Starke Zunahme von Nullstundenverträgen in Großbritannien

Auch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes: Mindestens eine halbe Millionen Menschen arbeitet bereits nur auf Abruf

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In Großbritannien boomt der Nullstundenvertrag. Angepriesen als eine neue Form der Flexibilisierung ist dies der vorerst letzte Schritt zur Ausbeutung der Menschen im Niedriglohnsektor. Vereinbart wird bei Nullstundenverträgen der Stundenlohn, der Arbeitnehmer steht auf Abruf bereit, erhält aber keine Garantie, dass er überhaupt arbeiten darf und etwas verdient. Der Arbeitgeber sichert sich ab, flexibel ist nur der virtuelle Arbeitnehmer, der auf Arbeit und Entgelt hoffen muss und während der vereinbarten Zeiten, womöglich den ganzen Tag, zur Verfügung steht. Auch wenn die Abrufarbeitnehmer kein geregeltes oder gar kein Einkommen haben, so fallen sie für die Regierung praktischerweise doch aus der Arbeitslosenstatistik heraus, schließlich besitzen sie ja einen Arbeitsvertrag.

Schon letztes Jahr wurde bekannt, dass Nullstundenverträge in Großbritannien zunehmen und manche Unternehmen wie McDonald's schon 90 Prozent ihrer Mitarbeiter mit solchen Verträgen auf Abruf beschäftigen. Wenn es überhaupt Beschäftigung auf Stundenbasis gibt, dann wird in aller Regel der Mindestlohn bezahlt, Anspruch auf Urlaubs- oder Krankengeld gibt es normalerweise nicht. Solche Beschäftigungsverhältnisse bieten auch Burger King, Amazon oder Sports Direct an, aber auch der Buckingham Palace oder der National Trust. In der Gastronomie, der Hotellerie, der Pflege, dem Einzelhandel oder überhaupt im Dienstleistungsbereich. Auch in Deutschland sollen solche Arbeitsverträge auf dem Vormarsch sein.

Nach einer Umfrage der britischen Gewerkschaft Unite im letzten Jahr könnten 5,5 Millionen Menschen in Großbritannien Arbeitsverträge über eine Wochenarbeitszeit von drei Stunden und weniger haben. 22 Prozent der Arbeitsnehmer von privaten Arbeitgebern stehen in einem Beschäftigungsverhältnis, das ihnen wenig oder gar keine Arbeit und Einkommen garantiert. Am meisten betroffen sind Menschen unter 30 Jahren. Nach der britischen Statistikbehörde waren im letzten Jahr 250.000 mit Nullstundenverträgen "beschäftigt". Die Zahl wurde aber als viel zu niedrig eingeschätzt und nach Umfragen eher auf eine Million geschätzt. Die Statistikbehörde hat ihre Zahlen für 2013 noch einmal überprüft und kommt jetzt auf 582.935 Menschen mit Nullzeitverträgen, also doppelt so viel, als sie letztes Jahr berechnet hatte, und dreimal so viele wie noch 2010. Chuka Umunna, in der Labour-Schattenregierung zuständig für Arbeit, kritisiert, so berichtet der Guardian, dass die Arbeitgeber ein "einst marginales Nischenelement des Arbeitsmarktes" zur Norm haben werden lassen, für den Arbeitsmarkt entstehe so eine "zunehmender Unischerheitstrend". Umunna geißelt natürlich die Regierung und verspricht, dass Labour Nullstundenverträge verbieten will.

Die Gewerkschaft Unite, die eine Kampagne gegen Nullstundenarbeitsverträge führt, verweist darauf, dass die wirklichen Zahlen höher liegen dürften. Die Verträge werden von der Einzelhandels-Gesellschaft als unfair bezeichnet. Sie würden Unsicherheit schaffen und viele Menschen ausbeuten.

Für den Handelsminister Vince Cable schaffen Nullstundenverträge "für einige Flexibilität, aber es ist auch klar, dass es hier Missbrauch gegeben hat". So ist es für ihn missbräuchlich, wenn Arbeitgeber verlangen, dass die mit Nullstundenverträgen Beschäftigten keiner anderen Arbeit nachgehen dürfen. Er will aber diese Art der Flexibilisierung beibehalten und hat Ende des letzten Jahres zum Thema eine Befragung gestartet. Die Regierung, so Cable, wolle die Chancen von Nullstundenverträgen maximieren und den Missbrauch minimieren.