"Res publica von Donezk"

Die prorussische oder Anti-Kiew-Bewegung in der Ostukraine imitiert den Euromaidan und die Krim - Die westliche Politik im Spiegel

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Es ist eine seltsame Scharade, die derzeit in der Ukraine aufgeführt wird. Über Monate hatten sich in Kiew auf dem Maidan-Platz proeuropäische, von der EU und den USA unterstützte Ukrainer versammelt, protestiert, Gebäude besetzt, Barrikaden erbaut und sich in den schließlich zunehmenden Auseinandersetzungen mit der Polizei selbst radikalisiert. Teile der Bewegung traten nur noch als "Selbstverteidigungskräfte" auf, vermummt, bewaffnet und mit einer Art Rüstung und forderten den Rücktritt der ukrainischen Regierung und den Eintritt in die EU.

Die gewählte, allerdings hoch korrupte Regierung, die jetzt in Kiew gerne als Diktatur bezeichnet wird, versuchte mit mehr und mehr Gewalt, die Ordnung herzustellen. Das gipfelte am Schluss in den Todesschüssen auf Demonstranten, allerdings wurden mit Schusswaffen auch Polizisten getötet, die schon zuvor von den Militanten auch brachial angegriffen worden waren. Für den Westen war dies vernachlässigbar, standen sie doch auf der Seite der Guten. Abgeordnete und Regierungsvertreter aus den USA und EU-Mitgliedsländern besuchten - und durften dies auch - den Maidan und demonstrierten ihre Solidarität. Dabei war auch klar, wen man favorisierte. Und es schien auch klar, dass die Regierung von Moskau gesteuert war, während diese und Moskau wiederum davon sprachen, dass der Westen hinter der Maidan-Bewegung steht und mit ihr auch rechtsextreme Militanten und "Faschisten" stärkt.

Ende Februar kamen die Oppositionsparteien, die mit der Maidan-Bewegung gegen die Regierung kämpften, durch einen Coup an die Macht. Schnell wurde die neue Regierung vom Westen als legitim anerkannt, während Russland bekanntlich deren Legitimität bezweifelt. Wie die neue Regierung gestimmt war, ließ sich schnell an einem Gesetzentwurf sehen, nach dem völlig unnötig Russisch nicht mehr zweite Amtssprache sein sollte. Das Gesetzesvorhaben wurde zwar schnell vom Tisch gewischt, die Übergangsregierung in Kiew versäumte es jedoch, auf die russischstämmigen Menschen in der Ostukraine zuzugehen und sie in den politischen Prozess einzubeziehen, was vermutlich auch heißen würde, den östlichen Regionen größere Autonomie zuzugestehen. Die Forderung Moskaus nach einer Umwandlung des zentralistischen Staats in einen Bundesstaat wurde vehement abgelehnt.

Dazu hieß es stets, dass es überall vor russischen Agenten und bezahlten Provokateuren wimmelt, die russische Minderheit galt als "fünfte Kolonne", mit den Forderungen nach Lustration standen auch viele in Politik und in der Verwaltung im Verdacht. Die Willkür lag auf der Hand, denn auch Oligarchen und Politiker wie Timoschenko wurden zum Teil der neuen Ukraine, obgleich sie im alten korrupten System tief verwurzelt sind. Fast parallel mit der Etablierung der neuen Regierung unter Mitwirkung der rechten Swoboda begannen Menschen auf der Krim, aber auch in der Ostukraine die Maidan-Bewegung zu imitieren. Sie protestierten auf den Plätzen, erstürmten Parlamente, bildeten auch Milizen und lehnten die Regierung in der Ukraine ab.

Allerdings blieb der Aufstand erst einmal in der Ostukraine sporadisch, während in der Ukraine offenbar ein länger geplantes Skript umgesetzt wurde, das allerdings darauf basierte, dass es kaum Widerstand gegen eine Unabhängigkeitserklärung zu geben schien. So schnell wie das Referendum durchgeführt - und vielleicht gefälscht wurde, wie die Abspaltung und die Zusammenarbeit von Parlament, großen Teilen der Bevölkerung, den schnell in Imitation zum Maidan gebildeten Selbstverteidigungskräften und den russischen Soldaten verlief, scheint es sich um einen realistischen Plan gehandelt zu haben, der die ukrainische Zerrissenheit ausnutzte und auch darauf baute, dass ein Großteil der auf der Krim stationierten ukrainischen Soldaten überläuft und der Rest keinen wirklichen Widerstand leisten wird.

