Die Bitcoins-Telenovela

Alle Ingredienzen eines Dramas - Betrug, Ehrgeiz, Gefängnis und nun auch Totschlag - sind vorhanden

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Man muss es zugeben: bei Bitcoins handelt es sich um eine merkwürdige Art von Währung. Sie ist allem Anschein nach unverwüstlich. Je mehr Verluste gemeldet werden, desto größer wird ihr Bekanntheitsgrad und desto mehr Zeitgenossen lassen sich vom Sirenengesang des schnellen Reichtums einlullen. Es ist die erste Telenovela des digitalen Zeitalters mit weltweiter Ausstrahlung.

Normalerweise sind Bankkunden verständlicherweise vorsichtig und agieren nervös, wenn es um ihre Ersparnisse geht. Ein, zwei schlechte Nachrichten über eine Bank können sehr schnell zu einem Ansturm auf die Schalter führen, vor allem wenn die Bankeinlagen nicht von einer Zentralbank versichert sind.

Bei den Bitcoins überstürzen sich die Ereignisse und Betrügereien - jedoch bleiben die Kunden unerschrocken. Es kommen sogar noch neue Käufer dazu, die in der Zeitung etwas über Bitcoins gelesen haben.

Die Demographie der Benutzer ist über Umfragen ermittelt worden: 96% der Bitcoin-User sind Männer, im Durchschnitt 32 Jahre alt, davon sind 37% "Anarcho-Kapitalisten". Sie sind technisch affin, jedoch nicht unbedingt technisch versiert. Nur so eine risikofreudige Gruppe konnte, ohne zu blinzeln, die Begebenheiten der letzten Wochen und Monate über sich ergehen lassen:

  • Mt. Gox, die ehemals größte Wechselstube für Bitcoins hat im Februar Konkurs angemeldet. Der Verlust für die Kunden bewegt sich, je nach Wechselkurs, um die 400-500 Millionen Dollar.
  • Autumn Radtke, die 28-jährige Chefin von First Meta, auch eine Bitcoin-Klitsche, ist am 28. Februar tot in ihrer Wohnung in Singapur aufgefunden worden. Die Polizei redet von einem "nicht natürlichen" Tod.
  • Ein paar Tage vorher ist Flexcoin, auch eine Bitcoinwechselstube, nach einem "Hackerangriff" zahlungsunfähig geworden.
  • Der sagenumwobene Satoshi Nakamoto ist ... Satoshi Nakamoto aus Kalifornien, wie die Zeitschrift Newsweek meldet. Aber dieser Satoshi scheint so ahnungslos zu sein, dass er entweder ein hervorragender Schauspieler ist, oder wirklich nichts mit Bitcoin zu tun hat.
  • Charlie Shrem, der Chef von Bitinstant, auch eine Wechselstube, und Fondmanager von Bitcoins, ist im Januar wegen Geldwäsche für Kunden von Silk Road (dem ehemaligen Drogenmarktplatz) verhaftet worden.
  • Eine Firma, die spezielle Hardware für Bitcoin-Mining produziert, nimmt das Geld der Kunden, liefert aber keine Maschinen.
  • Fast 100.000 Bitcoins wurden Ende 2013 aus dem Online-Schwarzmarkt "Sheep Marketplace" gestohlen. Die Webseite musste schließen.
  • Die Wechselstube Poloniex ("a fast, secure exchange where you can trade Bitcoins") verlor Anfang März 12,3% der Guthaben der Kunden beim einem "Hackerangriff".

Vor allem das "Outing" von Satoshi Nakamoto geriet sehr schnell zur Farce. In den Bitcoin-Foren wurde bedauert, dass die Identität von Satoshi gegen seinen Willen preisgegeben worden wäre. So sollte man "unseren Befreier" nicht behandeln, war dort zu lesen. Andere waren pragmatischer, wie Michael Goldstein, Gründer des "Satoshi Nakamoto Institute" (einer virtuelle Einrichtung, die Nakamatos Schriften aufbewahrt). Er meinte, es wäre besser gewesen, wenn die Identität von Nakamoto unbekannt geblieben wäre, damit der Gründungsmythos von Bitcoins etwas "weniger mythologisch" sei. Ich denke, das Gegenteil ist gerade der Fall: Je länger der Befreier unbekannt bleibt, desto größer seine Legende.

Bitcoin Scams

Emin Gün Sirer, Professor an der Universität Cornell, hat es am deutlichsten ausgesprochen:

Was die Bitcoin-Wechselstuben heute für die 20-30-jährigen semitechnisch Gebildeten mit libertären Ansichten sind, das waren die Nigeria-Schwindeleien für ihre Großväter.

Und in der Tat. Das Hauptproblem mit Bitcoins ist nicht das Bitcoin-Protokoll an sich (obwohl dieses auch nicht völlig untadelig ist), sondern die Mittelsmänner, d.h. die Wechselstuben, die digitalen Banken und jetzt sogar die Anbieter von Bitcoin-Derivaten. Die Ersparnisse der Kunden können nur so sicher sein wie das angreifbarste Glied in der Kette, d.h. wie die Software der Vermittler. Da jegliche externe Aufsicht fehlt, da keine Kassenbestandsprüfungen durchgeführt werden, wundert es nicht, dass das Geld auf einmal weg ist.

