Die Scharfmacher aus Brüssel

Auch "Russen-Versteher" Steinmeier gießt Öl ins Feuer

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EU-Außenminister werfen Russland eine "militärische Aggression" auf der Krim vor - doch ihren eigenen Beitrag zur Eskalation in der Ukraine schweigen sie tot.

Das hat es nicht einmal im Kalten Krieg gegeben: In ungewöhnlich scharfem Ton hat die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Montag in Brüssel die "Aggression" Russlands auf der Krim verurteilt und "gezielte Sanktionen" angedroht. "Wir wollen sehen, dass die Truppen wieder in ihre Kasernen zurückkehren", fügte die Britin hinzu, die in der Ukraine-Krise vor allem durch ihren Schlingerkurs aufgefallen war. Moskau müsse sich der Anordnung aus Brüssel fügen, sonst setze es Strafen.

Auf den ersten Blick klingen die EU-Sanktionen zwar nicht sehr beeindruckend. Man denke über die Aussetzung bilateraler Gespräche über Visafragen nach, hieß es nach einem Krisentreffen der EU-Außenminister, das nur einen Tag nach einer Sondersitzung der Nato stattfand. Brüssel könnte auch ein neues Rahmenabkommen zwischen der EU und Russland auszusetzen. Zudem könne die EU "weitere gezielte Maßnahmen" beschließen - gemeint sind Einreiseverbote oder die Beschlagnahme von Bankkonten.

Dennoch ist es ein historischer Einschnitt. Nicht einmal während des Georgien-Kriegs hatte die EU Russland so offen mit Sanktionen bedroht. Dabei gab es damals hunderte Tote und einen echten Kampfeinsatz. Davon kann auf der Krim (noch) keine Rede sein. Der Präsident des russischen Unterhauses, Sergej Naryschkin, sagte am Montag, derzeit bestehe "keine Notwendigkeit", von einer Militärintervention Gebrauch zu machen.

Doch die EU zieht schon mal alle Register, sozusagen präventiv: "Die EU verurteilt entschieden die klare Verletzung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine durch Aggressionshandlungen der russischen Streitkräfte", heißt es in der Erklärung der Außenminister. Es handele sich um "einen klaren Verstoß gegen die UN-Charta und die OSZE-Schlussakte ebenso wie gegen Russlands Verpflichtungen aus dem Budapest-Memorandum von 1994".

"Gefahr einer Spaltung Europas"

Wer geglaubt hatte, Kanzlerin Angela Merkel oder ihr neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier würden die Wogen glätten, sah sich getäuscht. Steinmeier plädierte zwar für eine Beobachtermission der OSZE, er schlug auch die Bildung einer Kontaktgruppe vor. Doch verbal hat sich nun auch Steinmeier, der sich gern als Vermittler und "Russen-Versteher" präsentiert, bei den Scharfmachern eingereiht. "Europa befindet sich ganz ohne Zweifel in der schärfsten Krise seit dem Mauerfall", sagte der SPD-Mann. "25 Jahre nach dem Ende der Blockkonfrontation ist die Gefahr einer erneuten Spaltung Europas real."

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz mit seinem griechischen Kollegen Evangelos Venizelos und dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Bild: Rat der Europäischen Union

Eine Spaltung Europas - weil die Krim von Russland besetzt werden könnte? Eine Krise wie nach dem Mauerfall - weil Moskau es nicht hinnehmen möchte, dass die EU das Gesetz in der Ukraine schreibt? Das sind neue Töne aus Berlin und Brüssel. Noch beim EU-Russland-Gipfel im Februar hatte man sich um ein bisschen Frieden bemüht. Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy hatten sogar versucht, dem russischen Staatschef Wladimir Putin weiszumachen, das geplante EU-Assoziierungsabkommen für die Ukraine und Moskaus "Eurasische Union" seien keine Gegensätze.

Doch nun haben sich - nach massivem Trommeln aus Washington - offenbar die Falken durchgesetzt. Für sie ist das unilaterale Vorgehen Russlands auf der Krim der ideale Vorwand, ihre aggressive geopolitische Agenda voranzutreiben. Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen ist dabei nur ein Teil des Programms. Am Ende soll der Nato- und EU-Beitritt der Ukraine - wohlgemerkt: der ganzen Ukraine - stehen. Letztlich geht es wohl darum, Russland einzukreisen und Putin zu stürzen. Dass man sich dabei auch nationalistischer und faschistischer ukrainischer Gruppen wie "Swoboda" bedient, scheint die Mehrheit der EU nicht zu stören.

