Regierungskoordinator mauschelte mit der Goldenen Morgenröte

Eurogruppenchef Dijsselbloem war zu Späßen aufgelegt und fotografierte den Fotografen. Bild: W. Aswestopoulos

Prügeleien im Athener Parlament, ein Premier ohne Glück und Skandale durch geleakte Videos

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Griechenlands Premier Antonis Samaras hat einfach kein Glück. Nur einen Tag nachdem seine Regierung die Absegnung einer erneuten Auszahlung einer Kredittranche durch die Eurogruppe in Athen feierte, hagelte es Hiobsbotschaften. Dass die Arbeitslosigkeit im Land weiter anstieg, die Arbeitslosenquote im Dezember 2013 bei 27,5 Prozent lag und mit einer stetig steigenden Tendenz den unrühmliches Spitzenplatz in Europa verteidigt, dürfte zu Antonis Samaras geringeren Problemen zählen.

Rückkehr an die Finanzmärkte

Während Finanzminister Yannis Stournaras am ersten April die Rückkehr an die Finanzmärkte feierte und wortwörtlich von einem "geschlossenen Zyklus als Finanzminister sprach", wurde dies von einigen Medien vorschnell als Rücktrittsankündigung gewertet. Doch auch dies ist für Samaras keine Kopfnuss. Der Finanzminister bleibt.

Zumindest aus taktischer Sicht war es für den griechischen Sparfuchs ein Erfolg, dass der Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem bei der Pressekonferenz am ersten Tag statt über griechische Krisen über die wirtschaftliche Schieflage Frankreichs ausgefragt wurde. Der zweite Tag des informellen Treffens ging über die Probleme des gesamten europäischen Bankensektors. Alles in allem hatte Stournaras nach langen Monaten der Verhandlungen und parlamentarischen Kapriolen am Wochenende endlich Grund aufzuatmen.

Finanhzminister Stournaras hatte gut lachen. Bild: W. Aswestopoulos

Verluste für die Regierungsmehrheit

Am Sonntag hatte Oppositionsführer Alexis Tsipras versucht, den Finanzminister mit einem Misstrauensvotum zu Fall zu bringen. Er scheiterte an formaljuristischen Auslegungen der Verfassung durch die Regierung. Eine Abstimmung über den Antrag und eine dafür vorgeschriebene dreitägige Debatte hätte verhindert, dass die Regierung Sonntagnacht die neuesten Sparbeschlüsse durchs Parlament bekommen hätte.

Auch hier gab es Probleme. Das neue Maßnahmenpaket musste durch. 280 Seiten ohne Querverweise waren für die Parlamentarier innerhalb von wenigen Stunden zu lesen. Sie bekamen den Text vor der zweitägigen Debatte erst um 2 Uhr Samstagnacht. Hätte jemand alles Relevante lesen wollen, so hätte er mit allen Querverweisen 800 Seiten Text bewältigen gehabt.

Mit insgesamt 151 der 300 Parlamentarier ging das Paket mit all seinen Bestimmungen schließlich durch. Zwei unabhängige Abgeordnete unterstützten die Regierung, die nun sehr wackelig ist. Denn drei Regierungsabgeordnete verweigerten die Zustimmung.

Dem früheren Premier Giorgos Papandreou missfiel, dass die gegenüber Banken gegebenen Kreditgarantien mit dem neuen Sparpaket von den Banken für einen Bruchteil des Geldes beglichen werden können. Auch der frühere PASOK-Parlamentspräsident und mehrfache Minister Apostolos Kaklamanis konnte diesem Passus keinen Gefallen entgegenbringen und verweigerte daher sein Votum. Papandreou konnte durch den amtierenden PASOK-Chef Evangelos Venizelos jedoch nicht aus der Partei geworfen werden, ist GAP, wie Papandreou stets genannt wird, doch amtierender Präsident der Sozialistischen Internationalen. Venizelos beließ es bei einer Rüge. Etwas barscher, mit dem Ausdruck "alter schwuler Sack" strafte er noch im Parlament Apostolos Kaklamanis ab.

Dessen Namensvetter, Nikitas Kaklamanis, hatte weniger Glück. Der frühere Athener Bürgermeister und mehrfache Minister wurde sofort von Premier Samaras aus der Partei geworfen. Kaklamanis hatte erklärt, dass er nach der Lektüre des ersten Artikels entdeckt hätte, dass das Spargesetz eine Mogelpackung ist. Er konnte dies nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren.

