Geschichtsunterricht bei Schäuble

Die Krim und das Sudetenland: Der Bundesfinanzminister als Didaktiker

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Wolfgang Schäuble ist gelernter Jurist, seine Dissertation setzt sich mit der Rechtsstellung von Wirtschaftsprüfern auseinander. Aber seine Interessen und Kompetenzen sind vielseitig, was ja an der fachlichen Breite seiner Verwendung im Dienste des Staates zu erkennen ist. Auch mit Belehrungen über historische Sachverhalte ist Schäuble schon früher hervorgetreten, so etwa der Darlegung, die Bundesrepublik sei doch nie souverän gewesen, deshalb bedeute es auch keinen Verlust, wenn die Finanzhoheit bei Institutionen der Europäischen Union angesiedelt werde.

Und nun hat der Minister, pädagogischen Impulsen folgend, trotz all seiner Zeitnot im Amte lernwilligen Schülern die Ukraine-Krise erklärt. Kurz und pointiert, jedoch durchaus didaktisch durchdacht.

Am Beginn seiner Äußerungen stand eine problemorientierte aktuelle Frage aus seinem Ressort: Soll die Bundesrepublik der derzeitigen ukrainischen Regierung die Kasse füllen, obwohl das Geld hierzulande gut verwendbar wäre? Schäuble gibt gleich die Antwort dazu und lenkt damit den Blick auf die Thematik, in der das Lernziel erreicht werden soll: Russland ist der Aggressor. Einige Vorkenntnisse bei den Schülern sind da zu erwarten, vielleicht ist Ihnen beispielsweise das Titelbild des deutschen Nachrichtenmagazins unter die Augen gekommen: "Brandstifter Putin. Wer stoppt ihn?"

Deutsche Finanzhilfe, so informiert Schäuble recht lebensnah, brauchen die regierenden Ukrainer, damit sie ihre Polizisten bezahlen können. Anderenfalls werden bewaffnete Nichtpolizisten übermütig und liefern damit Russland den Vorwand, in die Ukraine einzumarschieren. Die Krim hat Putin bekanntlich bösartigerweise schon annektiert, das kann als Vorwissen der Schüler vorausgesetzt werden, die Politiker und die Medien sind da aufklärend tätig geworden. Also, als Lernschritt: Der Russe muss abgewehrt werden, die Kosten dafür sind unvermeidlich.

Nun fehlt im Unterrichtsablauf noch eine Vertiefung, die historische Zusammenhänge herstellt und nachhaltige Erkenntnis ermöglicht. Schäuble führt zu einer solchen anhand der Vorgänge auf der Krim: "Das kennen wir alles aus der Geschichte. Mit solchen Methoden hat schon der Hitler das Sudetenland übernommen und vieles andere mehr." Hier zeigt sich ganz deutlich das didaktische Geschick des Ministers. Dem Unterrichtserfolg dient es, Schüler zum Weiterdenken auf dem angebahnten gedanklichen Pfad anzuregen, für die Zeit nach der Geschichtsstunde. Hitler, der "vieles übernommen" hat, mit fragwürdigen "Methoden", war eine Art vorzeitiger Wladimir Putin. Auch Adolf hatte einen verhängnisvollen Drang zum Einmarschieren.

Wolfgang Schäuble hat dann durch einen Bediensteten seines Ministeriums mitteilen lassen, einen "Vergleich" des russischen Präsidenten mit dem einstigen deutschen Führer habe er nicht gezogen. Das stimmt, dieser Lernschritt war nicht direkter Teil des Unterrichts, er blieb einer Nachbereitung der Schüler überlassen.

Die könnten nun allerdings auch darüber sinnieren, was denn Deutschland und nicht nur der Hitler seinerzeit mit den Einmärschen in Osteuropa beabsichtigte. War da nicht etwas mit der Unterwerfung ukrainischen Territoriums, schon im Ersten Weltkrieg? Und im Zweiten sogar mit der Annexion der Krim? Aber dem nachzuforschen ist anstrengend. Außerdem jetzt störend - es gilt den Brandstifter dingfest zu machen, da bleibt keine Muße für solche detaillierten Rückblicke in die Geschichte, es genügt als Lernergebnis: "Größenwahnsinnige Tyrannen" (so der Unions-EU-Politiker Bernd Posselt, Schäuble zur Hilfe kommend) sind so - damals Hitler, heute Putin.