Vorgehen der EU heizte den Konflikt auf

So weit bekannt, äußerte auch kein Außenminister Kritik am bisherigen Vorgehen der EU. Dabei haben die Europäer selbst nicht unwesentlich zur Eskalation in der Ukraine beigetragen. So haben sie es von Anfang an versäumt, Russland in die Annäherung des Landes an die EU einzubeziehen. Moskau könne kein Vetorecht beanspruchen, hieß das Standardargument aus Brüssel. Mit der "strategischen Partnerschaft", die die EU mit Russland auf dem Papier pflegt, war dies kaum vereinbar.

Als das geplante Assoziierungs- und Freihandelsabkommen am Nein von Ex-Präsident Janukowitsch scheiterte, liefen die EU-Vertreter mit wehenden Fahnen zur damaligen Opposition über. Wie selbstverständlich führten die EU-Außenbeauftragte Ashton und Erweiterungskommissar Füle auch Gespräche mit den Rechtsextremen von Swoboda - obwohl sie wissen mussten, dass dies nicht nur in Israel, sondern auch in Russland auf massive Vorbehalte stieß. Auf Nachfrage hieß es, man müsse mit allen "Stakeholdern" reden, dies sei im Interesse einer friedlichen Lösung.

Noch widersprüchlicher wurde das Verhalten der EU-Diplomaten nach dem Blutbad von Kiew. Drei Minister aus Deutschland, Frankreich und Polen handelten ein Abkommen zwischen Janukowitsch und der Opposition aus, das eine "Roadmap" bis Dezember enthielt. Doch weder Steinmeier noch seine Kollegen griffen ein, als sich die Opposition in Wort und Tat über die Vereinbarung hinwegsetzte. Sie bestanden auch nicht auf der Bildung einer wirklich "inklusiven" Regierung, wie vereinbart worden war.

Vielmehr wurden die neuen Machthaber in Kiew im Handumdrehen anerkannt. Dass weder die russischsprachigen Ukrainer noch die Krim in der neuen Regierung vertreten sind, war den EU-Verantwortlichen ebenso wenig der Rede wert wie ein Gesetz, dass dem Russischen den Status einer offiziellen Sprache entzieht. Auch bei der Krisensitzung der Außenminister am Montag war davon natürlich keine Rede. Umso öfter betonten Ashton und ihre Kollegen, dass die Ukraine über eine neue "legitime" Regierung verfüge, der man nun endlich und entschieden helfen müsse.

Dies spiegelt die neuen Machtverhältnisse in der EU wieder. Beim Irak-Krieg waren Polen und die baltischen Staaten noch in der Minderheit; die "neuen Europäer" wurden außenpolitisch noch nicht richtig ernst genommen. Dies hat sich grundlegend geändert. Über das so genannte "Weimarer Dreieck" haben Deutschland und Frankreich die Polen außenpolitisch eingebunden und massiv aufgewertet. Polen war denn auch die treibende Kraft bei der Annäherung der Ukraine an die EU - und bei der Forderung nach Sanktionen gegen das alte Janukowitsch-Regime.

Allerdings ersetzen Sanktionen keine Strategie - und da sieht es weiter finster aus. Die EU hat ihrer Ostpolitik zwar einen wohlklingenden Namen gegeben. Doch die "Östliche Partnerschaft", die auch Länder wie Moldawien und Georgien umfasst, steht bisher nur auf dem Papier. Weder aus dem Scheitern des Assoziierungsabkommen noch aus der vehementen Kritik aus den USA ("Fuck the EU") haben die Europäer Konsequenzen gezogen. Sie haben keine Strategie, und sie sind auch nicht wirklich einig.

Wie schon im Irak-Krieg standen sich auch beim Krisentreffen am Montag wieder zwei Lager gegenüber - die "alten Europäer" um Deutschland und Frankreich und die "neuen" um Polen und Großbritannien. Doch während es den "Tauben" damals gelang, die EU aus dem Irak-Konflikt herauszuhalten, scheinen sich diesmal die Falken durchzusetzen. Bei einem kurzfristig einberaumten EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel dürften sie den Ton angeben. Wenn es nach Polen geht, soll sogar die neue ukrainische Führung an dem Gipfel teilnehmen.

Eine solche Ehre wurde bisher nicht einmal dem EU-Beitrittskandidaten Türkei zu Teil - und dabei ist die Ukraine offiziell noch gar kein EU-Anwärter…