Deutsche Geopolitik: ein Fiasko

Dilettantische Versuche der Bundesrepublik, auswärtige "Verantwortung" zu übernehmen

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Scheinbar einmütig sagen die Regierungen der EU-Länder und der Präsident der USA der russischen Politik harte Sanktionen an – zu derselben Zeit trifft sich der Vorstandsvorsitzende des Siemens-Konzerns zu einem Geschäftsgespräch mit Wladimir Putin. Die deutsche Kanzlerin wiederum beteiligt sich, etwas verdrossen wirkend, an der demonstrativen Ansage, die EU werde eine antirussische Ukraine in ihre Arme schließen. Was geht da vor?

Der Konflikt um die Ukraine hat es offen gelegt: Der deutsche, mit dem Segen des Bundespräsidenten versehene Anspruch, in der Weltpolitik stärker mitzumischen, zeitigt miserable Resultate. Darauf weisen auch versierte Politiker hin, denen Loyalität zum "Westen", zum nordatlantischen Bündnis, ebenso wenig abzusprechen ist wie der Wille, Interessen der deutschen Wirtschaft expansiv zu vertreten - prinzipielle Parteigänger der gegenwärtig regierenden Koalition also. Die Reihe solcher Kritiker im eigenen Lager reicht vom Altkanzler Helmut Schmidt bis zu Horst Teltschik, einst Berater des Kanzlers Helmut Kohl.

Versetzen wir uns zu analytischen Zwecken in ihre Gedankenwelt: Ziel deutscher Geopolitik muss es dann sein, die vorrangige ökonomische und politische Position in der EU auszubauen, den Einfluss auf Osteuropa auszudehnen, Russland in Schranken zu halten und zugleich wirtschaftlich zugunsten der Bundesrepublik zu erschließen - das alles in Abstimmung mit den USA, aber doch mit Spielraum für spezifische deutsche Interessen.

Die Umsetzung dieser Ambitionen scheitert immer mehr. In der EU gewinnen Staaten und politische Kräfte an Bedeutung, die eigene Wege gehen und sich querstellen zur deutschen Politik , in verwirrender Weise. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die polnische Regierung orientiert sich strategisch an Washington und nicht an Berlin. Die britische Regierung geht in Distanz zur EU. In etlichen europäischen Ländern wächst der Rechtspopulismus an und gefährdet die sogenannten westlichen Werte. In Griechenland und in Spanien droht sozialer Aufruhr. Von europäischer Stabilität unter informeller Führung der Bundesrepublik kann gar keine Rede mehr sein, auch wenn die EU-Staatsrepräsentanten Auftritte inszenieren, in denen Gemeinsamkeit vorgespielt wird.

Völlig außer Kontrolle ist die Entwicklung in der Ukraine geraten. Aus der geplanten zivilgesellschaftlichen" Übernahme des Terrains ist nichts geworden, das Land mit seinen Turbulenzen wird nun zu einer kostspieligen Last, der neue Kalte Krieg bringt nachhaltige Beschädigungen deutscher Wirtschaftsinteressen hervor. Lästig ist auch, dass in der deutschen Medienwelt die Aggressionen gegen den "Brandstifter Putin" sich verselbständigen; so militant hat die regierende Koalition das nicht gewünscht. Die Mehrheit der Deutschen aber findet solcherart Russophobie unsinnig, Zweifel an der Steuerungsfähigkeit der eigenen Regierung kommen auf.

Vorteile aus den Misserfolgen der EU und insbesondere der Bundesrepublik zieht die US-amerikanische Vormacht, sie kann jetzt die begrenzte geopolitische Eigenständigkeit der Europäer einschränken.

Präsident Obama hat seinen innenpolitischen Konkurrenten einen Erfolg entgegenzuhalten, zögerliche Europäer sind nun auf eine Drohpolitik gegenüber Russland eingeschworen, die NATO rückt weiter gen Osten. Nebenbei werden europäische Vorbehalte gegenüber dem transatlantischen Freihandelsabkommen kleinlaut. Die Medien in der Bundesrepublik reden zumeist den Umschwung in den Kräfteverhältnissen zwischen den USA und EU-Staaten, insbesondere der Bundesrepublik, auf dümmliche Weise schön, sie rühmen einen erneuten "Schulterschluss". In Wahrheit setzt sich die US-Politik in Sachen Russland über europäische, gerade auch deutsche wirtschaftliche Interessen kühl hinweg. Sie stellt – nicht ohne Hohn - zukünftige Möglichkeiten einer Energiezufuhr für Europa auf atlantischen Wegen heraus, wenn das Land Putins als Lieferant ausfalle. Nicht Handel mit und Wandel in Russland zum Nutzen europäischer Ökonomie ist das geopolitische Ziel der USA, sondern Destruktion der russischen Staatlichkeit, um im globalen Machtspiel einen kleineren Konkurrenten vom Platz zu verweisen.

Und Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier als ihr Gehilfe? Von der außenpolitischen Figur der deutschen Kanzlerin blättert der Glanz weg. Beim gemeinen Volk breitet sich allmählich das Gefühl aus, da seien regierende Dilettanten am Werk, mit riskanten Folgen. Ein Verdacht, der begründet ist.