Ein mittelloser Bruder des reichen Gesundheitsministers

Samaras saß auch dieses Problem aus und verkündete unerschüttert, seinen Kurs fortsetzen zu wollen. Dass in Griechenland weite Bevölkerungsschichten verarmt sind und unversichert keinen Anspruch auf staatliche Gesundheitsdienste haben, möchte der Premier mit Gesundheitsvouchers bekämpfen. Der Besitz eines solchen heiß umkämpften Gutscheins garantiert dem glücklichen ausgewählten Empfänger zumindest die kostenlose Behandlung einer ernsten Erkrankung. Bei der Verteilung dieser Gutscheine gehen viele Bürger leer aus.

Umso mehr Aufsehen erregte ein Bericht über einen der Brüder des amtierenden Gesundheitsministers Adonis Georgiadis. Der nach eigenen Angaben mittellose Mann ließ sich die Nasenscheidewand richten und legte dafür einen Voucher vor. Aus Angst vor Viren ließ ihn die Krankenhausverwaltung auf Staatskosten in ein geräumiges Einzelzimmer verlegen, während selbst versicherte Patienten aus der normaler Bürgerschaft in Sechs-Bett-Zimmern unterkommen müssen.

Nach dem Bekanntwerden des Vorfalls wurden seitens der Familie rasch 600 Euro beglichen, aus dem "mittellosen" Bruder des Ministers wurde erneut ein normaler Bürger.

Besitzerin eines Schwarzbaus ist zuständig für Schwarzbauten

Dieser Vorfall landete am turbulenten Dienstag ebenso schnell bei den Akten, wie die Entdeckung, dass die frühere PASOK-Abgeordnete Nantia Giannakopoulou einen nicht genehmigten Bau als Wohnung nutzt. Sie bewohnt die fünfte und sechste Etage eines Hauses, das laut Genehmigung nur über vier Stockwerke plus einen einzelnen Raum auf dem Flachdach verfügen dürfte.

Giannakopoulou wurde nach ihrem parlamentarischen Scheitern mit einem Posten im Umweltministerium versorgt. Dort ist die Tochter des früheren Parlamentariers Giannis Giannakopoulos für die Kontrolle der Schwarzbauten verantwortlich.

Flaggen auf dem Dach des Finanzministeriums. Bild: W. Aswestopoulos

Samaras - der Wichser

Auch dies erschütterte das politische Leben Athens kaum. Ist die Aufdeckung solcher Vorfälle, auch in dieser Häufung, doch eher Alltag als etwas Außergewöhnliches. Dass ebenfalls am Dienstag die Anschuldigungen eines Managers der Firma Ericsson bekannt wurden, war ebenfalls kaum der Rede wert. Der Mann hatte schlicht bezeugt, dass seine Firma griechischen Politikern und Beamten dreizehn Millionen Euro Schmiergelder gezahlt hatte.

Was in Athen momentan für Chaos sorgt, ist unter anderem der Ausspruch: "Samaras der Wichser". Er fiel während einer Parlamentsrede des Sprechers der Goldenen Morgenröte Ilias Kasidiaris. Bei der Debatte ging es um nichts weniger als die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von fünf Abgeordneten seiner Partei. Es ging auch um Kasidiaris selbst.

Kasidiaris las aus seinem Redemanuskript wiederholt die Wertung des amtierenden Premiers als Wichser vor. Genüsslich ließ er sich die Worte auf der Zunge zergehen, denn sie stammten nicht von ihm selbst, sondern vom Generalsekretär der Regierung. Takis Baltakos, der als enger Vertrauter Samaras den Posten des Koordinators des Kabinetts erhielt, hatte Kasidiaris gegenüber in freundschaftlichem Ton geplaudert. Zu Baltakos Verdiensten gehört neben der Schließung der ERT auch die stete Abweisung eines Antirassismusgesetzes. Dazu verminderte er durch die Einstellung seiner Gattin beim Parlament die Zahl der Arbeitslosen.

Der bislang als kompetenter Jurist bekannte höchste politische Beamte des Staats machte beim auf der russischen Videoplattform rutube geleakten Gespräch mit Kasidiaris keine besonders gute Figur.

