Verschwendeter Wohnraum

11 Millionen Häuser und Wohnungen stehen angeblich in Europa leer - bei wachsender Zahl der Wohnungslosen

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Leerstehende Wohnungen regen die Fantasie an. Und manchmal zur Aktion. So steht in München in Bestlage ein Haus mit vielen leeren Wohnungen, die Pläne der Stadt steuern auf Abriss zu und einem Millionen teuren Neubau mit schönen Wohnungen für die urbanen Gutverdiener.

Ein Initiative wehrt sich gegen die Abrisspläne. Prominente demonstrierten anhand einer Wohnung, wie alle anderen auch mit relativ günstigen Mitteln zu renovieren wären. Die Stadt könne sich die teure Investition sparen, die Mieten würden erschwinglich bleiben, das Viertel von einer Monokultur des Bewohnertyps verschont. Fachleute würden bestätigen, dass die Bausubstanz des Gebäudes in Ordnung sei.

In München, wo freie Wohnungen selten sind und die Mieten sehr hoch, ist der Bedarf für bezahlbare Mietwohnungen riesig. Ein Kurswechsel der Stadt in der Frage wäre eine konkrete Maßnahme, um auf das Wohnungsproblem zu antworten und generell ein richtungsweisendes Signal.

Ein aktueller Bericht des Guardian dreht das Problem "großer Bedarf und Möglichkeiten, die nicht genutzt werden, weil Investoren andere Interessen haben" noch auf eine ganz andere Fallhöhe. Verglichen wird die Zahl leerstehender Häuser und Wohnungen in großen Ländern Europas mit der Zahl der Obdachlosen.

Mehr als 11 Millionen Häuser und Wohnungen sollen nach Informationen des Guardian in Europa leerstehen. 3,4 Millionen in Spanien, in Frankreich und Italien jeweils 2 Millionen, in Deutschland 1.800.000 und in Großbritannien mehr als 700.000. Auch in Irland, Griechenland, Portugal "und in diversen anderen Ländern" gebe es zahlreiche leerstehende Wohnräume.

Zum Kontrast wird die Zahl der Obdachlosen in der EU genannt 4,1 Millionen. Und schließlich die Gegenüberstellung, wonach 11 Millionen leerstehende Wohnungen mehr als doppelt so viele Unterbringungsplätze bedeuten, als für die 4,1 Millionen Obdachlosen des Kontinents nötig wären.

Dazu werden Vertreter verschiedener NGOs, Empty Homes, FENATSA oder die Organisation UK Chartered Institute of Housing zitiert, die zu Gegenmaßnahmen angesichts leerstehender, ungenutzter Immobilien und der wachsenden Zahl Wohnungsloser aufrufen: Die Regierungen sollten alle Anstrengungen unternehmen, um die leeren Wohnungen und Häuser dem Markt zugänglich zu machen.

Urlaubsresorts

In den Hintergrund des Appells gerät dabei, dass viel leerstehender Wohnraum sich dort befindet, wo er von den Ärmeren nicht gebraucht wird, wo es nicht genügend Arbeit oder ausreichende Infrastruktur gibt: Viele der Immobilien, die hinter den großen Zahlen stecken, gehören nämlich zu großen Urlaubsresorts, gebaut während der Boomjahre vor der Finanzkrise 2007-2008.

Laut Guardian wurden sie nie bewohnt - Investitionen, getätigt von Personen, die nie daran dachten, dort einzuziehen. Hunderttausende sollten gar von Bulldozern wieder abgerissen worden sein, um die Marktpreise möglichst oben zu halten. Erwähnt werden allerdings auch leerstehende Spekulationsobjekte in London, wo die Immobilienpreise in den letzten Jahren beträchtlich angezogen haben.

Die Rolle der Banken

Am Beispiel Spanien, wo die Immobilienblase besonders ausgeprägt war und viele Investitionen in Ferienhäuser einen immensen Werteverfall erlebten, zeigt sich auch das politische Kernproblem außerhalb des Feriensiedlungsbaus sehr deutlich. Im Zuge der Wirtschaftskrise verloren viele ihre Arbeit und konnten die Zinsen für ihr Haus nicht mehr bezahlen. Sie hatten gerade mal die Zinsen, aber nicht den Kredit abbezahlt.

Die Folge war, dass sie von der Bank mehr oder weniger "enteignet" wurden. Darauf hat die andalusische Regierung reagiert: Sie bestraft Banken und Immobilienfirmen, wenn sie leerstehende Wohnungen nicht vermieten (siehe Alle 15 Minuten wird derzeit in Spanien eine Wohnung geräumt). Die Angelegenheit liegt mittlerweile vor dem Verfassungsgericht in Madrid zur Entscheidung. Die Frage ist, ob das Beispiel Andalusiens und Projekte wie das Münchner Schule machen können.