Weiter ungeklärt ist die Verwicklung der Sicherheitsbehörden bei den Anschlägen in Madrid

Bei den Anschlägen vor zehn Jahren verloren 191 Menschen das Leben, doch eine Verschwörungstheorie spaltete bisher das Land und die Opfer

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"Wir hätten weniger gelitten, wenn die ETA am 11. März die Anschläge verübt hätte", sagt Pilar Manjón zum zehnten Jahrestag der bisher schwersten Anschläge, die Spanien je erlebt hat. Für die Präsidentin der größten Opferorganisation 11-M ist klar, dass der Umgang der damals regierenden konservativen Volkspartei (PP) mit den Attentaten nicht nur das Land gespalten hat, sondern auch die Opfer. Gegen alle Indizien, die sofort in eine andere Richtung deuteten, versuchte die Regierung unter José María Aznar sie der baskischen Untergrundorganisation ETA unterzuschieben ("Das ETA-Dementi passt Madrid nicht in den Kram"). Doch das misslang angesichts von deren Dementi, zahlreichen Beweisen und einem Bekennervideo schnell ("Ihr wollt das Leben, wir den Tod").

Doch all das änderte nichts daran, dass Manjón und andere bis heute beschimpft und als "rote Sau" angefeindet werden und sich einige darüber freuen, "dass ihr Sohn schön tot ist". Und das alles hat dazu geführt, dass es zehn Jahre dauerte, bis Opferorganisationen am Dienstag erstmals einen Teil dieses Jahrestags gemeinsam der Opfer gedenken konnten. Sie verloren ihr Leben, weil fanatische Islamisten im morgendlichen Berufsverkehr zehn Bomben in vier Pendlerzügen bei der Einfahrt in Bahnhöfe der Hauptstadt zündeten (Blutiger Wahlkampf in Spanien). 191 Menschen verloren das Leben und fast 2000 wurden verletzt. Und erst jetzt nahmen Vertreter aller Opferorganisationen erstmals an einer Gedenkfeier in der Almudena-Kathedrale in der Hauptstadt teil, der auch der spanische König Juan Carlos und Ministerpräsident Mariano Rajoy beiwohnten.

Obwohl Manjón kritisiert hatte, dass die Gedenkzeremonie in einer Kirche stattfand, ließ sie sich die Chance nicht entgehen und appellierte an die "Einigkeit unter den Opfern". Allerdings hätte sie eine laizistische Zeremonie bevorzugt, den Opfer wurden Menschen vieler Glaubensrichtungen. (http://elpais.com/politica/2014/03/07/actualidad/1394199954_269062.html) Und erstmals traf Manjón nun mit Ángeles Pedraza zusammen, die der Opferorganisation AVT vorsteht und lange den Kurs der PP mitgetragen hat. Erst in der letzten Zeit kam es über den Umgang mit dem Ende der ETA zu Spannungen. Denn in der AVT sind vor allem Angehörige von ETA-Opfer zusammengeschlossen. Auch Pedraza, die allerdings ihre Tochter an jenem 11. März verlor, bezog sich auf den jahrelangen Streit. "Es läuft etwas schief, wenn wir als Opfer keine moralische Referenz sind", sagte sie. Die Spaltung wurde über den Versuch erzeugt, der ETA die Anschläge zuzuschreiben ("Das ETA-Dementi passt Madrid nicht in den Kram"). Die Regierung Aznar wollte von einem Zusammenhang vom Irak-Feldzug ablenken, in den er das Land gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung an der Seite der USA und Großbritannien geführt hatte. Deshalb fürchteten die Konservativen, dass sie die Wahlen gegen alle Prognosen verlieren würden, wenn dieser Zusammenhang hergestellt würde. Und weil ihre Lügen schnell entlarvt wurden, verlor die PP gegen alle Vorhersagen drei Tage nach den Anschlägen nicht nur die absolute Mehrheit, sondern gab auch die Regierung an die Sozialisten (PSOE) ab.

