Rechter Sektor droht dem Parlament

Interimspräsident Turtschinow sieht hinter der versuchten Erstürmung des Parlaments die Russen

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Auch heute haben wieder um die tausend teils vermummte, mit Schusswesten ausgestattete und mit Baseballschlägern und Messern bewaffnete Anhänger des Rechten Sektors vor der Rada, dem ukrainischen Parlament, demonstriert. Sie fordern wie schon am Abend zuvor, den Rücktritt des Innenministers Avakov und die Verhaftung der Mitglieder der Sonderheit, weil der militante Nationalist Oleksandr Muzychko bzw. Sashko Bily beim Versuch der Festnahme ums Leben gekommen ist.

Zunächst hieß es aus dem Innenministerium der vom Rechten Sektor, der sich mittlerweile zu eier Partei formiert hat, zum "Helden" erklärte Muzychko sei bei einem Schusswechsel getötet worden, dann wurde erklärt, er sei durch einen Schuss seiner eigenen Waffe ums Leben gekommen. Die Rechtsextremen fordern neben der Entlassung des Innenministers eine Untersuchung darüber, wie der regionale Führer des Rechten Sektors, der gerne bewaffnet mit einer Maschinenpistole auftrat, ums Leben kam. Nach ihm war wegen Rowdytums, der Bedrohung von Staatsangestellten und der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation gefahndet worden. Davon ist nun keine Rede mehr, was auch zeigt, dass die Angst vor den Rechtsextremen groß ist.

Gestern hatten Teilnehmer der Demonstration Scheiben im Parlamentsgebäude eingeworfen und wollten es erstürmen, sind aber von Führern des Rechten Sektors und nach dem Versprechen, dass eine parlamentarische Untersuchungskommission eingerichtet wird, friedlich geblieben. Der Rechte Sektor spricht von mehreren Tausend Demonstranten vom Rechten Sektor, der Maidan-Bewegung, der Selbstverteidigungskräfte und anderer Organisationen. Die Drohung, am nächsten Tag wiederzukommen, um die Erfüllung ihrer Forderung zu beobachten und dem Parlament zu drohen, haben sie wahr gemacht. Die Eingänge des Parlaments wurden von 50 so genannten Selbstverteidigern des Maidan bewacht. Unklar ist, ob sie die Demonstranten fern halten oder die Parlamentarier einschüchtern wollten. Ihor Mazur, der Chef des Rechten Sektors in Kiew, hatte erklärt, dass man zwar das Parlament heute nicht stürmen, aber man auf dem Maidan eine Versammlung einberufen werde, wenn die Forderungen nicht umgesetzt werden.

Zumindest der Einsetzung einer Untersuchungskommission kam das Parlament mit einer Mehrheit von 232 Stimmen von 279 nach. Der Innenminister trat nicht zurück, kündigte aber an, dass er alle vorhandenen Informationen an die Kommission weiter geben werde. Der Interimspräsident und Sprecher des Parlaments Turtschinow hatte das Verlangen der Rechtsextremen befürwortet, die damit ihre Macht demonstrieren konnten, einen Antrag auf den Rücktritt des Innenministers lehnte er jedoch ab. Wie sehr die Regierung unter dem Druck der Rechtsextremen steht, zeigt auch die Äußerung von Serhiy Sobolev, dem Vorsitzenden der Vaterlandspartei. Ein Rücktritt des Innenministers sei "unzeitgemäß und unangemessen", sagte er: "Ich erinnere daran, dass Avakov vom Maidan vorgeschlagen wurde." Und er versuchte, den von den Rechtsextremen forcierten antirussischen Nationalismus zu gleich zu bedienen. Die versuchte Erstürmung des Parlaments am Donnerstagabend sei eine provozierende Aktion Russlands gewesen, behauptete er nach Medienberichten dem Parlament: "Die Tatsache, dass russische Medien Minuten vor dem Start der Provokationen aufgetaucht sind, lässt vermuten, dass es sich um eine organisierte Provokation gegen die Ukraine gehandelt hat, dass sie von einem Aggressor organisierte wurde, der heute einen Krieg gegen unser Land entfesselt hat." Es gebe einen "Versuch, die Situation der Ukraine im Zentrum, in ihrem Herzen, in Kiew zu destabilisieren", soll er gesagt haben.

Russische Medien finden diese Vorwürfe eher komisch, da Russland die Führer des Rechten Sektors auf eine Fahndungsliste gesetzt habe, was allerdings auch nichts heißen muss, allerdings ist schwer vorstellbar, dass die antirussischen Nationalisten ausgerechnet mit Moskau zusammenarbeiten würden. Nach Russia Today scheinen die ukrainischen Sicherheitsbehörden zu erwägen, den Rechten Sektor ganz zu verbieten. Hinter dem Verbot soll auch der Mitbegründer der Sozialnationalen Partei der Ukraine (heute Swoboda) Andrey Parubiy stehen, der seit 2012 Mitglied der Vaterlandspartei ist, auf dem Maidan als Kommandeur der Selbstverteidigungskräfte agierte und nun der Leiter des mächtigen Sicherheits- und Verteidigungsrats ist. Da könnte etwas dran sein, denn die militanten Gruppen standen auch in Konkurrenz. Die Interimsregierung hat extra für die Militanten der Maidan-Bewegung die Nationalgarde geschaffen, um sie so besser kontrollieren zu können. Der Rechte Sektor ließ sich aber nicht entwaffnen und will auch nicht in die Nationalgarde eintreten. Und er wird, wie die Proteste und die Einschüchterung des Parlaments zeigen, nun auch für die Regierung bedrohlich.