Abschuss von Flugzeugen: Schutzlücke oder Bresche für Einsatzerweiterung?

Eurofighter. Bild: Krasimir Grozev; Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Bundesregierung plant Grundgesetzänderung für den Einsatz von Kampfflugzeugen im Inneren. Im Fall eines gekaperten Flugzeugs soll künftig die Verteidigungsministerin alleine und nicht die Bundesregierung entscheiden können

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wird das Argument einer "Schutzlücke" im Grundgesetz dazu benutzt, um größeren Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte im Inneren eine Bresche zu schlagen? Das war der Verdacht und der Gegenstand größerer Diskussionen, die bislang jeden der gesetzgeberischen Vorstöße begleiteten, die anhand des Terror-Szenarios eines gekaperten Flugzeugs geltend machten, dass bisherige Regelungen für eine umfassende und schnelle Gefahrenabwehr nicht ausreichen. Stimmen die Informationen des Spiegel, so hat das Innenministerium einen neuen Vorstoß zu einer dazu notwendigen Grundgesetzänderung vorbereitet, der in den Ressorts zur Vorabstimmung zirkuliert.

Zur Erinnerung: 2006 kippte das Bundesverfassungsgericht neu in Kraft getretene Paragrafen des Luftsicherheitsgesetzes. Die Neufassungen waren auf den Horror zugeschnitten war, der die Terrorabwehr seit 9/11 gleichermaßen heimsucht wie auch zu weitreichenden Angriffen auf bürgerliche Freiheitsrechte und - ansprüche inspiriert hat: die Entführung eines Passagierflugzeugs durch Terroristen, die das Flugzeug als Waffe gebrauchen, um damit einen Schaden anzurichten, der nicht nur das Leben der Insassen gefährdet, sondern die Bevölkerung größerer Gebiete, etwa wenn das Flugzeug ein Atomkraftwerk ansteuert.

Der damalige Bundesinnenminister hieß Wolfgang Schäuble. Die Diskussion über die von Anfang an umstrittene Reform des Luftsicherheitsgesetzes erhitzte sich vor allem an zwei Punkten: ob das gekaperte Flugzeug im Notfall abgeschossen werden sollte - und im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen, die auf der Wunschliste Schäubles standen, welche die Möglichkeiten der Bundeswehreinsätze im Inneren ausweiten wollten. Aufhänger dafür war die bevorstehende Fußball-WM in Deutschland (Gesetz mit Folgen).

Der heikle Punkt ist die Grundgesetzänderung - konkret des Artikel 35- , die dafür nötig ist. Artikel 87a stellt solchen Wünschen ein politisch fundamental wichtiges Hindernis entgegen, die Möglichkeiten eines Missbrauchs der Einsätze von Streitkräften im Inneren müssen nicht erklärt werden. Entsprechend ist Vorsicht geboten: es wäre naiv anzunehmen, dass sich eine Änderung des Artikel 35 einzig auf den wie einer Daueraustellungsvitrine präsentierten Exemplarfalles des gekaperten Flugzeugs beziehen würde. Das wäre untypisch für eine Grundgesetzänderung.

Möglichkeitsräume hinter dem Sonderfall

Dass bei dieser Sache eine ganze Reihe von grundgesetzlichen Bestimmungen, der Hierarchien über-und untergeordneter Gesetzen und Bestimmungen, Vereinbarkeiten, Kompetenzen, Definitionen - um hier nur zu nenen: Was ist ein "schwerer Unglücksfall"? Wann tritt er ein? Was heißt "Befugnis zum schadenspräventiven Einsatz"? - betroffen sind, davon kann sich auch ein Laie ein Bild machen, wenn er die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitgesetz vom März 2013 anschaut.

Kritiker wiesen bei früheren Vorstößen der Regierung in der Sache bereits auf Möglichkeitsräume hinter dem Sonderfall hin, wie Gerhard Piper 2007 (Einsatz der Bundeswehr im Innern?):

Einig sind sich die Christdemokraten beim geplanten Abschuss von gekaperten Passagierflugzeugen und der Abwehr von Seeangriffen. Zwar mag es sich hierbei in der Praxis nur um seltene Einzelfälle handeln, aber sobald der Bundeswehr hierfür die Kompetenz erteilt wird, erhält sie einen permanenten Kampfauftrag für Inlandseinsätze. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die erste Fassung des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) am 15. Februar 2006 verworfen hat, will die CDU eine modifizierte Gesetzesversion durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes durchsetzen.

