Die Euro-Schuldenkrise und die Politik hilflosen Gehampels

Eine Demokratie haben wir schon lange nicht mehr - Teil 19

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Die überstürzte und völlig verkorkste Einführung des Euro ist ein Paradebeispiel dafür, wie demokratisch gewählte Politiker einander im emotionalen Überschwang in wirtschaftspolitischem Irrsinn bestärken und eine gigantische Fehlentscheidung treffen, für die einige Generationen der Völker Europas den Preis zahlen. Heute hat man sich damit abgefunden, dass damals eine Fehlentscheidung getroffen wurde. Aber jetzt haben wir nun einmal den Schlamassel und man muss versuchen, das Beste daraus zu machen, heißt es immer.

Teil 18: Der demokratische Staat ist ein macht- und geldgieriges Monstrum

Es bleibt einem auch gar nichts anderes übrig. Aber wer sagt denn, dass ähnliche Formen von Groupthink-Irrsinn nicht immer wieder vorkommen? Immerhin haben ja damals an der paneuropäischen Irrsinnstat einige tausend Politiker mitgewirkt und alle Bedenken sehr zum Schaden der Völker in den Wind geschlagen. Mag sein, dass Schwarmintelligenz mal vorkommt, aber Groupthink-Wahnsinn ist nun einmal das Charakteristikum demokratischer Gremienentscheidungen. Die Völker in den entwickelten Demokratien sehen also herrlichen Zeiten entgegen…

Daran besteht überhaupt kein vernünftiger Zweifel: Den Ausbruch der "Euro-Schuldenkrise" verantworten einzig und allein die Politiker in den Demokratien Europas - wenigstens diejenigen in den Ländern, die dem Euro am Ende beitraten.

Die Einführung des Euro zeigt die grenzenlose Verantwortungslosigkeit der demokratischen Politiker und ihren erschreckenden Mangel an Sachverstand. Er charakterisiert auch hochrangige Politikvertreter bei wirtschaftspolitischen Problemstellungen und ist oft gepaart mit der Neigung, die Öffentlichkeit über die wahren Probleme hinwegzutäuschen, und überhaupt den Hang, Einsicht in ökonomische Zusammenhänge durch einfältiges, aber hoch emotionales Gefasel zu ersetzen.

Als die Politiker den Euro einführten, wollten sie das gemeinsame Europa per Schnellschuss vorantreiben. Dabei schlugen sie alle wohl begründeten und längst bekannten währungspolitischen Einwände ignorant in den Wind.

Zunächst einmal sollte klar werden, was überhaupt gemeint ist, wenn so leichthin die Rede von der "Euro-Krise" ist. Als er eingeführt wurde, war der Euro weniger als einen US-Dollar wert. Im Oktober 2000 bekam man dafür gerade mal 82 US-Cents. Seitdem ist er fast kontinuierlich gestiegen, bis hin zu einer Spitze von 1,5379 Dollar 2009. Von diesem Höchstwert sank er wieder bis auf 1,35 US-Dollar im April 2010 und liegt heute (im Frühjahr 2014) bei 1,37 Dollar. Von einer Euro-Krise kann also überhaupt keine Rede sein. Dem Euro geht und ging es immer gut. Es gibt keine Euro-Krise, auch wenn er einmal etwas tiefer abdriften sollte.

Wir haben allerdings eine Schuldenkrise der Staaten der Eurozone. Es geht nicht um die Währung. Es geht um die Verschuldung nahezu aller Demokratien in Europa. Deren Schuldenkrise freilich wurde durch die kopflose Einführung des Euro noch um ein Vielfaches verschärft, obwohl die Verschuldung der meisten Staaten auch vorher schon ein Höchstmaß erreicht hatte.

Der Euro wurde am 1. Januar 1999 eingeführt und ist heute die Gemeinschaftswährung von knapp 335 Millionen Menschen. In den ersten drei Jahren wurde er nur für Kontoführungszwecke, zum Beispiel für elektronische Zahlungen, eingesetzt. Das Euro-Bargeld kam erst am 1. Januar 2002, und zwar in Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Portugal und Spanien. 2007 kam Slowenien hinzu und 2008 traten Malta und Zypern bei, 2009 folgte die Slowakei, 2010 Estland, 2014 Lettland.

Heute (2014) ist der Euro gesetzliches Zahlungsmittel in 18 der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). Die Idee einer einheitlichen europäischen Währung, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erleichtern sollte, beherrschte schon früh die Debatten über die europäische Integration.

1979 wurde das Europäische Währungssystem (EWS) eingerichtet, das allzu starke Schwankungen der nationalen Währungen verhindern sollte. 1988 erarbeitete ein Ausschuss unter Leitung des EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors den "Delors-Bericht", der in drei Schritten zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion führte.

Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung forderte der französische Staatspräsident François Mitterrand mit besonderem Nachdruck eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Für seine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung verlangte Mitterand eine beschleunigte Einführung der Europäischen Währungsunion.

