Gummiband-Muskeln aus Angelschnur

Muskeln aus verschieden dicken Nylon-Fäden im Vergleich (Foto: Science / AAAS)

Forscher wenden das Prinzip des Gummiband-Motors auf künstliche Muskeln an

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"Du hast ja Muskeln wie Angelschnüre": Was heute noch nicht nach einem Kompliment klingt, könnte in Zukunft echte Begeisterung ausdrücken. Aus Nylon-Fäden, dem Grundmaterial von Angelschnur, haben Forscher nämlich künstliche Muskeln konstruiert, die 100 Mal stärker sind als die Muskelfasern des Menschen.

Die Wissenschaftler nutzen bei ihrer Idee, die sie im Wissenschaftsmagazin Science vorstellen, ein Prinzip, das manch Leser vielleicht noch aus der Kindheit kennen. Spielzeug-Flugzeuge lassen sich nämlich mit Gummibändern zu erstaunlichen Leistungen antreiben. Professionelle Modelle bringt ihr Gummimotor in nicht mal einer Minute auf eine Höhe von 90 Metern.

Das Geheimnis dahinter sind ganze 30 Gramm Gummi, die in Form von 30 Zentimeter langen Fäden vorliegen. Diese werden vor dem Start unter 40 Kilogramm Zug bis kurz vor dem Zerreißen gespannten, auf die dann zehnfache Länge losgelassen, versetzen sie durch das Zusammenziehen der elastischen Moleküle den Rotor in Drehung, der das Flugzeug antreibt.

Wärme, Licht oder Chemikalien als Steuerungsmöglichkeiten

Statt eines Gummibandes nutzten die Forscher allerdings eine andere Grundlage: Dünne Fäden aus Polyethylen und aus Nylon. Diese verdrehten sie sehr stark in sich selbst - erst dadurch kommt der Effekt von Zusammen- und Auseinanderziehen unter Krafteinwirkung zustande.

Die so konstruierten Muskeln sind zu erstaunlichen Leistungen fähig und bleiben dabei extrem leicht. Sie können sich um fast die Hälfte zusammenziehen, etwa 100 Mal höhere Lasten als menschliche Muskeln derselben Größe tragen und pro Kilogramm Muskelgewicht 5,3 Kilowatt Leistung verrichten. Das entspricht etwa den Kenndaten eines Flugzeugtriebwerks.

Sie besitzen aber noch ein paar andere spannende Eigenschaften. Diese betreffen die Art und Weise, wie sich die Muskeln steuern lassen. Je nach Konstruktion könnte zum Beispiel Wärme der auslösende Faktor sein, aber auch Licht oder Chemikalien kommen in Frage. Die Forscher demonstrierten unter anderem einen aus diesen Fasern "gewebten" Stoff, der abhängig von der Umgebungstemperatur seine Porengröße ändert.

Fenster-Vorhänge können sich je nach Innentemperatur oder Lichteinfall automatisch heben und senken. Die künstlichen Muskeln reagieren sehr schnell und lassen sich in fast beliebigen Längen herstellen - weitere Vorteile dieser Technik, die für Roboter-Bauer ebenso interessant sein dürfte wie für Architekten oder Textilproduzenten.