, verkürzt sich die Wahlkampfzeit gegenüber heute ganz erheblich. Und auch die Nachrichtenredaktionen werden anders arbeiten müssen, wenn sie nicht mehr lange vor einem gesetzten Wahltermin mit dem Kaffeesatzlesen beginnen können.

Da der Ruf nach Abstimmungen auf Bundesebene immer lauter wird und sie in irgendeiner Form eingeführt werden müssen, ob nun als Volksentscheide, nur als Volksinitiativen oder als unverbindliche Meinungsbefragungen, greift auch das ohnehin langweilige Kostenargument nicht mehr. Abstimmungen braucht es deutlich häufiger als alle vier Jahre, und wenn in diesem Zuge auch aufgrund der aktuellen Auslosung noch ein Bundestag zu bestücken ist, erledigt man das eben gerade noch mit.

Die Auslosung des Wahltermins und die damit verbundene Unbestimmtheit der Legislaturdauer würde uns viel Schaumschlägerei ersparen und Politikern sehr deutlich vor Augen führen, dass ihnen Macht nur auf Zeit verliehen ist, dass sie - geradezu biblisch3 - jederzeit bereit sein müssen, sich vor den Wählern für ihr Tun und Lassen zu verantworten. Und es wäre ein recht einfacher Schritt4 auf dem Weg zu noch ganz anderen, sehr demokratischen Reformen aus dem Repertoire des Zufalls.

Timo Rieg, Diplom-Journalist und Diplom-Biologe, arbeitet als freier Journalist zu Medien- und Demokratiethemen und schreibt Sachbücher. Zuletzt erschien von ihm: "Demokratie für Deutschland - Von unwählbaren Parteien und einer echten Alternative".