Das geht aus dem bislang geheim gehaltenen Protokoll eines Gesprächs hervor, das Mitterrand mit dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher führte. "Deutschland kann nur dann auf die Wiedervereinigung hoffen, wenn es in einer starken Gemeinschaft steht", soll Mitterand gesagt haben. Zugleich beklagte er, dass die Bundesrepublik "auf dem Weg zur Wirtschafts- und Währungsunion zurzeit bremst".

Darauf stellte Genscher laut Protokoll deutsche Zugeständnisse in Aussicht:

Es ist notwendig, in Straßburg eine Entscheidung über die Regierungskonferenz zur Vorbereitung der Wirtschafts- und Währungsunion zu treffen.

Auf dem Straßburger Gipfel einigten sich die europäischen Regierungschefs Ende 1989, die nächsten Schritte für eine Währungsunion in die Wege zu leiten. Vieles spricht dafür, dass der Euro der Preis ist, den Deutschland für die Wiedervereinigung zahlen musste: ein viele Milliarden Euro teurer Preis.

Die erste Stufe der Währungsunion wurde am 1. Juli 1990 mit der Herstellung des freien Kapitalverkehrs zwischen den EG-Staaten eingeleitet. Nachdem im Vertrag von Maastricht 1992 die rechtlichen Grundlagen für die weitere Umsetzung gelegt worden waren, begann am 1. Januar 1994 die zweite Stufe mit der Gründung des Europäischen Währungsinstituts (EWI) und der Überprüfung der Haushaltslage der Mitgliedstaaten. Die letzte Stufe war schließlich am 1. Januar 1999 die Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB) und die endgültige Festlegung der Euro-Wechselkurse der nationalen Währungen.

Im Vertrag von Maastricht einigten sich die EU-Mitgliedstaaten 1992 auf "Konvergenzkriterien", die Staaten erfüllen mussten, um den Euro als Währung einzuführen. Sie umfassen im Einzelnen die Stabilität des Preisniveaus, der öffentlichen Haushalte, der Wechselkurse zu den übrigen EU-Ländern und des langfristigen Nominalzinssatzes.

Die EU-Konvergenzkriterien ("Maastricht-Kriterien") finden sich in Artikel 140 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag). Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende Kriterien:

  • Preisstabilität: Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über derjenigen der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.
  • Stabilität der öffentlichen Haushalte: Der staatliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent, die jährliche Nettoneuverschuldung nicht mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen.
  • Wechselkursstabilität: Der Staat muss mindestens zwei Jahre lang ohne Abwertung am Wechselkursmechanismus II teilgenommen haben. Dabei darf die Währung des Landes nur in einer bestimmten Wechselkursbandbreite (meist 15 Prozent) vom Eurokurs abweichen; bei größeren Abweichungen muss die Zentralbank des Landes intervenieren.
  • Langfristige Zinssätze: Der Zinssatz langfristiger Staatsanleihen darf nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten liegen.

Der Stabilitätspakt ist völlig wirkungslos, da er als Sanktionen lediglich Geldbußen vorsieht. Und die würden die Haushaltslage der betroffenen Staaten noch weiter verschlechtern. Es wäre ausgesprochen blöd, das zu tun. Und deshalb hat auch der Rat Verstöße gegen den Pakt wiederholt nicht geahndet. Das spricht zwar für den Rat, ändert aber nichts daran, dass der Pakt ein blinder Papiertiger ist.

Man fragt sich manchmal, wie viele Gedanken Politiker auf Maßnahmen verschwenden, die sie beschließen: Da verletzt ein Staat Stabilitätsvereinbarungen, weil er sich in einer finanziellen Notsituation befindet. Ihm fehlt es an Geld. Und die Politiker sehen für diesen Fall Geldstrafen für den Staat vor, die nur dazu führen können, dass sich die Notsituation noch verschärft. Sind die denn völlig verblödet? Die Antwort lautet: ja.

Die innereuropäische Solidarität wird begrenzt durch die No-Bailout- oder Nichtbeistands-Klausel. Sie schließt es ausdrücklich aus, dass die EU als Ganze oder auch nur einzelne Mitgliedstaaten für die Schulden anderer Mitgliedstaaten haften (Artikel 125 AEU-Vertrag).

Dadurch sollte verhindert werden, dass Mitgliedstaaten ihre Haushaltsautonomie nutzen, um sich auf Kosten anderer Mitgliedstaaten zu verschulden und dafür dann auch noch mit zusätzlichen Geldern belohnt werden. Der Grundsatz lautet: Jeder Staat trägt die alleinige Verantwortung für sein Defizit.

