Zentralbank senkt trotz Deflationsangst den Leitzins nicht auf Null

In einer Front mit dem IWF hatten Spanien und Italien gefordert, die Geldhähne wegen Deflationsgefahren noch weiter zu öffnen

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Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) hatte vor der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) den Druck erhöht und neue, ungewöhnliche geldpolitische Lockerungsmaßnahmen gefordert. Der Druck auf EZB-Präsident Mario Draghi war stärker geworden, da die Inflationsrate im März auf nur noch 0,5% weiter gesunken ist. Obwohl das Inflationsziel von 2% immer weiter in die Ferne rückt und nun auch das große Euroland Spanien in die in die Deflation abgerutscht ist, wollte Draghi seine letzte Patrone offenbar noch nicht verschießen. Der Leitzins wurde nicht auf Null gesenkt. Auch im Vorfeld diskutierte Anleihekäufe und sogenannte Strafzinsen wurden nicht beschlossen. Zuletzt hatten auch Bremser aus Deutschland und Finnland negative Zinsen ins Gespräch gebracht, um Geschäftsbanken dazu zu bringen, ihr Geld nicht bei der EZB parken, sondern in die Wirtschaft zu pumpen.

Der Europäischen Zentralbank (EZB) fällt nun langsam auf die Füße, dass sie unter der Präsidentschaft von Mario Draghi den Leitzins schon auf 0,25% gesenkt hat, um über niedrige Zinsen Konjunkturförderung zu betreiben (Pulver verschossen: Die von der EZB geöffneten Geldschleusen werden immer gefährlicher). Ein weiteres Ziel dieser Geldpolitik war auch, Krisenstaaten zu stützen, um eine scheinbare erfolgreiche Rettung von Ländern wie Irland zu simulieren (Die große Irland-Erfolgsshow). Denn die Banken stecken das Geld der Notenbank, dass sie von der EZB praktisch zum Nulltarif erhalten, auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten längst wieder in Staatsanleihen von Krisenländern. Die Risikoaufschläge sind auch für Portugal, Spanien und sogar für Griechenland deshalb wieder deutlich gefallen, obwohl die Verschuldung all dieser Staaten mit ihrer "Rettung" noch viel höher und gefährlicher geworden ist.

Die Aufgabe der EZB ist aber eigentlich, für Geldwertstabilität zu sorgen. Doch die wird bei einer Inflation von etwa 2% angesehen. Dass dieses Ziel unter Draghi weiter in den Hintergrund gerückt ist, zeigte sich mit dem Paukenschlag nach seiner Ernennung. Trotz einer zu hohen Inflation von etwa 3% senkte Draghi überraschend den Leitzins im November 2011. Sein Vorgänger Jean-Claude Trichets hatte deshalb die Leitzinsen in zuvor zwei Schritten wieder auf 1,5% angehoben. Doch wegen der neuen Politik der EZB, die für Kritiker auch die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung überschreitet, hat Draghi angesichts von Deflationsgefahren nun fast jeden Spielraum für zinspolitische Maßnahmen verloren. Das Pulver hat er zur Stützung von Krisenstaaten und zur Ankurbelung der Konjunktur verschossen und kann nun die Zinsen praktisch nicht mehr senken.

Doch Deflationsgefahren werden derweil immer stärker. Verzeichnete im Januar im Jahresvergleich nur Griechenland eine negative Inflationsrate, gesellten sich im Februar auch Zypern und Bulgarien mit deutlichen Negativraten hinzu. Bulgarien hat einen festen Wechselkurs zum Euro und wird deshalb von Eurostat erfasst. Doch auch Kroatien (-0,2%), Portugal und die Slowakei (jeweils -0,1%) rutschten im Februar leicht in die Deflation ab während die Inflationsrate im gesamten Euroraum weiter auf 0,7% sank.