Die Schutzlücke als neuer Ansatzpunkt

Geht es nach einer Aussage, die der Spiegel aktuell vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU) zitiert, so lege gerade die oben erwähnte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2013 der Bundesregierung nahe, das Grundgesetz zu ändern. Gemeint ist diese Passage:

Mit der Nichtigerklärung der Regelungen des Luftsicherheitsgesetzes zur ministeriellen Eilkompetenz für Einsatzentscheidungen im überregionalen Katastrophennotstand kann sich - abhängig auch von den für die Willensbildung der Bundesregierung maßgeblichen Bestimmungen - zwar eine gravierende Schutzlücke (…) (Hervhg. d. V.) ) ergeben, weil insbesondere im Fall eines Terrorangriffs mittels Flugzeugs die bei überregionaler Bedeutung erforderliche Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig wird herbeigeführt werden können. Eine solche Schutzlücke wäre jedoch nicht durch das einfache Recht, sondern durch die Verfassung selbst bedingt. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht befugt, eine von der Verfassung vorgegebene Rechtslage als verfassungsfern zu qualifizieren.

Das Bundesinnenministerium hat also einen anderen Ansatzpunkt für eine "notwendige Grundgesetzänderung" gefunden. In den Mittelpunkt der Diskussion darüber wird nicht mehr das schwierige moralische Dilemma gestellt, ob das gekaperte Flugzeug abgeschossen werden darf, sondern ob eine Entscheidung zum Einsatz von Kampfflugzeugen im Fall des Falles überhaupt schnell genug getroffen werden kann.

Die gebotene Eile - die neuen Argumente im Renegade-Fall

Die Argumente dafür sind weitaus weniger belastet und von einer leicht zu vermittelnden Überzeugungskraft. Der Öffentlichkeit ist leicht zu erklären, dass die gültige Regelung, wonach die Bundesregierung über den Einsatz zu entscheiden hat, wertvolle Zeit kosten könnte, wenn Eile geboten ist. Man wolle lediglich bewirken, dass nun die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers genüge, so gibt der Spiegel die Position aus Regierungskreisen wieder.

Die Argumentation, die auf schnelles Handeln im Falle der Flugzeugentführungsszenarios setzt, hat noch ein anderes Standbein, das die prekäre Frage "Und dann der Befehl zum Abschuss?" noch weiter nach hinten rückt.

Wie dem BverfG-Urteil vom letzten Jahr zu entnehmen ist, geht es zunächst einmal um eine möglichst schnell zu ermittelnde Aufdeckung einer Angriffsabsicht im Renegade-Fall, wie das Szenario genannt wird. Dies wäre die erste Aufgabe der eilig abkommandierten Jagdflieger "orientierende Feststellungen". Da sich Flugzeuge mit einer höheren Geschindigkeit bewegen, könne man nicht abwarten, bis die Bundesregierung zusammentrifft, um die dazu nötige Entscheidung zu treffen.

Die Frage wäre, ob dies tatsächlich nur mit einer Grundgesetzänderung anders zu regeln wäre. In der Entscheidung des Karlsruher Gerichts ist auch die Rede davon, dass "bei einem erheblichen Luftzwischenfall regelmäßig zunächst davon ausgegangen werden (kann), dass die Verwendung von Jagdfliegern zur Abklärung und die Aussendung solcher Signale keine Nutzung von Mitteln der Streitkräfte in ihrem Droh- und Einschüchterungspotential, sondern eine technisch-unterstützende Maßnahme darstellt."

"Die Verteidigungsministerin soll künftig allein über ihren Abschuss entscheiden"

Könnte man das so verstehen, dass der reine Aufklärungseinsatz mit dem vorliegenden Grundgesetz bereits zu vereinbaren ist und erst die Entscheidung über den Einsatz von Waffen einen Vorgang darstellen würde, der vom Grundgesetz in der bisherigen Form nach Auffassung der Regierung zu starken Beschränkungen unterliegt?

Die Überschrift des Spiegel-Artikels lässt vermuten, dass es im Grunde darum geht: "Regierung will Abschuss von Terrorflugzeugen erleichtern". Auch anderswo wird die Grundgesetzänderung vor allem auf den Abschussbefehl hin verstanden: "Die Verteidigungsministerin soll künftig allein über ihren Abschuss entscheiden." (FAZ) Welche Macht für Frau von der Leyen...