Auch dies blieb Theorie; denn kaum hatten die Staaten das beschlossen, taten sie das Gegenteil und spannten "Rettungsschirme" auf. Seit 2010 Kredite an Griechenland beschlossen worden, die Euro-Staaten Bürgschaften füreinander übernommen und weitere Kredite an Irland (2010), an Portugal (2011) und an Griechenland (2011) gezahlt worden waren, ist die Nichtbeistands-Klausel ausgehöhlt.

Ein Grundgedanke war die Unabhängigkeit aller nationalen Zentralbanken, um zu verhindern, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik durch die Vermehrung der Geldmenge und damit durch Inflation finanzieren. Die Artikel 123 und 124 AEU-Vertrag verbieten daher jede Art von Kreditgewährung der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken an die Mitgliedstaaten und jeden bevorrechtigten Zugriff öffentlich-rechtlicher Institutionen auf die Banken. Selbst der unmittelbare Erwerb von Staatsanleihen durch die Zentralbanken war ursprünglich verboten. Darüber hat sich die EZB indes längst hinweggesetzt.

Die Politik verteidigt den Euro mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Realitäten. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Der Euro ist so konstruiert, dass jedes Mitgliedsland unbegrenzt Schulden machen darf. Der Maastricht-Vertrag formuliert zwar das genaue Gegenteil, aber wenn sich die Politik nicht daran hält, ist das gleichgültig.

Der Grundsatz "Pacta sunt servanda" mag früher einmal gegolten haben. Heute gilt er offenbar nicht mehr. Auch dies ein Charakteristikum des Umgangs demokratischer Staaten miteinander. Wenn eine internationale Vereinbarung gerade nicht in den Kram passt, wird sie missachtet. Da kann ja nichts passieren. Niemand hat damit gerechnet, dass Luxemburg seine Truppen gen Osten in Bewegung setzen würde, als Deutschland den Stabilitätspakt verletzte.

Es zeigt sich ein für das Spätstadium der entwickelten Demokratien typisches Verhalten: Man verabschiedet die fabelhaftesten Gesetze, schließt die spektakulärsten Verträge und fasst die ausgefeiltesten Beschlüsse - aber wenn die erst einmal gefasst sind, hält sich keiner daran.

Der in den Medien breit dargestellte, spektakuläre Akt des Beschließens und vielleicht auch noch in diversen Talkshows ausgiebig bekakelte Akt des Verkündens ist Sinn der Veranstaltung, nicht die Einhaltung dessen, was da beschlossen wurde. Wenn die Beschlüsse dann ein paar Monate später nicht eingehalten werden, interessiert das kaum noch jemanden. Ansonsten geht die politische Kaste immer stärker davon aus, dass sie selbst über dem Gesetz und auch über der Verfassung steht.

Schon als der Euro eingeführt wurde, warnten Wirtschaftswissenschaftler eindringlich vor den Gefahren einer Einheitswährung für eine so große und vor allem so heterogene Wirtschaftszone. Eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Wirtschafts-, Finanz-, Arbeits- und Sozialpolitik sei zum Scheitern verurteilt. Bei asynchronen Konjunkturzyklen stehe die Gemeinschaftswährung vor einer Zerreißprobe.

155 Wirtschaftsprofessoren verlangten in einem Manifest vom Februar 1998, die Währungsunion wegen der unzureichenden Konsolidierung der öffentlichen Haushalte um einige Jahre zu verschieben, weil der Stabilitätspakt nicht das Papier wert war, auf das er geschrieben war.

Eine nicht wirklich unabhängige Europäische Zentralbank, eine unsolide Haushaltspolitik von hochverschuldeten Mitgliedsländern sowie der steigende Bedarf an Finanzhilfen ärmerer Länder wie Italien, Spanien, Portugal, Irland und Griechenland auf Kosten der reicheren Länder wie Deutschland und Frankreich, müssten in der Zukunft zwangsläufig zu einer Geldmengenausweitung und einem schwachen Euro führen. Um die Maastrichter Stabilitätskriterien einzuhalten, hatten einige Länder ohnehin haushaltspolitisch getrickst.

Auch die großen Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften in Europa sprachen gegen die rasche Einführung des Euros. Die Produktivitätsniveaus waren und sind noch immer sehr unterschiedlich und auch die Arbeitsmärkte, Steuer- und Sozialsysteme unterscheiden sich stark. Mit dem Wegfall des Wechselkursmechanismus als Pufferinstrument mussten diese Unterschiede im Konkurrenzkampf um Investitionen an Bedeutung gewinnen und zu europaweitem Sozialabbau und zu Steuerdumping führen.

Die Göttinger Professorin für Wirtschaftspolitik, Renate Ohr, betonte:

Für die Vervollkommnung des einheitlichen Europäischen Binnenmarktes ist der vollständige Abbau nationaler Regulierungen und Diskriminierungen nicht-nationaler Anbieter sowie die Harmonisierung von Mehrwertsteuern, Verbrauchsteuern und Kfz-Steuern sehr viel wichtiger als die Einführung einer einheitlichen Währung.