Die ukrainische Armee übt für den Ernstfall. Bild: mil.gov.ua

Auch der Machtwechsel in Kiew und dessen Anerkennung im transatlantischen Westen verliefen ähnlich rasant. Der Machtwechsel war angestrebt worden, aber man kann davon ausgehen, dass er nicht im Detail geplant gewesen war, auch nicht von den Oppositionsparteien. Geht man davon aus, könnte natürlich auch die Regierungsbildung auf der Krim, die Unabhängigkeitserklärung und der Anschluss an Russland ungeplant gewesen sein. Der Sog der Ereignisse, das Momentum, wie man gerne sagt, eröffnete womöglich in Kiew und auf der Krim Möglichkeiten, die schnell ergriffen wurden oder ergriffen werden mussten, ohne die langfristigen Folgen zu bedenken. Schließlich könnte der Gang der Dinge für die Ukrainer und die Menschen auf der Krim ebenso negative Folgen haben wie für den Westen und Russland, die ihre Position mit hohen Kosten bezahlen müssen.

Was passiert also jetzt in den großen Städten der Ostukraine, in Donezk, Lugansk und Charkiw (Prorussischer Aufstand im Osten der Ukraine)? Offenbar fühlen sich hier viele von den Ereignissen in Kiew überrollt, während die Regierung in Kiew und die Polizei vor Ort noch versuchen, die Situation zu deeskalieren, möglicherweise hat die Polizei auch keine Lust, sich in Auseinandersetzungen mit Aktivisten zu begeben, mit deren Einstellung sie teilweise übereinstimmen. Anders als auf der Krim scheint aber bei der Mehrheit auch kein ausgeprägter Wunsch nach Unabhängigkeit und Anschluss an Russland vorhanden zu sein. Aber man will mehr Selbständigkeit und lässt zu, dass einige tausend militante prorussische Aktivisten den Schauplatz beherrschen, die alle Vorurteile der Menschen in der Westukraine und des Westens bestätigen. Sie führen dasselbe Schauspiel wie die Euromaidan-Bewegung in Kiew auf, ergänzt durch Imitationen der Ereignisse auf der Krim. Die Regierung antwortet wie schon die Janukowitsch-Regierung, indem sie "Antiterrormaßnahmen" durchführt.

In Donezk wurde das Verwaltungsgebäude eingenommen und mit Barrikaden aus Reifen und Stacheldraht und vermummten Selbstverteidigungskräften gesichert. Die Polizei nimmt es hin, wie dies oft auch in Kiew der Fall gewesen war. Besonders ausgestattet scheinen die Aktivisten nicht zu sein, obgleich es heißt, sie würden auch über Maschinengewehre verfügen. Sie sind ausgerüstet mit Baseballschlägern und Knüppeln, die sie den Polizisten abgenommen haben. Sie fordern die Menschen auf, Reifen und Lebensmittel zu bringen, singen die russische Nationalhymne, bringen russische Fahnen an und erklären Donezk für unabhängig, zur "res publica von Donezk". Es gibt auch Forderungen, dass russische "Friedenstruppen" zur Hilfe kommen sollen, wenn "Faschisten" aus der Westukraine angreifen sollten. Die "Junta" in Kiew wird abgelehnt, Putin wird als Heilsbringer verehrt.

Die Staatsanwaltschaft verkündet, man habe die Verantwortlichen identifiziert und werde sie belangen. Der Stadtrat fordert die Niederlegung der Waffen, man müsse die Probleme am Verhandlungstisch lösen. Interimspräsident Turtschinow zufolge will das Parlament beschließen, Separatismus zur Straftat zu machen und Parteien und Organisationen zu verbieten, die Separatismus vertreten.

Moskau hält sich bislang zurück und wehrt sich gegen die Vorwürfe, hinter den Unruhen zu stehen. Außenminister Lawrow forderte einen ukrainischen Dialog mit allen politischen Bewegungen und mit internationaler Hilfe. Ziel müsse eine Verfassungsreform und ein föderales Ukraine sein. Ansonsten forderte er eine Deeskalation, es sei nicht die Zeit des Kindergartens, wo Erzieher Strafen willkürlich verhängen.

Parallel zu den prorussischen Militanten sieht nun auch der Rechte Sektor seine Stunde. Man habe schon immer gewarnt davor, dass die ukrainischen Behörden gegenüber dem Separatismus zu nachlässig seien, wird von dieser Seite verkündet. Das grenze an Sabotage. Deswegen habe man die Krim verloren und riskiere es, auch die Ost- und Südukraine zu verlieren. Die Janukowitsch-Polizei lasse Saboteure und Separatisten gewähren. Der Rechte Sektor fordert die Regierung auf, entschlossen gegen die Separatisten vorzugehen. Dazu bietet man Hilfe an, droht aber auch, selbst zu kämpfen und eine "aktive Opposition" zu leisten, wenn die Regierung "kriminell inaktiv" ist.