Scholl-Latour: "Wir leben in einer Zeit der Massenverblödung"

Zu seinem 90. Geburtstag wirft der Journalist und Islamexperte, der Gott und die Welt kennt, einen Blick auf sein Leben und auch auf die Krise in der Ukraine

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Herr Scholl-Latour, Sie feiern heute [9. März 2014] Ihren 90. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch.

Peter Scholl-Latour: Vielen Dank.

Wie fühlen Sie sich?

Peter Scholl-Latour: Ein guter Freund sagte mir einmal, wenn man über 50 ist und ohne kleine Schmerzen aufwacht, dann ist man schon tot. In diesem Sinne geht es mir gut.

Ihr ganzes Leben war eine Suche nach dem, was die Franzosen "Les émotions fortes" nennen, die Suche nach den starken Gefühlen, beziehungsweise nach den starken Erlebnissen. So haben Sie es einmal ausgedrückt. Daran dürfte es Ihnen nie gemangelt haben. Sie haben alle Länder der Welt bereist, sind unzähligen Personen der Zeitgeschichte und historischen Persönlichkeiten begegnet, wurden Zeuge von historischen Umwälzungen.

Peter Scholl-Latour: Was mich jetzt, am Ende meiner Lebenszeit, mit einer gewissen Ergriffenheit erfüllt, auch mit einer gewissen Genugtuung, ist die Tatsache, dass ich in der Tat sehr viele dieser starken Erlebnisse hatte, obwohl ich schon im Alter von 20 Jahren fast vor dem Aus stand.. Bei diesen starken Erlebnissen handelt es sich nicht nur um gefährliche Situationen, beispielsweise in einem Kriegs- oder Krisengebiet, von denen ich sehr viel erlebt habe, dabei kann es sich auch um den Ausblick auf eine wunderschöne Landschaft handeln oder ähnliches.

Sie sind immer auf Reisen, pendeln gemeinsam mit Ihrer Frau zwischen Ihren Wohnsitzen in Paris, Berlin, Südfrankreich und am Rhein hin und her. Aktuell schreiben Sie an einem neuen Buch und an Ihrer Biographie. Zur Ruhe kommen werden Sie nicht mehr, oder?

Peter Scholl-Latour: Nein, solange ich noch in der körperlichen und geistigen Verfassung dafür bin, werde ich weiter aktiv bleiben. Wenn der Tod kommt, dann kommt er. Es ist schon erstaunlich, dass er erst so spät kommt.

Sie haben den Tod nie gefürchtet?

Peter Scholl-Latour: Nein. Sterben kann fürchterlich sein, aber der Tod ist so natürlich wie das Leben.

Sie sind dem Tod im Laufe Ihres langen Berufslebens häufig begegnet.

Peter Scholl-Latour: Ja, ich habe schon vor vielen Leichenbergen gestanden, nicht nur in Vietnam. Wobei mich der Anblick einer Leiche weniger berührt als der Anblick eines schwer Verwundeten.

Peter Scholl-Latour. Bild: Bernd Andres/CC-BY-SA-3.0

Der von Ihnen geschätzte Charles De Gaulle sagte einmal: "Das Alter ist ein Schiffbruch." Sehen Sie das auch so?

Peter Scholl-Latour: Ich bin mir gar nicht sicher, ob De Gaulle damit sich selbst meinte. Möglicherweise bezog er diese Aussage auf Marschall Pétain, der nach dem 2. Weltkrieg ja als Verbündeter der Nazis seine Haft antreten musste. Ich selbst sehe das Alter bisher nicht als Schiffbruch.

Würden Sie sich heute noch als Gaullist definieren?

Peter Scholl-Latour: André Malraux sagte einmal "Gaullismus ohne De Gaulle ist idiotisch", was ja richtig ist. Allerdings, gemessen an dem heutigen Führungspersonal, Hollande wie auch Sarkozy, kann man schon eine gewisse Nostalgie entwickeln, nicht wahr?

Gilt das auch für die politische Klasse in Deutschland?

Peter Scholl-Latour: Sicherlich, wobei Deutschland mit Angela Merkel ja noch großes Glück hat. Die fatale Auszehrung des politischen Personals in Europa hält aber trotzdem an.

Sie haben einmal geschrieben, Sie haben im Laufe Ihres Lebens eine Welt des Rückzugs erlebt. Was meinen Sie damit?

Peter Scholl-Latour: Damit meine ich, den Rückzug des weltpolitischen Einflusses Europa, der ja bis heute anhält. Als ich als junger Mann meine Tätigkeit als Journalist begann, wehte noch die französische oder britische Fahne über einem Großteil des Erdballs. Damit ist es vorbei, wobei der Rückzug ja noch anhält, unter veränderten Rahmenbedingungen.

Könnten Sie das bitte etwas ausführen?

Peter Scholl-Latour: Europa steht heute ohne jegliches religiöses Bewusstsein da, in einer Welt, die überall immer religiöser wird, was eine Schwäche ist, angesichts dieses Aufbruchs der Mythen.

Sie erblickten am 9. März 1924 das Licht der Welt in Bochum, wuchsen als Kind in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Wie war das Verhältnis Ihrer Eltern zur Weimarer Republik?

Peter Scholl-Latour: Meine Eltern standen der Republik von Weimar kritisch gegenüber, wie nicht wenige ihrer Zeitgenossen. Erst als die Republik mit dem Aufstieg der NSDAP Ihrem Ende entgegen taumelte, wurden sie angesichts der damit verbundenen Gefahren zu Verteidigern der Republik.

Sie sprachen gerade von den Gefahren bezüglich des NS-Regimes. Haben Sie als Kind die Sorgen Ihrer Eltern wahrgenommen?

Peter Scholl-Latour: Sicherlich. Zwar wuchsen meine Schwester und ich unter privilegierten, ja großbürgerlichen Verhältnissen auf, mein Vater war Arzt, doch machten sich meine Eltern, besonders meine Mutter, über den Charakter dieses kommenden Regimes keine Illusionen. Sie vermittelten dies auch ihren Kindern.

Deshalb wurden Sie auch von Ihren Eltern nach dem Machtantritt der Nazis auf ein katholisches Internat in der Schweiz geschickt.

Peter Scholl-Latour: Ja, das war 1935. Nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen galt ich ja als Mischling ersten Grades. Meine Eltern wollten mir somit eine Indoktrination durch das NS-Bildungssystem als auch die damit verbundenen Diskriminierung ersparen.

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