Jenseits der Krim

Die neue Strategie der Spannung

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Während nach der russischen Annexion der Krim hierzulande die Frage diskutiert wird, ob Putins Expansionsdrang nun gestoppt sei oder er sich weitere Regionen einverleiben wolle, gerät eine andere Perspektive weitgehend aus dem Blick: Was wollen die USA?

Denn so absurd es wäre, Russland zur mustergültigen Demokratie zu erklären, so geschichtsblind mutet es auch an, amerikanische Expansionsbestrebungen schlicht zu leugnen. Der derzeitige Versuch, Russland als einen unberechenbaren Aggressor und den Westen als überrumpeltes Opfer seiner eigenen Friedfertigkeit darzustellen, erscheint angesichts der realen Weltpolitik der vergangenen Jahre als unfreiwillige Satire.

Eine solche Beurteilung, sowie der Vorwurf des Völkerrechtsbruchs an Russland im Fall der Krim, basiert zudem auf der angenommenen Legitimität des gewaltsamen Umsturzes in der Ukraine. Doch die konkrete "Machtübertragung" dort - weg vom demokratisch gewählten Präsidenten - verletzte selbst rechtsstaatliche Grundsätze. Und der sie auslösende Einsatz von Scharfschützen auf dem Kiewer Maidan, deren Identität und Auftraggeber bislang erstaunlicherweise ungeklärt sind (auch wenn jüngsten Meldungen zufolge die Namen der Täter der ukrainischen Justiz angeblich bekannt sind und es sich um Ukrainer handeln soll), passt historisch in ein ganz anderes Muster.

Ein Rückblick

Während der Afghanistan-Krieg 2001 noch mit der Erzählung vom 9/11-Überraschungsangriff öffentlich gerechtfertigt werden konnte, standen beim kaum zwei Jahre später begonnenen Irak-Krieg schon für jedermann klar ersichtlich geostrategische Überlegungen im Vordergrund. Es ging um die Vormacht in einer rohstoffreichen Region, sowie den Zutritt nach Zentralasien, auch um China und Russland dort an weiterer Entfaltung zu hindern.

Die Aggressionen in Libyen und Syrien seit 2011, sowie die Billigung des Militärputsches in Ägypten sind in ähnlicher Weise geostrategisch begründet. In Syrien wird die Glaubwürdigkeit der USA als "Kämpfer gegen ein bösartiges Regime" zudem massiv durch ihre Unterstützung Al Qaida nahestehender terroristischer Gruppen unterminiert. In der Ukraine 2014 sind diese Hilfstruppen nun rechtsextremer bis faschistischer Natur. Es ist schlüssig, Amerika hier eine Strategie der Abtrennung Europas von Russland zu unterstellen.

Während man durch die Kriege in Afghanistan und dem Irak keine ausbaufähige Machtstellung im Nahen Osten erreichen konnte und in Syrien nur noch ein Patt gegenüber Russland erzielte, geht es in der Ukraine nun direkt gegen den alten Gegner aus dem Kalten Krieg.

Wenig überraschend befindet sich das Ansehen der solcherart kriegerischen Supermacht global auf einem Tiefpunkt. In Deutschland wird das amerikanische Vorgehen mittlerweile "nur" noch durch Leitmedien und Politiker unter dem Einfluss hierzulande tief verwurzelter transatlantischer Netzwerke gestützt. Die Medienwirklichkeit steht in wachsendem Kontrast zum Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung.

Ring of Fire

Konstatiert werden können ein weitgehender Verlust an öffentlicher Akzeptanz und eine politische Radikalisierung in einigen westlichen Regierungen, die ihre Quellen auch in der verglühenden ökonomischen Vormacht der USA finden. Den regierenden Eliten dort, so scheint es, schwebt als letzter Ausweg ein "ring of fire" vor - planvoll inszenierte Scharmützel rund um alle wichtigen Konkurrenten.

Russlands Reaktion auf der Krim ist aus dieser Sicht zunächst einmal ein Ausweis seiner Souveränität. Was in der Denkweise einer unipolaren Welt - der berühmten vermeintlichen "internationalen Gemeinschaft" - natürlich einer Provokation gleichkommt, weil es solches Denken selbst in Frage stellt. Eigene geostrategische Interessen anderer Mächte sind in dieser Perspektive einfach nicht legitim.

Dabei nur auf die Person Putin zu fokussieren, wie es in deutschen Medien mittlerweile üblich geworden ist, greift in jedem Fall zu kurz. Insbesondere außenpolitisch hat dieser die große Mehrheit der russischen Bevölkerung hinter sich.

Inwieweit Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier mit ihrer fehlenden eigenen politischen Strategie und dem weitgehend unkritischen Übernehmen amerikanischer Sprachregelungen und Sanktionsforderungen hier deutschen Interessen selbst schaden, bleibt die Frage. Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA sichert zunächst einmal den Dollar als internationale Handelswährung. Der Aufruhr in der Ukraine schneidet Deutschland von Märkten im Osten ab. Die so vermittelte Bindung an eine kranke und extrem überschuldete US-Ökonomie erscheint bei Lichte betrachtet geradezu fatalistisch.

Auf lange Sicht ist die amerikanische Fortsetzung der "bewährten" Strategie der Spannung einer inhärenten Logik nach zum Scheitern verurteilt. Prognostizierbarer "Erfolg" dürfte allein ein allgegenwärtiges Chaos sein, wie es im Irak oder in Syrien bereits anschaulich geworden ist. Diese Brandzone nun an die EU-Grenze getragen zu haben, kann machiavellistisch und taktisch gesehen zwar ein cleverer Schachzug sein - politisch aber ist es ein Offenbarungseid, der auf den Urheber zurückfallen wird. Denn es ist nicht erkennbar, wie die USA auf diesem Wege eine Autorität zurückgewinnen wollen, die nicht allein auf militärischer Gewalt beruht.