Moskau droht mit militärischer Intervention

Die prorussische Bewegung in der Ukraine versucht ebenso wie die Regierung und Bewegung in der Westukraine die Lage zuzuspitzen und das Ausland mit einzubeziehen, Europa schaut zu

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Nicht nur auf der Krim, sondern auch in Städten in der Ostukraine findet inzwischen eine pro-russische Gegenbewegung zur pro-europäischen Maidan-Bewegung statt, die ebenso militant zu werden droht. Provoziert hatte das auch die ukrainische Interimsregierung, die mit einem Gesetz Russisch als zweite Amtssprache abschaffen wollte. Das war in der Situation nach dem mit EU-Vermittlung erzielten Abkommen mit Janukowitsch und der darauf folgenden Aufkündigung und der Absetzung von Janukowitsch höchst provokativ - und wahrscheinlich auch genauso gedacht.

Auf der Krim wurde vom neu gewählten prorussischen Ministerpräsidenten Sergej Axjonow, nun das Referendum über den künftigen Status schon auf den 30. März vor den angesetzten Präsidentschaftswahlen am 25. Mai vorgezogen. Die ukrainische Regierung erkennt die Wahl von Axjonow nicht an. Beide Seiten wollen Fakten schaffen und verbündete Staaten mit in den Konflikt hineinziehen. Die EU steht erst einmal blamiert da, weil sie ebenso wie Janukowitsch von den Parteien, die sie unterstützte, ausgetrickst wurde. Und die USA kann ebenfalls nur drohen, was von Putin ganz offensichtlich nicht sonderlich ernst genommen wird. Kritiker in den USA werfen Obama denn auch vor, zu sehr auf die Vermeidung von kriegerischen Einsätzen oder die Drohung mit diesen gesetzt zu haben.

Prorussische Aktivisten agieren mittlerweile ähnlich wie die Maidanbewegung. Bild: Euromaidan

Während der Westen vor einer Einmischung Russlands warnt, aber neben Warnungen vorerst nicht mehr machen kann, als die Regierung in Kiew durch schnelle Kredite zu unterstützen, um die anstehende Pleite zu verhindern oder hinauszuschieben, lässt die russische Regierung ihre Muskeln spielen. Man darf allerdings vermuten, dass hinter dem lauten Säbelrasseln und dem Versprechen, die russische Minderheit in der Ukraine zu schützen, nicht der Wille steht, ähnlich wie im Konflikt mit Georgien 2008 mit militärischen Mitteln die prorussischen Landesteile abzutrennen und in den eigenen Herrschaftsbereich zu bringen. Putin will aber den russischen Einfluss auf das Land sichern und es nicht ganz an den Westen verlieren. Allerdings ist die Gefahr groß, dass die Lage explodieren könnte und ein Bürgerkrieg entsteht, wenn etwa das Referendum für eine Autonomie ausgeht. Das würde nicht nur die Krim betreffen, sondern auch die Situation in den anderen Gebieten der Ostukraine aufheizen, wo auch nationalistische und separatistische Bewegungen stärker werden. Dazu kommt, dass auf der Krim auch die moslemischen Tartaren leben, die wegen der unter Stalin betriebenen Zwangsumsiedlung noch immer unter einem russischen Trauma leiden und gegen eine Abspaltung von Kiew sind. Es kam bereits zu ersten Protesten.

Und Moskau wird auch deswegen mit militärischen Interventionen vorsichtig sein, um nicht hier einen weiteren Konflikt mit einer militant werdenden muslimischen Bevölkerung auszulösen. Auch die Türkei dürfte sich bemüßigt fühlen, den Tartaren zur Hilfe zu eilen. Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu hält sich gerade in Kiew auf und erklärt, für die Türkei sei es entscheidend, dass die Einheit der Ukraine gewahrt und die Anwesenheit der Tartaren in der Region gesichert sei: "Die Türkei steht hinter der Ukraine und wird jeden Versuch machen, um die Rechte der Krim-Tartaren zu schützen." Die durch den Korruptionsskandal angeschlagene türkische Regierung und vor allem der direkt in sie verwickelte Regierungschef Erdogan könnten den Konflikt mit Russland im Vertrauen auf die Nato durchaus forcieren, um sich innenpolitisch zu entlasten.

