"Pullover anziehen und weniger heizen"

Bangladesh, eingestürztes Haus nach dem Wirbelsturm "Aila", 2009. Foto: Mayeenul Islam; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die Klimaverhandlungen der letzten 20 Jahren haben nur zu ungenügenden politischen Reaktionen geführt. Der neue IPCC-Bericht warnt vor katastrophalen Folgen, falls das so bleibt. Ob er etwas ändert?

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Das Neue am aktuellen Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Fragen des Klimawandels (IPCC) erkennen Experten darin, dass die Datengrundlage sehr viel besser sei. Hervorgehoben wird auch, dass die Arbeitsgruppe II, die den Sachstandsbericht an verantwortliche Politiker adressiert hat, diesmal die Resultate nach Validität des jeweiligen Forschungsstands und nach Grad der Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten unerwünschter bis katastrophaler Auswirkungen der Erderwärmung abgestuft und damit die Kritik an früheren Berichte miteingearbeitet hat.

Auch die Botschaft dieses IPCC-Berichts ist abgestuft. Sie lautet: Keiner auf diesem Planeten bleibt von den Wirkungen des Klimawandels verschont, aber - und auch das ist neu im Bericht - bestimmte Maßnahmen hätten gezeigt, dass Verbesserungen möglich sind. Daran schließt sich dann der dritte Teil der Botschaft an: Wenn nichts unternommen wird, wird es dystopisch: Wetterkatastrophen, Ernteausfälle, Trinkwassermangel, Hungersnöte, soziale Unruhen, Kriege um Ressourcen.

Und wie immer gibt es dazu die Begleitmusik unterschiedlicher Meinungen der Wissenschaftler darüber, wie alarmierend der Bericht tatsächlich zu bewerten ist, bzw. wie fehler- oder lückenhaft er ist.

Katastrophen und Vernichtung von Lebensgrundlagen

Besonders bedroht sind dem Bericht zufolge Bewohner von Küstengebieten, kleineren Inseln und Entwicklungsländern sowie von großen urbanen Zentren. Aufgelistet werden Schlüsselrisiken, deren Validität mit hoch bewertet wird. Als Auslöser katastrophaler Entwicklungen werden genannt: der Anstieg der Meerwasserspiegel, Überflutungen, Stürme, Perioden extremer Witterungsbedingungen, Dürren, Hitze, die nicht allein die Trinkwassserversorgung betreffen, sondern auch die Hilfsinfrastruktur.

Auch Hungersnöte, die mit Erwärmung, Dürren und Hochwasser im Zusammenhang stehen, werden genannt, wobei hier auch die ärmere Landbevölkerung als Risikogruppe erwähnt wird. Ganze Landwirtschaften und damit der Lebensunterhalt vieler Beschäftigter seien einem großen Risiko ausgesetzt. Dazu komme die Zerstörung von Ökosystemen in den Ozeanen (Stichwort: Versauerung), was die Fischerei und Bewohner der Küstenregionen, die darauf angewiesen sind, auf eine lebensbedrohliche Weise zu spüren bekommen; zudem wird die Vernichtung von Ökosystemen und Artenvielfalt in den Binnengewässern herausgestellt.

100 Milliarden Dollar jährlich an arme Länder zahlen

Interessant ist, dass in der rund 40seitigen Berichtszusammenfassung laut Informationen der New York Times die Summe von 100 Milliarden Dollar im Jahr, welche die ärmsten Länder, die selbst kaum etwas mit den Ursachen des Klimawandels zu schaffen haben, nach Schätzung der Weltbank bräuchten, um mit den Auswirkungen der Erderwärmung zurecht zu kommen, gestrichen worden sei. Diese Schätzung tauche lediglich in dem 2.500 Seiten starken vollständigen Bericht auf.

Das wirft - wie schon die drastische Schilderung der Risiken, die mit der bisherigen Zurückhaltung der Politiker beim Klimaschutz in Verbindung steht - die für Klimaberichte typische Frage auf, ob er diesmal zu größeren Konsequenzen führt. Die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen. Zwar wird im momentanen Aufmerksamkeitslichtkegel, den solche Berichte werfen, aktionistisch reagiert, längerfristige Maßnahmen landen dann im Zermürbungskrieg mit Lobbyisten und Eigeninteressen, wo ihnen die Luft ausgeht.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks: Absicht für ein Sofortprogramm

So reagierte die neue Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) auf den Bericht mit der Bekanntgabe der Absicht, ein Sofortprogramm für Deutschland gegen den Klimawandel vorzulegen. Sie orientiert sich dabei an den "optimistischen" Teil der IPCC-Botschaft, der in Aussicht stellt, dass die Wirkungen des Klimawandels eingedämmt werden können:

Wenn wir jetzt was unternehmen, dann wird es zu diesen schrecklichen Folgen nicht kommen. Dann werden wir immer noch Anpassungsmaßnahmen brauchen, weil auch eine Zwei-Grad-Erderwärmung ja schon doch noch Veränderungen in Natur und Umwelt mit sich bringt. Aber dann sind jedenfalls diese katastrophalen Folgen zu beherrschen.

Konkrete Einzelheiten, was zu verändern wäre, nannte sie nur für das Altagsleben. Man müsse die "Lebensweise etwas ändern".

Ich weiß, dass vor vielen Jahren da mal jemand ziemlich angefeindet worden ist, weil er gesagt hat, wir müssen vielleicht mal Pullover anziehen. Hört sich blöd an und ist auch bestimmt nicht das Einzige. Aber es kann schon sein, dass wir in Mitteleuropa doch ab und an wirklich auch vielleicht unsere Wohnungen nicht mehr auf 22, 23 Grad heizen, sondern vielleicht nur noch auf 20 oder 21.

Ansonsten nannte sie größere Herausforderungen in den Bereichen Wohnungen, Verkehr und Landwirtschaft. Die Planungen dazu sind aber offensichtlich noch nicht konkret genug, um sie in einem Programm vorzustellen.

Auf die Frage, warum die ehrgeizigen Ziele Deutschlands - "Minus 40 Prozent CO2-Ausstoß bis 2020" - noch nicht in einem detaillierteren Programmpapier vorliegen, antwortet die Ministerin ausweichend: Es sei nicht so einfach, in vernünftige Abstimmungen einzutreten. Wer nun erwartet hätte, dass die Ministerin an diesem Punkt wenigsten den Widerstand gegen "vernünftige Abstimmungen" genau benennt, sieht sich getäuscht.

Nein! Ich kann nicht sagen, dass irgendjemand bremst. So ist es nicht.

Sie will offensichtlich in der Koalition nicht durch Störmanöver auffallen, also nennt sie den politisch unverfänglichsten aller Widerstände gegen eine strengere Klimapolitik: "Es bedeutet schon auch Veränderung unserer Lebensweise."