Viele der gemeldeten "Hackerangriffe" riechen stark nach einem Insiderjob. Bereits im Jahr 2013 wurde in einer Studie mit dem vielsagenden Titel "Vorsicht vor dem Mittelmann"1 gemeldet, dass bereits 18 von 40 Bitcoin-Wechselstuben ihre digitalen Türen ohne Vorwarnung geschlossen hätten. Sage und schreibe 45% der Bitcoin-Wechselstuben sind nach dieser Statistik bankrottgefährdet. Bei anderen digitalen Währungen sieht es nicht anders aus: Erst im Dezember wurde der Raub von 21 Millionen "Dogecoins" gemeldet, eine (viel billigere) Alternative zu den Bitcoins.

Mt. Gox ist ein perfektes Beispiel für die Art von Machenschaften, die durch Anonymität und mangelnde Kontrolle möglich sind. Was würde man von einer Bank halten, die 99,8% der Einlagen der Kunden verliert und danach behauptet, dies wäre über viele Monate geschehen - wegen eines Softwarefehlers, der unerkannt blieb? Der CEO von Mt. Gox will nämlich seinen Kunden weismachen, dass Hacker über Monate Doppelzahlungen erschwindelt hätten. Sie hätten systematisch Überweisungen als nicht erfolgreich gemeldet und Mt. Gox hätte dann pflichtbewusst jedes Mal eine zweite Überweisung gemacht. Mt. Gox hätte damit also zwischen 750.000 bis 850.000 Bitcoins verloren (mehr als 800 Millionen Dollar beim Kurshöchststand). Bemerkt hätte man nicht, nur noch 2000 Bitcoins im ihrem System vorhanden gewesen seien!

Der "Lebenslauf" von Mt. Gox liest sich eigentlich wie eine Horrorgeschichte für Anleger. Trotzdem blieb die Firma fast bis zuletzt die dominante Kraft im Bitcoin-Business. Gegründet um Spielkarten über das Internet auszutauschen, stieg sie 2010 ins Bitcoin-Wechselgeschäft ein. Nach nur einem Jahr hatte ein Hackerangriff auf Mt. Gox den Preis der Bitcoins auf ein Hundertstel des damaligen Höchststandes gedrückt.

Anfang 2013 beherrschte Mt. Gox immerhin 76% der Bitcoin-Wechseltranskationen im Internet. Zur selben Zeit überprüfte die amerikanische Homeland Security jedoch die Geschäfte zwischen Dwolla, ebenfalls ein windiges Unternehmen, und Mt. Gox. Im Juni 2013 unterbrach Mt. Gox die Dollarzahlungen an Kunden für zwei Wochen wegen eines "Software-Updates". Ab August wurde es immer schwieriger, echtes Geld aus Mt. Gox zu bekommen. Die amerikanische Regierung hatte zwischenzeitlich auch andere Konten der Firma eingefroren und es liefen mehrere Prozesse von Mt. Gox gegen Konkurrenten und umgekehrt.

Ab November 2013 wurde es seltsam: Die Bitcoin-Preise in Mt. Gox wurden äußerst schwankend und es gab erste Anzeichen von Kurs-Manipulationen. Mt. Gox lockte immer neue Kunden an, die Geld für Bitcoins einzahlten, jedoch kein Geld aus der Firma entnehmen konnten. Bis zum bitteren Ende fiel der Kurs der Bitcoins bei Mt. Gox bis auf 100 Dollar, während der Preis in anderen Wechselstuben bei 400 Dollar oder mehr lag. Da Mt. Gox die Verwaltung der Bitcoins der Kunden übernahm, sahen die Benutzer nur einen Kontostand, der sich am Ende als rein fiktiv entpuppte.

Obwohl Mt. Gox vielleicht am Anfang nur eine bescheidene Wechselstube war, ähnelt ihre Entwicklung der eines Ponzi-Schemas. Bei Finanzpyramiden werden die ersten Kunden mit überdurchschnittlichen Gewinnen angelockt. Die Kunden bleiben an der Stange, wenn der Gewinn von Jahr zu Jahr steigt. Die meisten haben keinen Grund, das Geld woanders anzulegen. Mt. Gox hat anscheinend mit Kauf-Verkauf-Robotern gezielt den Wechselkurs manipuliert, wie heute gemutmaßt wird. Das kostet in vielen Fällen Geld, aber wenn man mit dem Geld der Kunden spielt, kann man es lange verkraften. Irgendwann wollen aber die Kunden ihr Geld haben. Dann ist die Zeit gekommen, Konkurs anzumelden und die bösen Hacker von nebenan als die Schuldigen auszumachen.

Als die 51 Milliarden Dollar schwere Finanzpyramide von Bernard Madoff 2008 im Zuge der Wirtschaftskrise implodierte, war bemerkenswert, wie wenige Angestellte bei seiner Firma tätig waren. Die Kommunikationswege waren notwendigerweise kurz und sehr kontrolliert. Je weniger Insider, desto besser. Bei Mt. Gox gab es kurioserweise einen einzigen fest Angestellten und ansonsten nur "contractors". Der einzige mit dem Schlüssel zu den verschiedenen On-line- und Off-line-Wallets war anscheinend CEO Mark Karpeles. Mt. Gox war deswegen ein mutmaßlich nicht vollautomatisches System. Karpeles konnte manuell eingreifen wie der Magier von Oz, um die Maschinerie und den Markt in die gewünschte Stellung zu bringen.