Dort referiert Baltakos mit höchst unfeiner Wortwahl darüber, dass die juristische Verfolgung der Goldenen Morgenröte das Werk einer Verschwörung sei. Offen wirft er Justizminister Charalambos Athanasiou und Bürgerschutzminister Nikos Dendias Manipulation der Justiz vor.

Baltakos konnte sich unter der Last der Aufdeckung nicht halten, er trat sofort zurück. Der Rücktritt konnte das folgende politische Erdbeben jedoch nicht verhindern. Seine häufigen privaten Gespräche mit Kasidiaris entschuldigt Baltakos damit, dass sein Büro im Athener Parlament in direkter Nachbarschaft zu den Büros der Goldenen Morgenröte liege. Er habe, so erklärte er gegenüber engen Mitarbeitern, "im Sinn der Partei und des Heimatlandes ein höchst gefährliches Spiel gespielt".

Justizminister Athanasiou versucht, mit Dementis einen eigenen Rücktritt zu verhindern. Dendias geht dagegen in die Offensive. Forderungen nach Rücktritten und lückenloser Aufklärung seitens der Opposition und vor allem des SYRIZA wirft Dendias einen eigenen Vorwurf entgegen. Derartige Forderungen würden die Goldene Morgenröte stärken, meint er. Vor allem SYRIZA sei dafür verantwortlich , erwidert Dendias auf die Kritik der Opposition.

Doch auch seitens des bisher treuen Koalitionspartners PASOK rasselt nun die Kritik an der Nea Dimokratia und den gefährlichen Kontakten mit den Ultrarechten durch die Medien. Es ist offen, wie sich die politische Aufklärung des Skandals in den nächsten Tagen entwickelt. Eine öffentliche Erklärung des Premiers über seinen bisherigen engen Freund Baltakos steht noch aus. Bislang sickerte nur durch, das das Premierministeramt meint, Baltakos habe sich "selbstständig gemacht".

Das Nachspiel auf den Parlamentsfluren

Baltakos tiefer Fall konnte seinen Sohn nicht unberührt lassen. Vom einflussreichen Vater auf einen guten Posten bei der Küstenwache gebracht, sah der frühere Marineinfantrist nun seine Zukunft in Trümmern. Baltakos junior erinnerte sich an seine Militärausbildung bei der OYK Eliteeinheit und drang wütend in die Büros der Goldenen Morgenröte im Parlamentsgebäude ein. Dort wütete er und schlug mehrere der ultrarechten Abgeordneten. Nach erfolgter Tat verließ er das Gebäude unbehelligt, denn die Polizeiwache des Parlaments wollte die Anzeige der Goldenen Morgenröte nicht entgegennehmen. Die Parteivertreter mussten für ihre Anzeige das Parlament verlassen und die nächste öffentliche Polizeiwache nahe dem Syntagmaplatz aufsuchen.

Zeuge des Vorfalls wurde der Fraktionssprecher der PASOK Paris Koukoulopoulos. Er stellte sich mit einer Rede im Parlament öffentlich als Zeuge zur Verfügung. Koukoulopoulos zeigte sich erschüttert darüber, dass derartige Schlägereien in den Räumen des Parlaments möglich seien.

Der junge Wüterich wurde dennoch schnell bestraft. Sein Dienstherr suspendierte ihn umgehend und kündigte eine disziplinarische Untersuchung an. Eine Strafe fürchten muss auch Ilias Kasidiaris. Allerdings dürfte es diesen kaum interessieren, dass er neben der bestehenden Anklage der "Führung einer kriminellen Organisation" nun auch vor Gericht Verantwortung dafür übernehmen muss, "illegal ein Gespräch aufgezeichnet zu haben". Seine Partei droht damit, mindestens sechs weitere derartige Videos in Besitz zu haben.

Die Römer bemerkten gern: "verba volant, scripta manent", Worte verfliegen, Schriftliches bleibt. Das war eindeutig vor der Zeit der Videoaufzeichnung. Denn nun muss auch Gesundheitsminister Adonis Georgiadis erklären, warum er noch vor Wochenfrist triumphierend bemerkte, "Baltakos ist der Beste, ich wähle Baltakos!"