Russische Regierung fordert vor jedem Flug über eigenes Territorium Passagierdaten

Auch Reisen mit Schiffen, Zügen oder Bussen sollen erfasst werden. Vorläufig gibt sich das russische Transportministerium mit abgespeckten Informationen zufrieden – mit der Krise in der Ukraine steht das auf dem Spiel

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Seit letztem Jahr verhandelt das russische Transportministerium mit der Europäischen Union über die Weitergabe von Fluggastdaten: Vor jedem Flug in oder über russisches Territorium wollen russische Grenzbehörden persönliche Informationen der mitfliegenden Passagiere. Diese werden dann mit Informationssammlungen von Polizei, Zoll oder Geheimdiensten abgeglichen. Sofern keine Bedenken bestehen, können die Reisenden unbeanstandet landen. Falls die Behörden jedoch Einwände haben, muss die Airline den Transport der Person verweigern.

Ein ähnliches Abkommen hat die EU bereits mit den USA, Australien und Kanada geschlossen. Die unter dem Deckmantel der "Terrorismusbekämpfung" weitergereichten Fluggastdatensätze ("Passenger Name Records", PNR) sind weitgehend: Die Rede ist von rund 60 Einzelinformationen: Neben persönlichen Daten werden die genutzten Reisebüros, Post- und Mailadressen, Zahlungsmittel, Essensvorlieben beim Flug oder auch Hotelbuchungen bei Zwischenlandungen erfasst. Kritiker monieren unter anderem, dass dadurch ersichtlich wird, wer mit wem im Hotelzimmer übernachtet (Passagierdaten-Krimi).

Werden die Informationen nicht wie vorgeschrieben übermittelt, droht den Fluglinien ein Entzug der Landeerlaubnis oder auch von Überflugrechten. Eine Rückkehr zum Startflughafen ist mit hohen Kosten verbunden, weshalb die Airlines in vorauseilendem Gehorsam gern mit den Grenzbehörden kooperieren. Am Flughafen Frankfurt hat sich im Falle der USA sogar ein Ableger des Heimatschutzministeriums installiert, der Fluglinien zur Nicht-Beförderung mancher Passagiere "berät" (US-Reiseverbote Made in Germany).

EU-Innenkommissarin in heller Aufregung

Dass nun auch die russische Regierung mit Flugverboten droht, hatte bereits im Sommer vergangenen Jahres beim Gipfeltreffen der Europäischen Union und Russlands für Ärger gesorgt. Das Transportministerium hatte ein Dekret erlassen, das die Übermittlung von PNR-Daten erzwingen und zum 1. Juli 2013 in Kraft treten sollte. Begründet wurde der Schritt mit der föderalen Verfassung, die eine Verarbeitung der Daten vorschreibt. Besonders pikant: Nicht nur Flugreisen würden erfasst, sondern auch Passagiere von Schiffen, Zügen oder Bussen.

Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström geriet in helle Aufregung: Denn sollten tatsächlich wie mit Kanada, Australien und den USA weitgehende PNR-Daten gefordert werden, bräuchte es ein entsprechendes Abkommen zum Datentausch. Jedoch hatte die Kommission mit zweierlei Maß gemessen: Im Falle Kanadas und der USA wurden auch vor Abschluss des finalen Abkommens munter Fluggastdatensätze weitergegeben. Gegenüber Russland wollte Malmström jedoch keine derartigen vorläufigen Zugeständnisse machen.

Allerdings hatte die Regierung in Moskau zunächst nachgegeben: Die weitgehenden PNR-Daten sollen erst dann verbindlich werden, wenn ein entsprechendes PNR-Abkommen mit der EU geschlossen würde. Ein Verhandlungsmandat erhielt die Kommission hierzu jedoch bislang nicht, ein Abschluss wäre also erst in mehreren Jahren zu erwarten.

Transportministerium gibt vorläufig nach

Komplett will Russland aber nicht auf den Datentausch verzichten: Stattdessen fordert das Transportministerium seit Dezember die sogenannten API-Daten für Überflüge oder Landungen auf eigenem Territorium. Die Abkürzung steht für "Advance Passenger Information", gemeint sind Name, Adresse, Geburtsdatum und Angaben zu den Reisedokumenten. Die Weitergabe vor Bus-, Schiffs- und Zugreisen soll aber weiterhin verbindlich bleiben. Aus Brüssel heißt es jedoch beschwichtigend, dass die meisten russischen Grenzen ohnehin noch nicht über die erforderliche Infrastruktur zur Verarbeitung der Daten verfügen. Also würden sie bislang nicht erhoben.

Es ist unklar, wie russische Behörden die Daten verarbeiten. Die Regierung redet von einer Speicherdauer von sieben Jahren, was die Kommission ablehnt. Dies läge allerdings weit unter der Vereinbarung mit den USA: Dort werden die PNR-Daten 15 Jahre lang gespeichert, davon 10 Jahre in einer sogenannten "schlafenden" Datenbank. Auch danach werden sie nicht gelöscht, sondern angeblich "vollständig anonymisiert".

Fraglich ist auch, inwiefern russische Datenschutzbehörden eingeschaltet würden – ihre Unabhängigkeit wird von der Kommission bezweifelt. Mehrere Mitgliedstaaten wollten Russland in den Verhandlungen unter Druck setzen, indem etwa rassistische oder homophobe Praxen zur Sprache gebracht werden sollten. Russland war dazu angeblich sogar gesprächsbereit – bislang.

Die Beschränkung auf lediglich abgespeckte API-Daten wurde aber vor allem erkauft mit Zusagen in Verhandlungen um Visa-Erleichterungen zwischen der EU und Russland: Beide Seiten streben an, in einigen Jahren die komplette Visafreiheit umzusetzen. Es heißt, dass insbesondere Deutschland für Durchbrüche bei den Gesprächen gesorgt habe.

EU-Einreiseverbote könnten Russland zur Rücknahme von Zusagen zwingen

Im Dezember hatte die Kommission ihren ersten Fortschrittsbericht zu gemeinsamen Maßnahmen angenommen. Damals wurden Russland Fortschritte attestiert, jedoch "noch weitere Arbeiten" als erforderlich angemahnt. Defizite sehen EU-Verhändler etwa bei der "Terrorismusbekämpfung" oder der Bekämpfung der unerwünschten Einwanderung. Perspektivisch möchte die EU mit Russland ein Abschiebeabkommen schließen. Auch mangelhafte Datenschutzbestimmungen wurden gerügt – allerdings nur, weil dies einem Zusammenarbeitsabkommen mit der EU-Polizeiagentur Europol im Wege stünde.

Im Zuge der Krise in der Ukraine und dem russischen Einmarsch versucht die EU, die Regierung in Moskau mit Sanktionen unter Druck zu setzen. Die Rede ist von Einreiseverboten gegen russische Regierungsvertreter und Unternehmen oder dem Stopp der Verhandlungen über die Visa-Erleichterungen. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass auch Russland seine Zusagen im Bereich der Visa-Verhandlungen annulliert und fortan auf die Übermittlung von PNR-Daten besteht. Weigern sich die europäischen Fluggesellschaften, droht der Entzug von Überflugrechten. Die nächste Krise zwischen Russland und der EU wäre programmiert.