Ausweisung bei falscher Anschuldigung

Arbeiter aus Manolada beim Antirassismustag in Athen. Immigranten in Manolada waren auf Geheiß ihres Arbeitgebers mit Schotkugeln statt Lohngeldern bedacht worden. Bild: W. Aswestopoulos

Eine höchst umstrittene Gesetzesinitiative beschäftigt derzeit die griechische Öffentlichkeit

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Mit Artikel 19 des neuen Einwanderungsgesetzes möchten Teile der Regierung festschreiben, dass jeder Immigrant, der einen uniformierten Beamten fälschlicherweise des Rassismus beschuldigt sofort abgeschoben wird. Artikel 19 wurde bereits Thema einer Onlinepetition.

Als fälschliche Beschuldigung wird jede Anzeige gewertet, die nicht hundertprozentig bewiesen werden kann. Der Disput innerhalb der Regierung geht so weit, dass der zur PASOK gehörende Vizeminister des Inneren, Leonidas Grigorakos, die Regelung in der vergangenen Woche zunächst zur Abstimmung einreichte, später jedoch aufgrund von Widerständen aus der eigenen Partei zurückzog. Innenminister Giannis Michelakis von der Nea Dimokratia goutierte das überhaupt nicht. Er legte den vom Kollegen gestrichenen Artikel erneut zur Abstimmung für die laufende Parlamentswoche vor.

Für Michelakis sind Zweifler an der Regelung schlicht Unterstützer der Menschenhändler, welche die Immigranten illegal nach Griechenland schleusen. Eine legale Einreise von Asylbewerbern ist jedoch praktisch unmöglich. Zwangsläufig kommen sie entweder bei der Einreise oder bei der Entdeckung mit Gesetzeshütern in Kontakt.

Bereits seit Jahren ist bekannt, dass diese Begegnungen nicht unbedingt konfliktfrei ablaufen. Die Justiz selbst tut sich mit der Aufarbeitung von Gewaltübergriffen seitens der Polizei schwer. So filmten die Beamten der Polizeistation Omonia im Zentrum von Athen bereits 2007 selbst ihre brutalen Verhörmethoden. So stolz waren sie auf ihre Tat, dass ihr Video den Weg in einschlägige Videoplattformen des Internets fand.

Die Begründung für das Vorgehen leuchtete zudem vielen Bürgern ein, wie man an den Kommentaren zum YouTube-Video sehen kann. Den Beamten fehlte schlicht jegliches Unrechtsbewusstsein. Schließlich hatten die windelweich geprügelten Übeltäter zuvor eine alte Dame bestohlen. Außerdem, so lautete eine weitere Begründung, waren es "nur" illegale Immigranten.

Auf die Aufdeckung der Tat folgte eine amtliche Untersuchung und Jahre später, respektive im Oktober 2013, wurde endlich gegen die untragbaren Vorgänge im entsprechenden Polizeirevier vorgegangen. Entdeckt wurde dabei auch, dass die Beamten unter anderem auch in Drogengeschichten verwickelt waren.

Die Säuberungswelle bei der Polizei stand seinerzeit jedoch nicht im Zusammenhang mit den auf Revieren begangenen Gewaltverbrechen. Vielmehr waren die engen Verbindungen der rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte zur Polizei auch im Ausland ruchbar geworden. Tatsächlich flogen einige Polizeibeamte auf, die entweder die Trupps der Goldenen Morgenröte im Kampfsport trainierten oder aber direkt Tipps über Polizeiaktionen an die Partei weitergaben.

Kurz, die bereits aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen offensichtliche Verbindung rassistischen Gedankenguts mit einem Teil der Polizei erlaubt zumindest die Annahme, dass es durchaus seitens der Beamten zu rassistischen Übergriffen kommen kann. Außerdem ist bei gewaltsamen oder rassistischen Übergriffen seitens der Beamten durchaus anzunehmen, dass diese sich gegenseitig decken könnten, somit seitens einer verletzten Person schwerlich ein Beweis hinsichtlich des tatsächlichen Täters erbracht werden kann.

Wie beweist man, welcher der vermummten Beamten eine Tat begangen hat?

Das wird umso schwieriger, wenn es sich bei den Beamten um MAT oder YMET Einsatzpolizisten handelt. Diese treten in der Regel nur vermummt und ohne Namensschild oder Kennnummer auf.

