Ukraine: Opposition und Regierung einigen sich

Innerhalb von 10 Tagen soll eine Regierung der nationalen Einheit entstehen, die Radikalen in der Opposition wollen das ausgehandelte Abkommen nicht akzeptieren

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Der Bogen war überspannt und die Macht des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zerbröselte zusehends. Immer mehr Abgeordnete seiner Partei der Regionen haben diese verlassen, heute waren es mindestens zwei Dutzend, die nicht mit in den drohenden Untergang gerissen werden wollten. Vermutlich hatten Sanktionsdrohungen der EU und die Anwesenheit des deutschen, polnischen und französischen Außenministers nach den blutigen Zusammenstößen, bei denen mindestes 80 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden, den Ausschlag gegeben. Und vermutlich lag es auch nicht im Interesse Russlands, dass das Land in Chaos versinkt und in einen östlichen und westlichen Teil zerfällt.

Ob die Menschen auf den Straßen hinter dem Abkommen stehen werden, muss sich erst noch zeigen. Bild: president.gov.ua

Am Nachmittag unterzeichneten Präsident Janukowitsch und die drei Oppositionsführer Vitali Klitschko, Arseni Jazenjuk und Olej Tjahnybok sowie Frank-Walter Steinmeier und Radoslaw Sikorski Abkommen in Anwesenheit des russischen Vermittlers Wladimir Lukin. Russland unterstützt zwar die Versuche, den Konflikt zu beruhigen, sieht diesen aber weiterhin vor allem durch militante Regierungsgegner verursacht. Betont wird, dass Lukin das Abkommen nicht unterschrieben hat, weil Fragen offen geblieben seien. Überdies sei nicht klar, wer verantwortlich ist. So wurde denn auch erst einmal die zweite Tranche der Kreditzahlung in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar an die Ukraine eingestellt, bis die Stabilität im Land wiederhergestellt und geklärt worden sei, wie der Kredit zurückbezahlt wird, da die ukrainische Währung weiter an Wert verliert.

Das Abkommen sieht die Rückkehr zur Verfassung aus dem Jahr 2004, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit innerhalb von 10 Tagen und Präsidentschaftswahlen noch in diesem Jahr vor. Zuvor muss bis September eine neue Verfassung mit neuen Wahlgesetzen verabschiedet werden. Es wird eine dritte Amnestie geben, die Gewaltaktionen der letzten Tage sollen auch mit der Hilfe des Europarats untersucht werden, der Notstand soll nicht ausgerufen werden.

Regierung und Opposition müssen nach dem Abkommen jede Gewalt einstellen, Oppositionelle müssen sich aus den besetzen Gebäuden zurückziehen und die Blockaden abbauen. Das Tragen illegaler Waffen wird verboten.

Mitgespielt haben jedenfalls alle Abgeordneten. Kurz nach Unterzeichnung des Abkommens verabschiedete die Rada mit einer großen Mehrheit von 386 Stimmen die Wiederherstellung der Verfassung von 2004. Dafür stimmten auch 140 Abgeordnete der Partei der Regionen, Gegenstimmen gab es keine. Beschlossen wurde auch, Innenminister Vitali Sachartschenko abzusetzen, der für die Gewaltausübung der Sicherheitskräfte verantwortlich sein soll, und die Amnestie für alle während der Unruhen Verhafteten. Zudem dürfte Julia Timoschenko bald frei kommen, sie soll nach dem Willen des Parlaments nicht mehr strafrechtlich belangt werden.

Janukowitsch beeilte sich auch, die Staatstrauer für die an den letzten Tagen Getöteten anzuordnen. Russische Medien berichten, dass der ukrainische Geheimdienst SBU sich vorbereitet, alle Bestrebungen, die zu einer Teilung des Landes führen könnten, zu unterbinden. Wer die territoriale Integrität gefährde, werde strafrechtlich verfolgt. So wird eine Erklärung des Geheimdienstes zitiert, wobei allerdings nicht klar ist, ob dessen Befugnisse nicht durch die nationale Einheiztsregierung eingeschränkt würde, sofern diese zustande kommt:

Die gegenwärtige Situation in der Ukraine zeugt von Versuchen einzelner Politiker, Vertreter der Organe der örtlichen Selbstverwaltung, führender Repräsentanten gesellschaftlicher Vereinigungen und radikal gesinnter Personen, eine Grundlage für die Eskalation des zivilen Konflikts zu schaffen und separatistische Stimmungen unter der Bevölkerung zu schüren. Das kann die Existenz der Ukraine als eines eigenen Staates gefährden und den Verlust der staatlichen Souveränität zur Folge haben. Einige Abgeordnete auf unterschiedlichen Ebenen haben bereits separate Verhandlungen mit Vertretern anderer Länder aufgenommen. Offen finden Konsultationen zur möglichen Teilung des Landes statt. Das wäre ein Verstoß gegen die in der Verfassung festgeschriebene Ordnung.

Auf der anderen Seite heißt es, die am 19. Februar beshclossene Anti-Terror-Operation werde eingestellt, der Geheimdienst werde aber weiter die Interessen der Bürger und der Gesellschaft gegen terroristische Angriffe verteidigen.

Ein Führer des Rechten Sektors lehnt das Abkommen ab und fordert den Rücktritt des Präsidenten. Screenshot des Videos

Man wird nun sehen, ob die radikalen und rechten Gruppen in der Oppositionsbewegung hier mitspielen werden. Bei der Rückkehr der drei Oppositionsführer auf dem Maidan, wo man um die Getöteten trauerte, wurden sie ausgepfiffen. Gefordert wird von den Radikalen der Maidan-Selbstverteidigung der unmittelbare Rücktritt von Janukowitsch. Ein Führer des rechten Sektors drohte, das Parlament mit Waffengewalt zu stürmen, wenn der Präsident nicht bis morgen um 10 Uhr vormittags seinen Stuhl räumt. Noch ist es auf dem Maidan ruhig. Es wird um die "Märtyrer" getrauert.

Schon kurz nach dem Zustandekommen des Abkommens hat der Rechte Sektor dieses abgelehnt und jeden Kompromiss mit "Pseudopräsident" Janukowitch und seinem "kriminellen Regime" verpönt. Der Innenminister hätte, so der Führer des Rechten Sektors, Dimitri Jarosch, nicht nur entlassen, sondern verhaftet werden müssen. Ebenso die Führung der Berkut-Einheiten. Es hätten noch mehr entlassen werden müssen, beispielsweise der Chef der Staatssicherheit und der Verteidigungsminister. Zudem müssten Aktivitäten der Partei der Regionen und der Kommunisten verboten werden. "Die nationale Revolution geht weiter. Und sie wird erst mit der vollständigen Beseitigung des Besatzungsregimes und der Erreichung eines ukrainischen Staates mit einem umfassen nationalen Regierungssystem enden." Von Demokratie und Rechtsstaat ist nicht die Rede.