Arm stirbt früher

Bild: RKI

Die gesundheitliche Ungleichheit in Deutschland wächst

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Diabetes. Herzkreislaufkrankheiten. Psychische Störungen. Magenkrebs. Immer sind sozial benachteiligte Menschen unverhältnismäßig betroffen. Neue Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) deuten nun darauf hin, dass sich die Schere bei den "Gesundheitschancen und Krankheitsrisiken" zwischen oben und unten, arm und reich weiter öffnet.

In einer Auswertung der "Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland" (DEGS1) ermittelten die Wissenschaftler des RKI unter anderem, dass Frauen mit niedrigem Sozialstatus doppelt so häufig an Diabetes mellitus erkranken wie der Durchschnitt, Männer in dieser sozialen Gruppe sogar dreimal so häufig. Ihren Gesundheitszustand schätzen sozial benachteiligte Frauen selbst fünfmal häufiger als "mittelmäßig" oder "schlecht" ein. Männer tun das viermal häufiger.

Die größeren Belastungen durch Krankheit drücken sich folgerichtig in einem kürzeren Leben aus. Das RKI errechnet aus Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP), dass die mittlere Lebenserwartung bei Geburt in der niedrigen Einkommensgruppe bei Männern um 10,8 Jahre und Frauen um 8,4 Jahre verringert ist. Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt ist in gewisser Weise ein künstliches Konstrukt, denn es unterstellt, dass Lebensstandard und medizinische Versorgung im weiteren Lebensverlauf gleich blieben, was natürlich nicht der Fall ist. Außerdem wird der Durchschnittswert beispielsweise durch die höhere Säuglingssterblichkeit in ärmeren Familien verzerrt.

Aber auch bei der sogenannten ferneren Lebenserwartung zeigt sich unübersehbar der Einfluss der sozialen Lage: Ab einem Alter von 65 Jahren liegt der Unterschied zwischen Menschen mit niedrigem Einkommen und Menschen mit einem hohen Einkommen bei 5,3 Jahren (Männer) beziehungsweise 3,8 Jahren (Frauen).

Der soziale Status des Elternhauses entscheidet über die Lebensdauer

Kurz, Arm ist kränker und stirbt früher. Gleichgültig, wie der Unterschied zwischen oben und unten bestimmt und gemessen wird - ob schlicht anhand des Haushaltseinkommen oder als sozioökonomischer Status, bei dem Beruf, Einkommen und Bildung zusammengefasst werden -, immer macht die soziale Lage den entscheidenden Unterschied. Der kränkelnde Unternehmenschef und der Hilfsarbeiter mit der unverwüstlichen Gesundheit, das sind lediglich Ausnahmen, die diese Regel bestätigen.

Schon merkwürdig: im Fall der Bildung gilt es als Skandal (oder wenigstens als Manko), dass der Schulerfolg deutscher Jugendlicher von ihrer sozialen Herkunft abhängt. Wenn die jüngsten Ergebnisse der PISA-Studie veröffentlicht werden, fordern Bildungspolitiker regelmäßig, "Deutschland müsse mehr tun", um die beiden Faktoren zu entkoppeln. Aber der soziale Status des Elternhauses bedingt nicht nur den Bildungserfolg. Er bedingt die Lebensdauer, was aber kaum jemanden zu kümmern scheint. Die Kinder aus Familien mit niedrigem Sozialstatus haben insgesamt einen schlechteren Gesundheitszustand, haben häufiger psychische Probleme und Verhaltensauffälligkeiten, machen seltener Sport und haben öfter Übergewicht, wie die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland gezeigt hat.

Das RKI stellte diese Ergebnisse am Mittwoch bei der Eröffnung des Kongresses "Armut und Gesundheit" in Berlin vor. Bei den Aussagen zur zeitlichen Entwicklung der gesundheitlichen Ungleichheit blieben die Wissenschaftler allerdings vorsichtig. Zwar deute vieles darauf hin, dass diese gewachsen sei, so die Forscher, definite Aussagen ließe die Datenlage aber nicht zu. Das liegt laut Thomas Lampert, Epidemiologe vom RKI, daran, dass die Informationen der Sozialversicherungsträger lückenhaft und nicht repräsentativ seien. Dennoch heißt es in "Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung":

Die wenigen vorliegenden Studien deuten an, dass sich die beobachteten Unterschiede zwischen den Einkommens-, Bildungs- bzw. Berufsstatus gruppen im Zeitverlauf ausgedehnt haben könnten.