Das Urelend der entwickelten Demokratien: Die totale Staatsverschuldung

Staatsschuldenquote im internationalen Vergleich in Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP); Quelle: Bundesfinanzministerium

Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr - Teil 17

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Im Mittelpunkt dieses Teils unserer demokratiekritischen Artikelreihe stehen die schwerwiegenden Folgen des leichtfertigen Umgangs der entwickelten repräsentativen Demokratien mit dem Geld ihrer Bürger. Die Gelder, die für den Schuldendienst gebraucht werden, fehlen an anderen Stellen. Besondere Not herrscht in den Ländern, Städten und Gemeinden: Deutschlands Infrastruktur zerfällt rapide: Schulen und Kindergärten verrotten, Jugendhäuser, Schwimmbäder, öffentliche Bibliotheken, Theater, Museen, Zoos und Mütterberatungsstellen werden geschlossen - die Kommunen stehen vor dem Bankrott. Es fehlt Geld für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu konkurrenzfähigen Fahrpreisen. Schon heute reichen die vorhandenen Gelder nicht mehr aus, alle notwendigen öffentlichen Ausgaben zu leisten. Die Staatsschulden sind so unvorstellbar hoch, dass ihr Abbau in wachsendem Umfang unmöglich wird. Das Elend ist übrigens in den meisten entwickelten Demokratien ähnlich: Die Infrastruktur verkommt fast überall, in Deutschland ebenso wie in Frankreich oder in den USA.

Teil 16: Der Preis der repräsentativen Demokratie: Staatsschulden ohne Ende

Anfang der 1990er Jahre dämmerte es der Wissenschaft, dass die nackten Zahlen über den Stand der Staatsschulden längst nicht das volle Ausmaß des Elends erkennen lassen. Also begannen sie, Rechenmodelle zu entwickeln, die den ganzen Eisberg und nicht bloß seine Spitze zeigen; denn die realen Zahlen über die Verschuldung der entwickelten Demokratien verharmlosen die wahre Dramatik. Sie zeigen nicht, welche gewaltigen Lasten auf diese Staaten schon in Kürze zukommen.

Grundlage für die Modelle sind Erkenntnisse über die Bevölkerungsentwicklung: Wenn die Menschen immer älter werden, weniger Kinder als je zuvor bekommen, wenn die Zahl der Rentner von Jahr zu Jahr wächst und kaum oder nur viel zu wenige Zuwanderer kommen, dann ist damit zu rechnen, dass die Wirtschaftskraft eines Landes in naher Zukunft immer schwächer wird.

So entwickelten drei amerikanische Wirtschaftswissenschaftler - Alan J. Auerbach, Jagadeesh Gokhale und Laurence J. Kotlikoff - die Methode des "generational accounting", der Generationenbilanzierung. Parallel dazu erarbeitete der in den USA lehrende französische Volkswirtschaftler Olivier Blanchard die OECD-Methode der finanzpolitischen Nachhaltigkeit - der "fiscal sustainability". Sie unterscheidet sich nur unwesentlich von der Generationenbilanzierung.

Beide Ansätze berücksichtigen alle künftigen Ausgaben eines Staats sowie die Zinslasten für die bestehende Staatsschuld und setzen sie in Beziehung zu den künftigen Einnahmen. Sie rücken den Einfluss des demografischen Wandels auf die öffentlichen Finanzen in den Mittelpunkt, damit Maßnahmen ergriffen werden können, um die Fiskal- und Sozialsysteme dauerhaft finanzierbar zu machen.

Dazu rechnet die Generationenbilanzierung die Daten über den demografischen Wandel eines Landes und seine wirtschaftlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen in die kommenden Jahre fort. Wie wird sich die Zahl der Rentner entwickeln? Wie die Zahl der Erwerbstätigen? Welche Verpflichtungen hat der Staat auf Grund der geltenden Gesetze gegenüber Arbeitslosen, sozial Schwachen, Pflegebedürftigen, etc.?

Ausgangspunkt ist immer die aktuell bestehende Staatsschuld - die explizite Staatsschuld. Das ist gewissermaßen diejenige Staatsschuld, die für jedermann sofort zu erkennen ist.

Errechnet werden muss sodann die implizite oder verdeckte Staatsschuld. Sie gibt an, welche zusätzlichen Staatsschulden in absehbarer Zukunft auf das Land zurollen. Die verdeckte Staatsschuld zeigt also, wie Einnahmen und Ausgaben künftig auseinander driften werden.

