Endet das "Wunder von Karlsruhe"?

Unionspolitiker wollen ein zahmeres Bundesverfassungsgericht

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Der Xantener Kreis ist ein informeller Zirkel, der sich regelmäßig in der rustikal ausgestatteten Gaststätte Xantener Eck in Berlin-Wilmersdorf trifft und dem aktuelle und ehemalige Unionsabgeordnete wie Volker Kauder, Wolfgang Bosbach, Rupert Scholz und Johannes Singhammer zugerechnet werden. Das Treffen der Gruppe vom letzten Donnerstag sorgt nun für deutlich mehr Aufmerksamkeit als vorherige Zusammenkünfte, weil sich die Teilnehmer einem Bericht des Spiegel zufolge darüber berieten, wie es sich in Zukunft vermeiden lässt, dass politische Vorhaben durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vereitelt werden.

Dabei soll es weniger um die verfassungsmäßige Gestaltung von Gesetzen als um eine stärkere Kontrolle der Karlsruher Richter gegangen sein. Angeblich überlegt man in CDU und CSU, bei der Neubesetzung von Richterposten zukünftig stärker auf politische Nähe und Verlässlichkeit zu achten – gelänge das, dann wäre des das Ende des "Wunders von Karlsruhe":

So nennt man den Effekt, dass sich deutsche Verfassungsrichter immer wieder gegen Entscheidungen der Parteien stellten, denen sie ihre Berufung verdankten, weil ihnen ihre juristische Integrität oder das Gemeinwohl wichtiger waren als Dankbarkeits- oder Zugehörigkeitsgefühle. Ein aktuelles Beispiel dafür, über das sich die Teilnehmer des Xantener Kreises besonders erregt haben sollen, ist der ehemalige thüringische Innenminister Peter Huber, der die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen gegen den Willen seiner Partei als grundgesetzwidrig einstufte.

Die Pläne sind unter anderem deshalb von besonderer Brisanz, weil sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Tag davor bei einem teuren Italiener in der Friedrichstraße über dasselbe Thema mit Verfassungsjuristen beriet. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach soll dabei der Vorschlag gemacht worden sein, die bislang zwölfjährige Amtszeit der Verfassungsrichter deutlich zu verkürzen und die Möglichkeit einer Wiederwahl einzuführen: Dann hätten die Juristen einen Anreiz, sich so zu verhalten, wie die Politik das will.

Eine andere erörterte Möglichkeit der besseren Kontrolle über Urteile bestünde darin, die aktuell vorhandene Zweidrittelmehrheit der Regierung dazu zu nutzen, öfter mal das Grundgesetz zu ändern und dort zum Beispiel die Fünfprozenthürde bei Bundestagswahlen festzuschreiben oder den "Europa-Artikel" 23 auszubauen. In diesem Zusammenhang wurde der Vorschlag gemacht, eine Regelung einzuführen, die festlegt, dass Gesetze nur mehr mit einer Zweidrittelmehrheit im zuständigen Richtersenat für verfassungswidrig erklärt werden können.

Selbstdarstellungsvideo Xantener Eck

Bundesjustizminister Heiko Maas von SPD erklärte nach den ersten Meldungen über die Gespräche allerdings, er halte die Unionskritik am Bundesverfassungsgericht für "überzogen und unangemessen" und plane "keine Änderung der Struktur und der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts". Stattdessen empfiehlt er seinen Kollegen "sich […] selbstkritisch [zu] fragen, was sie dazu beigetragen ha[ben], dass so viele grundsätzliche politische Fragen in Karlsruhe geklärt werden müssen."

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