Nach der Schnellschätzung von Eurostat hat sich die Tendenz im März weiter verstärkt. Die Inflationsrate ist im Euroraum nun auf 0,5% gefallen und mit Spanien (-0,2%) ist nun ein großes Euroland in die Deflation abgeglitten. Spanien hatte schon im vergangenen Oktober erstmals deflationäre Tendenzen gezeigt, für die der Wirtschaftsnobelpreisträge Paul Krugman vor allem Deutschland verantwortlich machte ("Deutschland ruiniert seine Nachbarn"). Und dessen Vorhersagen scheinen sich mit der klar steigenden Deflationstendenz in der Eurozone zu bestätigen.

Druck auf die EZB

Spanien hatte mit Italien Druck auf den Italiener an der Spitze der EZB ausgeübt, um eine weitere Zinssenkung und andere geldpolitische Lockerungen zu erreichen. Draghi hatte darauf reserviert reagiert, doch sein Vizepräsident Vitor Constancio gab zu, dass die Deflationstendenzen ein "Anlass zur Sorge" seien. Sie könne die wirtschaftliche Erholung belasten und schadet Regierungen von Ländern, die besonders hohe Schulden angehäuft hätten. Und das sind wiederum vor allem die Länder, die angeblich erfolgreich gerettet wurden, dazu kommt natürlich Draghis Heimatland Italien, das ebenfalls enorm verschuldet ist.

Und vor der Zinsentscheidung hatte auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) ihren Druck auf die EZB verstärkt. Christine Lagarde hatte schon Anfang März vor der EZB-Zinssitzung die anhaltend niedrigen Inflation angeprangert, die sehr leicht in Deflation kippen könnte: "Das Risiko besteht", sagte sie. Erstaunlicherweise blieb sie allerdings zurückhaltender als im Vormonat, obwohl sich wie dargestellt die gefährlichen Deflationstendenzen verstärkt haben. "Eine potenziell längere Phase mit geringer Inflation kann die Nachfrage und das Angebot unterdrücken - und Wachstum sowie die Entstehung von Arbeitsplätzen verhindern", erklärte sie, wollte aber von Deflation nicht mehr sprechen. Trotz allem forderte sie vehement ungewöhnliche Maßnahmen von der EZB, um die Preisstabilität zu sichern und den Deflationstendenzen zu begegnen. "Eine weitere geldpolitische Lockerung, auch durch unkonventionelle Maßnahmen, ist notwendig, um die Aussichten für das Erreichen des Preisstabilitätsziels der Europäischen Zentralbank zu verbessern."

Das Problem bei einer Deflation ist - Japan kann davon ein Liedchen singen, das schon seit fast zwei Jahrzehnten mit der Deflation kämpft -, dass sowohl Verbraucher, als auch Unternehmen zunehmend Ausgaben zurückstellen, weil sie auf billigere Preise hoffen. In den Krisenländern ist der Druck auf die Preise schon deshalb hoch, weil die Löhne zum Teil deutlich gesenkt wurden und die Arbeitslosigkeit wie in Spanien und Griechenland extrem hoch ist.

Doch auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung warnt davor, dass Unternehmen ihre Investitionen zurückfahren und abwarten, ob die Preise in der Zukunft fallen. Marcel Fratzscher sagte im Deutschlandfunk-Interview, dass es die Deflation für Unternehmen unheimlich schwierig mache zu investieren. "Denn wenn ich weiß, ich habe heute fixe Kosten mit Arbeitnehmern und anderen Produktionsfaktoren, weiß aber, dass ich in der Zukunft, wenn das Produkt oder die Leistung fertig ist, nur noch einen geringeren Wert dafür bekomme." Das sei natürlich für Unternehmer schlecht, die weniger investieren und weniger Menschen beschäftigen:

Damit sinkt die Beschäftigung, damit sinken Einkommen, Wachstum, und das Schlimme ist, dass es dazu kommen kann, dass es dadurch zu einem Zyklus kommt, in dem sich diese schwachen Investitionen noch mal wieder negativ auf die Preise auswirken, und ich komme dann in so einen Teufelskreis, wo diese Erwartungen über fallende Preise sich verstetigen und es dann nachher unheimlich schwierig ist, wieder rauszukommen.