Wenn an den Rahmenbedingungen nichts geändert wird, sieht man sofort, wie stark die Staatsverschuldung zwangsläufig wachsen wird. So erkennt man, welche staatlichen Leistungen nicht durch künftige Einnahmen gedeckt sind.

Die Summe der expliziten und impliziten Staatsschuld ergibt die Nachhaltigkeitslücke. Will ein Staat sein bestehendes Leistungsniveau beibehalten, müsste er in Höhe der Nachhaltigkeitslücke Rücklagen bilden. Oder er müsste seine Leistungen reduzieren, wenn er das nicht will.

Das Einzige, was überhaupt nicht geht, ist: So weiterwurschteln wie bisher. Die beiden Methoden - die Generationenbilanzierung und die OECD-Methode der finanzpolitischen Nachhaltigkeit - helfen so dabei zu erkennen, dass die politischen Repräsentanten aller entwickelten Demokratien genau das tun, was sie auf gar keinen Fall tun sollten: Ohne Sinn und Verstand weiterwurschteln wie schon immer.

Mit Spritzpistolen auf Polit-Safari

Die offiziellen Zahlen zeigen ja nur einen kleinen Teil aller Staatsschulden. Die Politiker laden dem Staat Jahr für Jahr neue Zahlungsverpflichtungen auf - vor allem in Form von Renten- und Pensionszusagen oder Gesundheits- und Pflegeleistungen. Auch da schrecken sie vor keinem Taschenspielertrick zurück.

So wird zum Beispiel die von der großen Koalition 2014 geplante Rentenreform die Rentenversicherung bis 2020 gut 60 Milliarden Euro kosten. Vorgesehen sind höhere Renten für Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern, eine abschlagsfreie Rente für langjährig Versicherte mit 45 Beitragsjahren, verbesserte Erwerbsminderungsrenten für nicht mehr Arbeitsfähige und ein höheres Budget für Rehabilitationsausgaben.

Dabei entstehen schon im ersten halben Jahr Mehrausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung von insgesamt 4,4 Milliarden Euro. Sie steigen 2015 auf neun Milliarden Euro. 2030 belaufen sich die Kosten auf elf Milliarden Euro. Am teuersten ist die Aufwertung der Renten für Mütter mit Kindern, die vor 1992 geboren wurden. Die Mehrausgaben dafür betragen 2015 bereits 6,7 Milliarden Euro. 9,5 Millionen Versicherte werden davon profitieren.

Doch es ist völlig klar, dass die künftigen Steuer- und Beitragseinnahmen nicht ausreichen werden, um alle staatlichen Leistungen und Leistungszusagen zu finanzieren. Selbst nachdem der Höhepunkt der Krise längst überschritten ist, bremst das die demokratisch gewählten Politiker kaum in ihrem vom Verlangen nach Wiederwahl getriebenen Drang zum Verteilen von Wählergeschenken.

Man kann die Generationenbilanzierung als eine Art dynamisches Buchhaltungssystem begreifen, das die künftigen Zahlungsströme zwischen dem Staat und seinen Bürgern erfasst.

Kriterium für die Beurteilung ist die im Vertrag von Maastricht 1992 festgelegte Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand ist nur dann gegeben, wenn das Haushaltsdefizit unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und der Schuldenstand unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt. In vielen europäischen Staaten liegt er seit vielen Jahren weiter darüber. Selbst im wirtschaftlich ach so gesunden Deutschland liegt er bei brenzligen 83 Prozent.

Tatsächlich besteht in den meisten entwickelten Demokratien eine wachsende Finanzierungslücke in den Systemen der sozialen Sicherung, die sich aus den künftigen Zahlungsverpflichtungen ergibt. In der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie bei den Beamtenpensionen wurden und werden Leistungszusagen gemacht, für die keine Einnahmen zu erwarten sind. Der demografische Wandel verschärft dieses Problem noch einmal. Die so entstehenden Belastungen machen die implizite Staatsverschuldung aus.

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Dabei kommen erstaunliche Erkenntnisse heraus: Das vielgescholtene Italien steht von allen Euro-Ländern am allerbesten da - besser noch als Deutschland -, weil seine implizite Staatsschuld bei weitem am geringsten ist. Es ist also für die Zukunft besser gerüstet als alle anderen.