Aus Sicht Moskaus haben Faschisten und Terroristen in Kiew die Macht auf illegale Weise ergriffen

Auf der Krim wurden nach Medienberichten bereits einige tausend zusätzliche russische Soldaten stationiert, die dort uniformiert, aber ohne Abzeichen die Macht übernehmen bzw. die prorussische Regierung mit ihren Institutionen sowie die Flughäfen und einige Gebäude schützen. Putin hat sich allerdings gestern nach der Bitte des Ministerpräsidenten der Krim, Sergej Aksjonow, um russischen Schutz, vom Parlament die Genehmigung erteilen lassen, russische Streitkräfte nicht nur auf der Krim, sondern in der ganzen Ukraine zum Schutz von Russen und der russischen Soldaten auf der Krim "bis zur Normalisierung der öffentlichen und politischen Lage" einsetzen zu können. Der Einsatz des Militärs im Ausland zum Schutz von Russen ist seit 2010 Bestandteil der Militärdoktrin.

Der Rat der Staatsduma machte zudem deutlich, dass wegen der "extremen Kräfte" Wahlen oder andere Staatshandlungen nicht möglich seien. Ein Hinweis, dass Russland die Regierung in Kiew weiter nicht anerkennen will: "Die Extremisten, die unter anderem in Lagern außerhalb der Ukraine ausgebildet wurden, und andere radikale Kräfte, die gesetzwidrig an die Macht gekommen sind, zwingen ihren Willen den östlichen und südöstlichen Regionen des Landes auf. In diesen Regionen ist aber der größte Teil der russischsprachigen Bevölkerung (der Ukraine) ansässig, die die Ansichten der aggressiv gesinnten radikalen Minderheit nicht teilt." Tatsächlich ist kaum vorstellbar, wie bei den gegenwärtigen Spannungen faire und demokratische Wahlen durchgeführt werden sollen.

Irina Yarovaya, die Vorsitzende des Sicherheitsausschusses der Staatsduma, legitimierte den möglichen Einsatz russischer Truppen in der Ukraine damit, dass dort "Faschismus und Terrorismus" an die Macht gelangt seien und "das Leben und die Sicherheit der russischen Bürger in der Ukraine und des Brudervolks der Ukraine" bedrohen. Die Regierung in Kiew sei durch Gewalt an die Macht gelangt, "organisierte kriminelle Gruppen" hätten sich im Bruch mit dem internationalen Recht und der ukrainischen Verfassung als Machthaber erklärt. Der Beschluss sei "humanitär", man wolle Leben und edle Werte schützen. Ihr Kollege Vladimir Komoyedov versicherte, bei der möglichen Intervention gehe es nicht um einen Kampfeinsatz. Zudem habe Russland das Recht, eine begrenzte Zahl von Truppen zum Schutz der Schwarzmeerflotte und der Russen einzusetzen. Zudem soll nach dem Willen der Staatsduma der russische Botschafter aus Washington als Reaktion auf die "aggressiven" Äußerungen von US-Präsident Obama abgezogen werden. Auch das hat Putin noch nicht beschlossen. Unklar ist, ob Putin die aggressive nationalistische Tendenz der russischen Abgeordneten forciert oder unter deren Druck steht.

Während Putin jedenfalls die Hand über dem Drücker hält, aber noch keinen Einsatzbefehl gegeben hat, wie ein Sprecher gestern Abend sagte, versetzte Interimspräsident Alexander Turtschinow die ukrainische Armee in Alarmbereitschaft. Klitschko drückt aufs Gaspedal und verlangt eine Mobilmachung. Auch hier stehen die Politiker unter dem Druck der Maidan-Bewegung. Die hatte ihre Macht schon demonstriert und das ausgehandelte Abkommen mit Janukowitsch platzen lassen, was die Situation drastisch zuspitzte. Der ukrainische Außenminister hat sich an die Nato mit der Bitte gewendet, die AKWs im Land zu sichern. Die Nato trifft sich heute, um die Situation in der Ukraine zu beraten.

Ähnlich unter Druck stehen nun die Politiker in der Ostukraine, wie der Fall der Stadt Donezk zeigt. Der Stadtrat hat sich gestern unter dem Druck prorussischer Aktivisten gegenüber der Regierung in Kiew zur einzigen legitimen Autorität erklärt. "Bis klar ist, ob die von der Rada erlassenen Gesetze legitim sind und die neuen Körperschaften der staatlichen Macht anerkannt sind", soll die Verantwortung den lokalen Regierungen zukommen, so eine Resolution des Stadtrats. Er beschloss auch die Aufstellung einer städtischen Polizei, also einer Miliz, zum Schutz vor "möglichen aggressiven Aktionen seitens radikaler nationalistischer Kräfte". Russisch wurde neben Ukrainisch zur Amtssprache und Russland zum strategischen Partner erklärt und gefordert, dass im Donezbecken ein Referendum durchgeführt werden soll. Die Beschlüsse wurden vor dem Ratshaus einer Menge von 5000 Menschen vorgelesen, die russischen Flaggen trugen und die Ankündigungen bejubelten.