Kampf um die Ukraine – Lukaschenko hält sich raus

Aleksander Lukaschenko ist derzeit die bessere Angela Merkel als das Original – während die deutsche Bundeskanzlerin die russische Annexion auf der Krim verurteilt, ist der weißrussische Staatspräsident am "Moderieren"

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"Europas letzter Diktator", wie sich Lukaschenko mit einem selbstbewussten Lächeln gern selbst nennt, versucht derzeit, vor allem zu beruhigen. Er beruhigt sein Volk mit der Versicherung, es werde keine Maidan-Revolte in Minsk geben, er lässt seinen Außenminister die russischen Medien mit der selben Aussage umschmeicheln. Andererseits sendet Lukaschenko positive Signale an den südlichen Nachbarn: Er erkennt die neue ukrainischen Regierung offiziell an wie auch ihre "territorale Integrität". Dies wolle er bei Gelegenheit auch mal Putin vermitteln, soll Lukaschenko dem ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kutschmar geflüstert haben.

Wahrscheinlich muss sich Lukaschenko im stillen Kämmerlein auch mal selbst beruhigen, denn zwischen der Ukraine und Weißrussland gibt es durchaus Parallelen. Das Land ist ebenfalls geteilt in einen Westen mit eher abendländischer Vergangenheit und einen Osten mit russischer Prägung, wenn auch nicht so deutlich. Es gibt eine Abhängigkeit von der russischen Energieversorgung, zudem ist gibt es kein Wirtschaftswachstum und drücken die Schulden.

Das Außenhandelsvolumen schloss 2013 mit minus 5,8 Milliarden Dollar ab – 12 Mal schlechter als im Jahr zuvor. Das Land braucht darum Gelder von beiden Seiten – vom Westen wie von Russland. Moskau stellte Ende des vergangenen Jahres zwei Milliarden Dollar als Kredite in Aussicht, denn eine revolutionäre Bewegung in Minsk wäre das letzte, was Wladimir Putin derzeit gebrauchen kann.

Anfang März wurde Lukaschenko nach Moskau bestellt, um ihn für die am 1. Mai geplante Unterzeichnung eines Vorvertrages für die Gründung der Eurasischen Union einzustimmen. An dieser Handels- und Zollunion, die im nächsten Jahr entstehen will, hätte auch die Ukraine teilnehmen sollen. "Dank russischer Gelder kann Lukaschenko die Rentner besser versorgen und die unwirtschaftlichen Kolchosen stützen", so der weißrussische TV-Journalist Dzmitry Yahorau, der in Polen für den regimekritischen Satellitensender Belsat arbeitet. Yahorua beklagt die Trägheit und die Schwäche der Opposition, die aufgrund eines umsorgenden Staates derzeit bei der Bevölkerung wenig überzeugen kann.

Anscheinend soll Lukaschenko auch die Angst umtreiben, dass durch Putins Engagement auf der Krim weniger Geld für Weißrussland übrig hat. Unterstützung vom Internationalen Währungsfond erhält die ehemalige Sowjetrepublik derzeit nicht - wegen vergangener Menschrechtsverletzungen. Bei den Präsidentschaftswahlen 2010 ließ Lukaschenko die Opposition, kritische Journalisten und prowestliche Demonstranten mit Polizeigewalt und Repressionen klein halten. Seit dem EU-Gipfel in Litauen im vergangenen November laufen jedoch wieder Verhandlungen.

Auch mit der EU wird ein Annäherungskurs gefahre. Die Visa-Prozedur soll auf beiden Seiten vereinfacht werden, ein technischer Austausch wird von Minsk gewünscht. So werde die Windenergie in Weißrussland bald durch die EU gefördert. Derzeit häufen sich in Weißrusslands staatsnahen Medien die positiven Nachrichten über die Beziehungen mit der EU. Sogar politische Gefangene sollen bald freigelassen werden.

Im Verhältnis zur Ukraine werden Konflikte vermieden. So wird die neue Regierung in Kiew von der staatsnahen Zeitung "Sowjetskaja Belarussia" anders als in den russischen Medien neutral beschrieben. Mit der Regierung in Kiew hat Minsk bereits Kontakte aufgenommen und hofft, dass an die Ukraine weitergehend weißrussische Mineralöprodukte verkauft werden können, ein wichtiges Exportgut des Landes.

Strukturwandel der Wirtschaft geplant

Um weitere Gelder flüssig zu machen, will der Staat die Aktien von 88 Unternehmen verkaufen. Zudem erhofft sich Lukaschenko von seinem neuen Berater Kiryl Rudy einen Strukturwandel der heimischen Wirtschaft – weniger Industrie und Landwirtschaft (Weißrussland galt aufgrund seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse und des Maschinenbaus als Vorzeigerepublik in der Sowjetunion) - mehr Dienstleistung und Informationstechnik. Noch sein Volrgänger Siarhiej Tkatschou sah in der Volkswirtschaft unter Stalin ein "vorbildliches Modell".

Der 35-jährige promovierte Volkswirtschaftler kommt erstmals nicht aus ehemaligen Sowjet-Eliten, sondern forschte in Amerika als Fulbright-Student in Chicago über Finanzkrisen in Transformationsländern. Er engagierte er sich für Wissenschafts- und Wirtschaftskontakte zwischen Weissrussland und China. Dem Vorbild im Fernen Osten soll Weißrussland auch dadurch nahe kommen, dass nun erfolgreiche Staatsbürger im Ausland ins Land zurück geholt werden sollen, um sich in Wirtschaft und Verwaltung zu engagieren. Ob diese mit der alten Kadermentalität zurecht kommen werden, scheint fraglich.

Sollten die benötigten Gelder von auswärts fließen, sprechen noch zwei weitere Punkte für Lukaschenkos (vorläufigen) Machterhalt. Die weißrussische Sprache ist nicht so verbreitet wie das Ukrainische im südlichen Nachbarland und wird vor allem von einer gebildeten Schicht und einigen oppositionellen Zeitungen gepflegt, sie kann nicht als Unabhängigkeits-Idiom genutzt werden.

Während in der Ukraine sich alle Kirchen bis auf die Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats auf die Seite der Majdan-Demonstranten stellten, gibt gerade jene "Moskautreue" Kirche den Ton in Belarus an und überhäuft Lukaschenko mit Preisen und Ehrungen. Obwohl der ehemalige Solchose-Direktor nicht gläubig ist, teilt er die gesellschaftlich-konservativen Ansichten des Klerus und nennt sich selbst einen "orthodoxen Atheisten".Diese Pragmatik ist mitunter Grund dafür, dass Aleksander Lukaschenko seit 1994 an der Macht ist.