Patente auf Leben - Wem gehört die Natur?

Monsanto erhebt Rechte an einer violetten Karotte aus der Türkei

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Möhren kennen wir vor allem in Orange. In anderen Farben wie Rot, Gold, Weiß oder Dunkelviolett sind sie hierzulande kaum bekannt. Nun erhebt Monsanto Geistige Eigentumsrechte auf eine violette Karotte aus der Türkei. Damit setzt der Saatgutkonzern die Tradition fort, aus Genmaterial Privateigentum zu machen. Das Unternehmen ist nur eines von vielen, die Patente auf Pflanzen und Tiere beanspruchen.

Im Jahr 1999 kaufte ein Vertreter der Firma Seminis, einem Monsanto-Tochterunternehmen, einheimischen Bauern im südtürkischen Adana das Saatgut violetter Karotten ab. Da auf der Verpackung kein Name angegeben war, bezeichnete die Firma sie als türkische schwarze Karotte, säte die Samen aus und selektierte die besten Karotten aus, ohne sie mit anderen Sorten zu kreuzen.

Nachdem sie in Kalifornien von 2000 bis 2004 sechs Generationen durchlaufen hatte, wurde sie in Anthonina umbenannt. Seminis erwirkte in den USA und in Europa die Sortenschutzrechte und ließ sie patentieren. Zu seiner Rechtfertigung verwies das Unternehmen auf das US-Landwirtschaftsministerium, das in abgelegenen Gebieten nach pflanzengenetischen Ressourcen suche, um "das Saatgut zu erhalten". Doch Adana liegt mit mehr als 1,5 Millionen Einwohnern in einer zwar landwirtschaftlich geprägten, aber keineswegs abgelegenen Gegend.

Ein typischer Fall von Biopiraterie?

Großzügigerweise gestattet Monsanto den türkischen Bauern, ihre eigenen Karotten, die sie über Generationen hinweg selber züchteten, weiterhin anzubauen. Doch von der gewinnbringenden Vermarktung der violetten Karotte profitiert allein der Konzern. Die Bauern erhalten weder eine Entschädigung, noch gibt es für sie irgend einen Vorteilsausgleich.

Und das, obwohl die Türkei 1997 das Übereinkommen über biologische Vielfalt (CBD - Convention on Biological Diversity) ratifiziert hatte - zwei Jahre bevor die Karottensamen in die Hände von Seminis gelangten.

Erst im Februar 2014 hatte das Europäische Patentamt (EPA) dem Unternehmen ein Patent auf die Untersuchung und Auswahl von Sojapflanzen erteilt, die an unterschiedliche klimatische Bedingungen besser angepasst sind. Betroffen sind mehr als 250 wilde und gezüchtete Pflanzen aus Asien und Australien. Damit besitzt Monsanto das Monopol auf die Verwendung von 100 in diesen Pflanzen natürlich vorkommenden Genvarianten.

Zuerst Saatgut bäuerlicher Herkunft stehlen, es als eigenes ausgeben und dann die "geistigen Eigentumsrechte" daran beanspruchen - das ist die erfolgreiche Strategie vieler Unternehmen. Im Fall der Karotten wurden die Details über die wahre Herkunft des Saatgutes aufgedeckt, in vielen anderen Fällen nicht.

So untersuchen rund 200 Pharmaunternehmen gegenwärtig pflanzengenetische Ressourcen auf ihre Verwendbarkeit für Medikamente, indem sie ihre Gene und Wirkstoffe isolieren.1

Schätzungsweise drei Viertel der 7.000 Medikamente, die sich auf dem Markt befinden, sind pflanzlichen Ursprungs, basierend auf den Heilmethoden indigener Völker. Produkte, die von pflanzengenetischen Ressourcen abstammen und in der Regel auf dem Wissen indigener Bevölkerungsgruppen basieren, bringen auf dem Weltmarkt rund 500 bis 800 Milliarden Dollar ein. Doch die Menschen in den Herkunftsländern werden äußerst selten am Gewinn beteiligt.

Lateinamerika - ein Tummelplatz für Bio-Piraten?

Chinin zum Beispiel stammt ursprünglich aus dem Hochwald der Anden. Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts wird es als Mittel gegen Malaria eingesetzt. Schon die Inka wussten von seinen fiebersenkenden Eigenschaften, weshalb sie es als Heilmittel verwendeten.

Als im Jahr 1636 die Ehefrau des spanischen Vizekönigs auf dem Gebiet des heutigen Peru erkrankte, heilte ein Medizinmann sie mit dem Wirkstoff aus Chinabaumrinde (Chinin = quina-quina - Rinde der Rinden). Kaum genesen, brachte die Gräfin die Rinde als Pulver der Contessa in Umlauf, bevor die Jesuiten es als Jesuitenrinde bzw. Kardinalspulver in ganz Europa verbreiteten. Heute ist Chinin ein weit verbreitetes Pharmazeutikum.

Es wirkt schmerzstillend, fiebersenkend, ist örtlich betäubend und wird bei Wadenkrämpfen eingesetzt. Die Pharmakonzerne verdienen ganz gut daran. Leider beteiligen sie die Nachfahren der Inka nicht an ihren Gewinnen.

Ayahuasca, ein Heiltrank der Inka, der aus der Lianenart Banisteriopsis caapi hergestellt wird und auch für die europäische Medizin interessant ist, wirkt offenbar auch gegen Depressionen. Im Jahre 1986 ließ ein gewisser Loren S. Miller die Pflanze patentieren. Zwar wurde das Patent 1999 wieder aufgehoben, da Ayahuasca als geistiges Eigentum indigener Völker anerkannt wurde, zwei Jahre später jedoch wieder für gültig erklärt. Vom völkerrechtlichen Standpunkt aus gesehen ist das Patent allerdings unwirksam.

Ohne jeden Skrupel ging Larry Proctor vor, Chef der US-Saatgutfirma Podners, als er sich gelbe Bohnen aus Mexiko holte, in den USA einsäte und 1996 ein Patent anmeldete, mit der Begründung, diese einmalige gelbe Varietät sei in den USA noch nie gezüchtet worden. Auf die gelbe Bohne, die in Mexiko seit Jahrhunderten angebaut wird, erhielt er drei Jahre später das Monopol. Seitdem müssen mexikanische Bauern für den An- oder Verkauf ihrer ureigensten Bohnensorte Lizenzgebühren zahlen (Marken-Gene: Fortpflanzung als Urheberrechtsbruch und Patente auf Leben).

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