Statt die Fehler einzugestehen, halten PP-Führer zum Teil bis heute an Theorie fest, wonach die PSOE und die ETA in irgendeiner Form in die Anschläge verwickelt wären, um die Konservativen aus der Regierung zu treiben. Deshalb wurde eifrig an entsprechenden Verschwörungstheorien auch über den Prozess hinaus 2007 weitergestrickt, um damit die PSOE-Regierung zu schwächen. Dabei wurde in dem Verfahren zweifelsfrei geklärt, dass islamistische Täter hinter den Anschlägen steckten. Der Vorsitzende Richter Gómez Bermúdez erklärte vor dem Jahrestag im Interview mit Radio Euskadi: "Es ist absolut klar, dass die ETA nichts damit zu tun hatte." Auch Telesforo Rubio, Polizeichef von 2004 bis 2006 in Madrid, machte klar, dass im Anschluss an die Vorgänge 120 mutmaßliche ETA-Mitglieder verhaftet wurden und sich nicht eine "Spur einer Verbindung" zu den Anschlägen in Madrid aufzeigen ließ.

Und so dauerte es zehn Jahre, bis hohe PP-Vertreter und die Tageszeitung El Mundo, welche die Theorie besonders stark vertrat, einlenkten. Dass die PP die Macht vor zwei Jahren zurückeroberte, erleichtert den Schwenk. Am Montag erklärte Innenminister Jorge Fernández Díaz erstmals klar, dass die ETA "die Anschläge nicht verübt hat". Es sei "klar", dass Dschihadisten die Täter waren. Ähnlich äußerte sich nun auch Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón: "Die Justiz hat längst festgestellt, wer die Täter waren", sagte er auch in Richtung der PP-Generalsekretärin María Dolores de Cospedal, die weiter an eine Konspiration glaubt.

"Dunkle Bereiche" bei den Sicherheitsbehörden

Ganz davon verabschiedet hat sich auch El Mundo nicht. Nachdem kürzlich der langjährige Direktor Pedro J. Ramírez die Zeitung verlassen musste, hat sich aber dort die Linie etwas geändert. Sie sprach im Editorial am Dienstag nun von "Fehlern" der Aznar-Regierung im Umgang mit den Anschlägen, die der "Ausgangspunkt der Polarisation" seien. "Keine Partei" sei in die Vorgänge verwickelt gewesen, räumt sie nun unterschwellig auch eigene Fehler ein, weil sie immer wieder von angeblichen Verwicklungen der Sozialisten fabuliert hatte.

Die Zeitung glaubte lieber José Emilio Suárez Trashorras, der den Attentätern den Sprengstoff lieferte und dafür zu einer Haftstrafe von fast 35.000 Jahren verurteilt wurde (Acht Freisprüche im Prozess zu Madrider Anschlägen). Der hatte in einem abgehörten Gespräch sogar erklärt, warum er bereit sei, die Zeitung mit gewünschten Märchen zu beliefern. "So lange El Mundo bezahlt, erzähle ich ihnen auch was vom spanischen Bürgerkrieg."

Für die Opfer ist schmerzlich, dass nun einige von denen, die für diese Anschläge verantwortlich waren, längst wieder auf freiem Fuß sind. Und in nur einer Woche wird mit Rafá Zouhier einer der Spitzel entlassen, der beim Verkauf des Sprengstoffs geholfen hat (Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung). Deshalb liegt El Mundo sogar richtig damit, wenn die Zeitung von "dunklen Bereichen" spricht, die längst nicht aufgeklärt sind. Allerdings meint die Zeitung damit wohl nicht die Verwicklung der Sicherheitskräfte in die Anschläge. Denn die wurden schließlich allesamt von der konservativen Regierung kontrolliert und wurden seit zehn Jahren von Verantwortlichkeiten reingewaschen.

Nicht nur Zouhier war Spitzel der Sicherheitskräfte, sondern auch der Sprengstofflieferant Trashorras und dessen Schwager Antonio Toro. Der stand auch auf der Lohnliste der Polizei, war aber schon in einem vorhergehenden Verfahren wegen Drogen- und Sprengstoffhandel verurteilt worden und konnte dafür nicht erneut verknackt werden. Dazu kommt, dass ein Polizist sogar beim Bombenbau geholfen haben soll, und es soll Richterfehler geben, die dazu führten, dass der Drahtzieher der Anschläge vorzeitig aus der Haft entlassen wurde (Bringt die Justiz Klarheit über Madrider Anschläge?). Verantwortlichkeiten in dieser Richtung wurden bis heute nicht geklärt.