Die Deflationsbekämpfung in Japan war mit einer gezielten Abwertung des Yen verbunden war und setzte, die Exporte anzukurbeln (Die Zeichen stehen auf Währungskrieg). Auch in den USA wurde der Dollar massiv nach unten geprügelt, weshalb längst von einem Währungskrieg gesprochen wird. Tatsächlich hat der Euro gegenüber dem Dollar seit Ende 2012 schon um gut 15% aufgewertet. Das verstärkt die Deflationsgefahren aber im Euroraum. Denn ein starker Euro senkt die Preise für Importe und erhöht die Preise für Exporte. Damit wird die Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone zudem weiter geschwächt. Das spitzt vor allem die Lage Krisenländern zu, die wegen der schwachen Inlandsnachfrage auf Export und Tourismus setzten. Und für Touristen, die nicht aus dem Euroraum kommen, verteuert ein steigender Euro den Aufenthalt in einem Euroland.

Quantitative Easing wieder in der Diskussion

Im Vorfeld der Zinsentscheidung wurden aber neben einer möglichen Zinssenkung neue geldpolitische Lockerungsübungen diskutiert. So hatten sich auch diejenigen, die üblicherweise als geldpolitische Falken gehandelt werden, nicht mehr eindeutig gegen das "Quantitative Easing" (QE) ausgesprochen, mit der vor allem die US-Notenbank (FED) neben der Nullzinspolitik agiert hat (Süchtig nach regelmäßigen Liquiditätsspritzen). Bundesbank-Chef Jens Weidmann und sein finnischer Kollege Erkki Liikanen haben sich nicht mehr kategorisch gegen Anleihekäufe durch die EZB ausgesprochen. "Aber wir müssen sicherstellen, dass das Verbot der Staatsfinanzierung respektiert wird", erklärte Weidmann nun.

Vor dem Verfassungsgericht hatte er argumentiert, dass die Grenze dazu schon überschritten worden sei. Um eine Staatsfinanzierung zu verhindern, wollte Weidmann den Kauf privater Anleihen mit bester Bonität nicht mehr ausschließen. So sollte die Geldmenge vergrößert und der gefährlichen deflationären Abwärtsspirale entgangen werdeb, statt dies über den Ankauf von Staatsanleihen zu tun. Doch wird bezweifelt, dass das einen durchschlagenden Effekt haben könnte.

Der Finne Erkki Liikanen hatte zudem die Strafzinsen für Banken als Instrument im Kampf gegen die zu niedrige Inflationsrate ins Spiel gebracht. "Nach meiner Ansicht ist das kein strittiges Thema mehr." Allerdings sah Liikanen noch keinen konkreten Handlungsbedarf. "Wir verfügen nach wie vor über Handlungsspielraum", sagte er. "Weiterhin können Banken kurzfristig Geld bei der Notenbank für null Prozent parken." Wie der EZB-Chef auf der Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung deutlich gemacht hat, wurde im EZB-Rat über "unkonventionelle Maßnahmen" diskutiert, um gegen eine zu lange Zeit zu niedriger Inflation vorgehen zu können. Auf Nachfrage räumte er ein, dass Quantitative Easing enthalten sei und ein solches Programm diskutiert worden sei. Und das stimmte die Börse in Frankfurt wieder glücklich, denn die war zunächst ins Minus gerutscht, nachdem die Entscheidung bekannt wurde, den Leitzins nicht zu senken.

Auch Draghi hat den Rückgang der Inflationsrate als unerwartet stark bezeichnet. Er bekräftigte, ein Anleihenkaufprogramm könne bei anhaltend niedriger Teuerung und nicht nur bei einer weiter fallenden Inflationsrate aufgelegt werden. Gegen den Druck des IWF und einiger Euroländer hat sich wohl die Position von Weidmann und Liikanen durchgesetzt. Weidmann hatte im Vorfeld der Sitzung erklärt, dass mit derlei Programmen "unbekanntes Terrain" betreten werde. "Deshalb brauchen wir eine Diskussion über ihre Effektivität und über ihre Kosten und mögliche Nebenwirkungen."