Beweisprobleme ähnlicher Art bekam bereits der Vorsitzende der griechischen Pressefotografen zu spüren. Marios Lolos wurde während einer Demonstration auf dem Syntagmaplatz von einem MAT-Beamten der Schädel eingeschlagen. In direktem Umfeld Lolos standen zum Zeitpunkt des unprovozierten Angriffs seitens des Beamten mehrere Dutzend Pressefotografen, die ebenfalls von der entsprechenden MAT-Einheit ins Visier genommen und buchstäblich zusammengepfercht wurden.

Selbstverständlich entstanden zahlreiche Fotografien. Diese wurden auch der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Die schlagende Polizeieinheit wurde tatsächlich identifiziert, der für Lolos Schädelbruch verantwortliche Beamte jedoch nicht. Die Zahl der verdächtigen Beamten konnte zwar auf, je nach Sichtweise, zwei oder drei eingeschränkt werden. Den vollständigen, lückenlosen Beweis, wessen Schlagstock den Schädel zertrümmerte konnte allerdings niemand liefern (Mit kleinen stetigen Schritten zum Abgrund).

Fazit? Die Beamten bleiben unbestraft, Lolos Anzeige somit unbelegt. Wäre der Fotografengewerkschaftler ein Immigrant und würde das Gesetz bereits gelten, hätte er somit durch seine Strafanzeige die hinreichende Voraussetzung für eine automatische Abschiebung geschaffen.

Demgegenüber halten Befürworter aus dem Regierungslager dagegen, dass illegale Immigranten oft durch Schleuser geschult seien. Sie würden rassistische und gewaltsame Übergriffe anzeigen, um so leichter an eine Aufenthaltserlaubnis zu kommen. Tatsächlich kündigte das Bürgerschutzministerium in der Vergangenheit oft an, dass "bis zum Abschluss der Verfahren keine Abschiebung von Zeugen stattfinden wird". Dies versicherte Bürgerschutzminister Nikos Dendias auch, als Immigranten in Manolada auf Geheiß ihres Arbeitgebers mit Schotkugeln statt Lohngeldern bedacht wurden (Griechenland: Rückfall in alte Gewohnheiten). Wie am 22. März, am Rande des internationalen Tags gegen den Rassismus, bekannt wurde, hat der Staat jedoch einige der immer noch unbezahlten Arbeiter bereits vor dem Abschluss der juristischen Aufarbeitung abgeschoben.

Parteipolitische Taktik als Motiv

Es ist mehr als offensichtlich, dass mit der beabsichtigten Regelung der Zugang von Immigranten zur Justiz erheblich eingeschränkt wird. Griechische Menschenrechtler sehen darin einen klaren Verstoß gegen europäische Normen.

Eventuell hat die Regierung aber gar nicht so weit gedacht. Vielmehr hat die Administration von Antonis Samaras gleich zwei Probleme. Zum einen laufen viele ihrer Stammwähler offenbar zum Lager der Goldenen Morgenröte über. Hier muss die Nea Dimokratia mit scharfer Law-and-Order-Politik gegenhalten. Denn ansonsten bleiben ihr aufgrund der weiterhin schlechten Wirtschaftslage keine Optionen, gegen den rechten Rand zu punkten.

Er überlebte das Kentern des Flüchtlingsboots vor Farmakonisi - verlor aber Frau und Kinder. Bild: W. Aswestopoolos

Andererseits ist die Nea Dimokratia auch bemüht, negative Schlagzeilen zu vermeiden. Der internationale Aufschrei, den das vor Farmakonisi versenkte Flüchtlingsboot hervorrief, verdarb ihr die Imagepflege, nach der sie mit Hilfe der EU-Präsidentschaft trachtet. Vom Trubel um Farmakonisi profitierte parteipolitisch vor allem SYRIZA. Die linke Oppositionspartei schickt sich zudem an, der Nea Dimokratia bei den Europawahlen eine heftige Schlappe zu bescheren.

Mit dem neuen Gesetz würden die Opfer es sich zweimal überlegen, ob sie Vorgänge wie bei Farmakonisi zur Anzeige bringen. Denn auch hier gilt, lückenlos beweisen lässt sich immer noch nicht, ob das Boot durch ein unbeabsichtigtes Manöver der Küstenwache sank oder ob das Manöver aufs Kentern des Bootes abzielte.

Neu ist das Spiel mit der Rassismuskarte nicht, auch vor den beiden Parlamentswahlen 2012 stand es in Athen auf der Tagesordnung (36720). Mit Rassismusthemen gespickte Wahlkämpfe sind zudem keine griechische Erfindung. Lange vor der aktuellen Krise spielten bereits die Briten damit.